Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 233 der Zivilprozessordnung (ZPO) regelt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn eine Partei ohne eigenes Verschulden eine Frist versäumt hat.

§ 233 ZPO

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

§ 234 ZPO → Wiedereinsetzungsfrist
§ 236 ZPO → Wiedereinsetzungsantrag
§ 236 (1) ZPO → Form des Wiedereinsetzungsantrags
§ 236 (2) ZPO → Inhalt des Wiedereinsetzungsantrags
§ 237 ZPO → → Zuständigkeit für Wiedereinsetzung
§ 238 ZPO → Verfahren bei Wiedereinsetzung
§ 238 (2) ZPO → Entscheidung über die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags

§ 85 (2) ZPO → Verschulden des Prozessbevollmächtigten

§ 91 MarkenG → Wiedereinsetzung
§ 123 PatG → Wiedereinsetzung

Sorgfaltspflicht in Fristsachen
Büroorganisation des Rechtsanwalts
Organisationsverschulden
Fristenkontrolle
Ausgangskontrolle
Ungenaue oder unklare Angaben im Wiedereinsetzungsantrag
Entschuldbares Fristversäumnis nach Antrag auf Prozesskostenhilfe
Gerichtliche Fürsorgepflicht
Pflicht des Rechtsanwalts zur Nachfrage und Nachforschung
Gerichtliche Hinweispflicht bei nicht ausreichender Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs
Erkrankung des Rechtsanwalts
Fristversäumnis wegen wirtschaftlichem Unvermögen
Erledigungsvermerk in der Handakte
Zurechnung des Verschuldens einer Hilfskraft
Verzögerungen oder sonstige Fehler bei der Briefbeförderung oder Briefzustellung
Keine Hemmung der Rechtskraft durch Wiedereinsetzungsantrag

Nach § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden [→ Sorgfaltspflicht in Fristsachen] an der Einhaltung der Frist gehindert war.

Der Wiedereinsetzungsantrag die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten [§ 236 (2) ZPO → Inhalt des Wiedereinsetzungsantrags].

Die versäumte Hanldung muß innerhalb der Antragsfrist nachgeholt werden [§ 236 (2) ZPO → Inhalt des Wiedereinsetzungsantrags]. Bei erfolgreicher Wiedereinsetzung wird die nachgeholte Handlung als rechtzeitig fingiert. Bereits ergangene Beschlüsse werden, auch wenn sie bereits in Rechtskraft erwachsen sind, hinfällig. Erloschene Rechte leben rückwirkend wieder auf.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war.1)

Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten [→ Sorgfaltspflicht in Fristsachen ] wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen.2)

Die Umstände, aus denen sich ergibt, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Fristversäumung gekommen ist, müssen durch eine geschlossene, aus sich heraus verständliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe dargelegt werden.3)

Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen, der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet.4)

Jedoch darf die Partei erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutern und vervollständigen. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, eine Partei nach § 139 ZPO darauf hinzuweisen, dass die Umstände, die zur Fristversäumung geführt haben, vollständig vorgetragen werden müssen.5)

Die Anforderungen daran, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, dürfen nicht überspannt werden, um den Zugang zu Gericht nicht unnötig zu erschweren.6)

Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Für den Fall, dass die Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen wird, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden [→ Fristenkontrolle].7)

Ist ein Patent für zwei Patentinhaber erteilt worden, so sind beide Patentinhaber verfahrensrechtlich als notwendige Streitgenossen i.S.d. § 62 ZPO zu betrachten, so dass durch die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags seitens eines Pateninhabers auch der andere Patentinhaber zum Beteiligten des Wiedereinsetzungsverfahrens wird. Patentamtliche Beschlüsse, die in dem Wiedereinsetzungsverfahren ergehen, müssen somit beiden Patentinhabern zugestellt werden.8)

Aus Gründen der Verfahrensvereinfachung kann in derartigen Fällen, in denen es noch weiterer Beweiserhebungen zur Rechtzeitigkeit eines Rechtsbehelfs bedarf, andererseits aber schon jetzt davon auszugehen ist, dass selbst dann, wenn sich die Fristwahrung nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen lässt, jedenfalls Wiedereinsetzung zu gewähren wäre, dem Wiederein-setzungsgesuch stattgegeben werden.9)

siehe auch

ZPO, Buch 1, Abschnitt 3, Titel 2 → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Regelt die Voraussetzungen und das Verfahren für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn eine Partei ohne eigenes Verschulden eine Frist versäumt hat.

1)
BGH, Beschl. v. 18. November 2021 - I ZR 125/21; m.V.a. BGH, Beschluss vom 26. August 2021 - III ZB 9/21, juris Rn. 11, mwN
2)
st. Rspr. vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 8. November 2018 - I ZB 108/17 m.V.a. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 - IX ZB 4/17, juris Rn. 5
3)
st. Rspr.; BGH, Beschluss v. 10. Januar 2013 - I ZB 76/11; m.V.a. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2002 - IX ZA 10/01, NJW 2002, 2180, 2181; Beschluss vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501
4)
BGH, Beschl. v. 15. Dezember 2022 - I ZB 35/22; m.V.a. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2020 - VIII ZA 15/20, juris Rn. 14 mwN
5)
BGH, Beschl. v. 15. Dezember 2022 - I ZB 35/22; BGH, Beschluss vom 23. September 2015 - IV ZB 14/15, juris Rn. 10 mwN
6)
BGH, Beschl. v. 3. April 2008 - I ZB 73/07 - Münchner Weißwurst
7)
BGH, Beschl. v. 10. Februar 2022 - I ZB 46/21; m.w.N.
8)
BPatG, Beschl. v. 09.12.2004 – 10 W (pat) 40/04.
9)
BGH, Beschl. v. 27.2.2002 - I ZB 23/01, NJW-RR 2002, 1070 f.