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verfahrensrecht:ordnungsmittel

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Ordnungsmittel

§ 890 ZPO → Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen
Regelt die Durchsetzung von Unterlassungs- und Duldungsverpflichtungen, indem er Sanktionen wie Ordnungsgeld oder Ordnungshaft bei Verstößen vorsieht, eine vorherige Androhung verlangt und die Möglichkeit bietet, den Schuldner zur Sicherheitsleistung für zukünftige Schäden zu verpflichten.

Zweck der Ordnungsmittel
Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes
Einbeziehung des Organs einer juristische Person in den Vollstreckungstitel
Ordnungsmittel gegen die öffentliche Hand
Verhältnis der Verhängung eines Ordnungsmittels zur Verwirkung einer Vertragsstrafe
Zusammenfassung wiederholte Verstöße gegen eine Unterlassungsverurteilung unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit

Art. 9 (1) EGStGB → Verfolgungsverjährung
Art. 9 (2) EGStGB → Vollstreckungsverjährung

Im Zivilrecht ist der Schuldgrundsatz im Zwangsvollstreckungsrecht (§ 890 Abs. 1 ZPO) zur Anwendung gebracht worden, weil das vom Gericht verhängte Ordnungsgeld der Ahndung begangenen Unrechts und der Sühne für die Zuwiderhandlung gegen einen gerichtlichen Titel dient.1)

Ordnungsmittel sind im Hinblick auf ihren Zweck [→ Zweck der Ordnungsmittel] zu bemessen [→ Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes].

Die Ordnungsmittel des § 890 ZPO haben einen doppelten Zweck. Als zivilrechtliche Beugemaßnahme dienen sie - präventiv - der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen. Daneben stellen sie - repressiv - eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots dar.2)

Dieser doppelte Zweck erfordert es, die Bemessung der Ordnungsmittel jedenfalls in erster Linie im Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten.3)

Da die Festsetzung eines Ordnungsmittels nach § 890 Abs. 1 ZPO für den Betroffenen strafähnliche Wirkung hat, muss seine Verhängung, grundlegenden strafrechtlichen Prinzipien genügen. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes setzt daher ein Verschulden des Schuldners voraus.4)

Der Schuldner einer auf Unterlassung lautenden Entscheidung kann zu einem aktiven Handeln verpflichtet sein und daher, wenn er diese Handlungspflicht verletzt, gegen den Unterlassungstitel verstoßen. Abweichend von der Verwendung des Begriffs des „Unterlassens“ im allgemeinen Sprachgebrauch ist im Wege der Auslegung des Unterlassungstitels zu ermitteln, welche Verhaltensweisen dieser erfasst und ob er den Schuldner zu einem aktiven Handeln verpflichtet.5)

Ein Verbotsausspruch einer eV verbietet eine konkrete Handlung. Handelt der Verfügungsschuldner dem Verbotsauspruch identisch zuwider ⇒ Ordnungsgeldantrag.

Handelt der Verfügungsschuldner jedoch in abgewandelter Form zuwider, so ist zu prüfen ob die Verletzungsform noch innerhalb des Tenors des Verbotsausspruchs angesiedelt ist (Kerntheorie bei Titeln). Ordnungsgeldantrag und erneuter Antrag auf eV, der nun auf die neue leicht geänderte Verletzungsform gerichtet ist (Voraussetzung: es muss darüber diskutiert werden können ob sie noch in den Tenor des Titels fällt).

Bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 890 Abs. 1 ZPO sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zuwiderhandelnden zu berücksichtigen.6)

Das Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 ZPO ein Parteiverfahren, das nur auf Antrag des Unterlassungsgläubigers eingeleitet und durchgeführt wird.7)

Die Vollziehung des Ordnungsmittelbeschlusses setzt den rechtlichen Bestand des zugrunde liegenden Unterlassungstitels voraus.8)

In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 ZPO maßgeblich von anderen Ordnungsmittelverfahren wie etwa dem gemäß § 141 Abs. 3 ZPO, in dem ein Ordnungsgeld gegen eine im EU-Ausland ansässige Partei nicht durchgesetzt werden kann.9)

Auf die Ordnungsmittel des § 890 ZPO ist die Regelung des Art. 9 EGStGB anzuwenden.10) [→ Verfolgungsverjährung]

Ein Teilunterliegen im Sinne von § 92 ZPO des Gläubigers im Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 Abs. 1 ZPO ist anzunehmen, wenn der Gläubiger in seinem Antrag einen Mindestbetrag des festzusetzenden Ordnungsgeldes nennt und das Gericht einen geringeren Betrag festsetzt.11)

Den Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 2 ZPO kann allein der Gläubiger stellen.12) Mit dieser Stellung des Gläubigers als Herrn des Verfahrens ist es unvereinbar, dem Schuldner über einen Antrag nach § 890 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit zu geben, dem Gläubiger entgegen dem Regelungsprogramm des Gesetzes eine Streiterledigung durch notarielle Unterlassungserklärung aufzuzwingen. Dafür besteht umso weniger ein Bedürfnis, als es allein in der Hand des Schuldners liegt, nach einer Abmahnung den Streit durch Abgabe einer vertragsstrafebewehrten Unterlassungserklärung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 UWG beizulegen.13)

Im Rahmen der dem Prozessgericht obliegenden Zwangsvollstreckung eines Unterlassungstitels (§ 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu ermitteln, welche Verhaltensweisen dieser erfasst. Die Auslegung hat vom Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen; erforderlichenfalls sind ergänzend die Entscheidungsgründe und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Antrags- oder Klagebegründung und der Parteivortrag heranzuziehen. Umstände, die außerhalb des Titels liegen, sind bei der Auslegung wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Insbesondere ist es ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche der Gläubigerin zustehen.14)

Vollstreckung im Ausland

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 JBeitrO werden Ordnungsmittelbeschlüsse von Amts wegen vom Staat vollstreckt. Diese Vollstreckung ist - nach dem Territorialitätsprinzip - auf Vollstreckungsmaßnahmen im Inland beschränkt.15)

Die Justizbeitreibungsordnung steht der Vollstreckung eines Ordnungsgeldes gemäß § 890 ZPO im Ausland aber nicht entgegen.16)

Die Vollstreckung eines in einem Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 ZPO ergangenen Beschlusses stellt eine Zivil- und Handelssache i.S. des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EuVTVO dar.17)

Der Antrag auf Bestätigung eines in einem Ordnungsmittelverfahren gemäß § 890 ZPO ergangenen Beschlusses als Europäischer Vollstreckungstitel kann auch vom Gläubiger gestellt werden, der den Beschluss erwirkt hat.18) Die Zwangsvollstreckung soll dem Gläubiger die Durchsetzung seines titulierten Anspruchs ermöglichen. Infolgedessen entscheidet allein der Gläubiger über die Einleitung der Zwangsvollstreckung und deren Durchführung.19)

Das für die Heilung von Belehrungsmängeln gemäß Art. 16 und 17 EuVTVO nach Art. 18 Abs. 1 lit. b EuVTVO bestehende Erfordernis einer Rechtsmittelbelehrung gilt auch für in Beschlussform ergangene Entscheidungen.20)

Die Möglichkeiten einer Heilung der Nichteinhaltung der in den Art. 13 bis 17 EuVTVO festgelegten verfahrensrechtlichen Erfordernisse sind in Art. 18 EuVTVO abschließend geregelt.21)

Vollstreckung im Ausland

Keine Haftung für das selbständige Handeln Dritter

Im Rahmen der Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO haftet der Schuldner grundsätzlich nicht für das selbständige Handeln Dritter.22)

Eine Pflicht zur aktiven Einwirkung auf Dritte kommt nur in Betracht, wenn das Handeln des Dritten dem Schuldner wirtschaftlich zugutekommt.23)

Diesem Haftungsmodell liegt die Wertung zugrunde, dass ein Schuldner, der sich zur Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten der Hilfe Dritter bedient, für das hierdurch gesteigerte Risiko von Störungen einstehen muss.24)

Dies gilt etwa in der Vertriebskette. Wer rechtsverletzend gekennzeichnete oder aufgemachte Produkte an Weiterverkäufer vertrieben hat, hat zur Erfüllung seiner Unterlassungspflicht diese Produkte regelmäßig zurückzurufen, um einer Fortsetzung des Störungszustands in Form des weiteren Vertriebs vorzubeugen.25)

Aufgabe des Rechtsinstituts des Fortsetzungszusammenhangs

Nachdem der Bundesgerichtshof das aus dem Strafrecht stammende Rechtsinstitut des Fortsetzungszusammenhangs für den Bereich des Strafrechts aufgegeben und der Senat den Rechtsbegriff der Fortsetzungstat im Recht der Vertragsstrafe für unanwendbar erklärt hat26), hat der Senat an diesem Institut auch für die Zwangsvollstreckung nicht festgehalten.27)

In der Zwangsvollstreckung können bei der Bemessung des Ordnungsmittels auch ohne die Grundsätze der fortgesetzten Handlung alle Umstände berücksichtigt werden, die es angemessen erscheinen lassen, bei wiederholten Verstößen nicht das Vielfache der für eine einzelne Zuwiderhandlung als angemessen erachteten Sanktion zu verhängen [→ Natürliche Handlungseinheit].28)

Doppelahndungsverbot

Für die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 ZPO gilt nicht das allein auf Kriminalstrafgesetze anwendbare Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG, sondern das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot. Dieses ist verletzt, wenn die Gegenstände der früheren und späteren Festsetzung von Ordnungsmitteln nach Anlass, Ziel und Zweck in allen Einzelheiten identisch sind.29)

Hat der Schuldner gegen ein im Wege der einstweiligen Verfügung ergangenes Verbot der Produktkennzeichnung verstoßen, weil er seine Abnehmer nicht aufgefordert hat, das in beanstandeter Weise gekennzeichnete Produkt vorläufig nicht weiterzuvertreiben, und ist der Schuldner auch nach Zustellung eines gleichlautenden, in der Hauptsache ergangenen Unterlassungstitels nicht tätig geworden, so liegt in der zweifachen Verhängung von Ordnungsmitteln wegen des vor Vollstreckbarkeit des Hauptsachetitels begangenen Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung und wegen nachfolgenden Verstoßes gegen den Hauptsachetitel kein Verstoß gegen das außerstrafrechtliche Doppelahndungsverbot.30)

Kerngleiche Verletzungen anderer Schutzrechte

siehe auch

1)
BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfGE 20, 323, 332 [juris Rn. 37 f.]; BVerfGE 58, 159, 162 f. [juris Rn. 9 und 12]
2) , 3)
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 99/19; m.V.a. BGH, GRUR 2017, 318 Rn. 17 mwN
4)
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 99/19
5)
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 - I ZB 86/17 ; m.V.a. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - I ZB 96/16, GRUR 2018, 292 Rn. 18 = WRP 2018, 473
6)
BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - I ZB 118/15
7) , 15) , 16) , 17) , 18) , 19) , 20) , 21)
BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - I ZB 116/08
8)
BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - I ZB 116/08; m.V.a. Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 890 Rdn. 9a und 25; Giebel, IPRax 2009, 324, 326
9)
BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - I ZB 116/08; m.V.a. OLG Hamm NJW 2009, 1090; Giebel, IPRax 2009, 324, 326
10)
BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 20/11 Aufschiebende Wirkung; m.V.a. BGH, Beschluss vom 5. November 2004 IXa ZB 18/04, BGHZ 161, 60, 63
11)
BGH, Beschluss vom 19. Februar 2015 - I ZB 55/13
12) , 13)
BGH, Beschluss vom 7. Juni 2018 - I ZB 117/17 - Ordnungsmittelandrohung durch Schuldner
14)
BGH, Beschl. v. 13. Oktober 2022 - I ZR 98/21; m.V.a. BVerfG, GRUR 2022, 1089 [juris Rn. 19]; BGH, Beschluss vom 5. März 2015 - I ZB 74/14, GRUR 2015, 1248 [juris Rn. 20 f.]
22)
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 - I ZB 86/17 ; m.V.a. BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 30
23)
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 - I ZB 86/17 ; m.V.a. BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 - Vertragsstrafenklausel; GRUR 2017, 208 Rn. 30; GRUR 2017, 823 Rn. 29 - Luftentfeuchter
24)
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 - I ZB 86/17; m.V.a. Staudinger/Rieble, BGB [2015], § 339 Rn. 397; Feddersen in Festschrift Büscher, 2018, S. 471, 473
25)
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018 - I ZB 86/17 ; m.V.a. BGH, GRUR 2016, 720 Rn. 35 - Hot Sox; GRUR 2018, 292 Rn. 20
26)
BGH, Urteil vom 25. Januar 2001 - I ZR 323/98, BGHZ 146, 318, 324 f. [juris Rn. 17] - Trainingsvertrag
27)
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 99/19; m.V.a. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - I ZB 32/06, GRUR 2009, 427 Rn. 14 = WRP 2009, 637
28)
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 99/19; m.V.a. BGH, GRUR 2009, 427 Rn. 14
29)
BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - I ZB 56/21; Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 3. August 1989 - 1 BvR 1194/88, BeckRS 1989, 6919 [juris Rn. 11]
30)
BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - I ZB 56/21
verfahrensrecht/ordnungsmittel.txt · Zuletzt geändert: 2024/10/11 07:26 von mfreund