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ep:technischer_charakter

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Technischer Charakter

Art. 52 (1) EPÜ → Patentierbare Erfindungen
Art. 52 (2) EPÜ → Nicht patentierbare Erfindungen
Art. 52 (3) EPÜ → Beschränkung des Patentierungsausschlusses

Technik
Abkehr vom Beitragsansatz beim Patentierungsausschluss
Historie des Technizitätserfordernisses
Biologische Kräfte und Phänomene
Beispiele für fehlenden technischen Charakter
Technischer Beitrag
Technische Mittel
Technische Überlegungen
Technische Wirkung

Der technische Charakter einer Erfindung ist eine grundlegende Voraussetzung, die in Artikel 52 (1) [→ Patentierbare Erfindungen] der revidierten Fassung des EPÜ, EPÜ 2000 (Sonderausgabe Nr. 1 zum ABl. EPA 2003) als ausdrückliches Erfordernis formuliert ist.1)

Der Begriff „Erfindung“ [Art. 51 (1) EPÜ → Patentierbare Erfindungen] ist zu verstehen als „Gegenstand mit technischem Charakter“ [→ Technischer Charakter].2)

Das im EPÜ verankerte Erfordernis des technischen Charakters kann nicht als erfüllt gelten, wenn eine beanspruchte Erfindung neben etwaigen technischen Ausführungsarten auch Ausführungsformen umfasst, die nicht als technisch zu bezeichnen sind.3)

Der technische Charakter einer Erfindung ist eine inhärente Eigenschaft, die nicht vom tatsächlichen Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik abhängt. 4)

Es entspricht der europäischen Rechtstradition, dass der Patentschutz technischen Schöpfungen vorbehalten ist. In der Tat war immer unstreitig, dass Schöpfungen in den Bereichen der Technik nach dem EPÜ schutzfähig sind.5)

Die Verwendung des Begriffs „Erfindung“ in Art. 52 (1) EPÜ 1973 in Verbindung mit den sogenannten „Ausschlussbestimmungen“ des Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 ist von den Beschwerdekammern so ausgelegt worden, dass er ein Erfordernis des technischen Charakters oder etwas Technisches impliziert, das durch eine beanspruchte Erfindung zu erfüllen ist, damit diese patentfähig ist.6)

Eine Erfindung kann eine Erfindung im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ sein, wenn durch sie z. B. eine technische Wirkung erzielt wird oder technische Überlegungen erforderlich sind, um sie auszuführen. Bei der Anwendung des EPÜ wird der technische Charakter einer Erfindung durchweg als wesentliche Voraussetzung für ihre Patentierbarkeit anerkannt.7)

„nützlich“ wird in einigen nationalen Patentrechtssystemen als Entsprechung zu dem in Art. 57 EPÜ 1973 enthaltenen Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit verwendet8); diese spezielle Bedeutung des Begriffs verleiht auch nicht unbedingt technischen Charakter. Demnach sind Überlegungen zum nützlichen oder praktischen Charakter kein Ersatz und kein äquivalentes Kriterium für das im EPÜ verankerte Erfordernis des technischen Charakters. Auch wenn die gewerbliche Anwendbarkeit und der technische Charakter einer Erfindung eng miteinander zusammenhängen9), sind sie doch keine Synonyme, sondern zwei voneinander getrennte, nicht äquivalente Erfordernisse nach dem EPÜ 197310).11)

Wurde der technische Charakter früher anhand des „Beitragsansatzes“ beurteilt, so hat die jüngere Rechtsprechung diesen zugunsten eines Ansatzes aufgegeben, bei dem das Erfordernis des technischen Charakters als ein von den übrigen Erfordernissen des Art. 52 (1) EPÜ 1973 - insbesondere von denen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit - getrenntes und unabhängiges Erfordernis angesehen wird, dessen Erfüllung dementsprechend ohne Berücksichtigung des Stands der Technik beurteilt werden kann.12)

Das im EPÜ verankerte Erfordernis des technischen Charakters kann nicht als erfüllt gelten, wenn eine Erfindung neben etwaigen technischen Ausführungsarten auch Ausführungsformen umfasst, die nicht als technisch zu bezeichnen sind.13))

Der technische Charakter ergibt sich entweder aus den physischen Merkmalen eines Gegenstands oder (bei einem Verfahren) aus der Verwendung technischer Mittel.14)

Jeder Anspruch, der technische Mittel umfasst, entgeht dem Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) EPÜ.15)

Da ein Anspruch, der auf ein Verfahren zum Betrieb eines Computers gerichtet ist, einen Computer umfasst, kann er nach Art. 52 (2) EPÜ nicht vom Patentschutz ausgeschlossen sein.16)

Durch den Einsatz technischer Mittel könne ein Verfahren für gedankliche Tätigkeiten ganz oder teilweise ohne menschliche Eingriffe durchgeführt werden und dadurch im Hinblick auf Art. 52 (3) EPÜ 1973 zu einem technischen Vorgang oder Verfahren werden, sodass eine Erfindung im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ 1973 vorliegt. 17)

Verfahrensschritte, die in der Änderung einer Geschäftsidee bestünden und dazu dienten, eine technische Aufgabe zu umgehen, anstatt sie mit technischen Mitteln zu lösen, könnten jedoch nicht zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen.18)

Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ

Der zweite Absatz von Artikel 52 EPÜ [→ Nicht patentierbare Erfindungen] ist nichts weiter als eine nicht erschöpfende Negativliste dessen, was nicht als Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) EPÜ anzusehen ist.19)

Unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck der Patentfähigkeitserfordernisse und der Rechtspraxis in den Vertragsstaaten des EPÜ haben die Beschwerdekammern den technischen Charakter der Erfindung als das allgemeine Kriterium angesehen, das in Artikel 52 Absätze 2 und 3 EPÜ [→ Patentierungsausschluß] enthalten ist.20)

Der Beitragsansatz wird bei der Beurteilung des Patentierungsausschlusses nach Artikel 52 (2) EPÜ nicht mehr angewendet. → Abkehr vom Beitragsansatz beim Patentierungsausschluss

Eine Einschränkung des generellen Anspruchs auf Patentschutz ist keine Frage des richterlichen Ermessens, sondern bedarf einer eindeutigen Rechtsgrundlage im Europäischen Patentübereinkommen.21)

Es bleibt weiterhin Rechtssprechung und Amtspraxis überlassen, festzustellen, ob ein als Erfindung beanspruchter Gegenstand technischen Charakter aufweist, und den Erfindungsbegriff im Lichte der technischen Entwicklung und dem jeweiligen Erkenntnisstand entsprechend sachgerecht weiter zu entwickeln.22)

Einschränkung des Patentierungsverbots durch Artikels 52 (3) EPÜ

Das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ durch die Beanspruchung beliebiger technischer Mittel überwunden werden kann.23)

Um patentfähig zu sein, muss der beanspruchte Gegenstand „technischen Charakter“ aufweisen oder – etwas präziser umschrieben – eine „Lehre zum technischen Handeln“ zum Gegenstand haben, d. h. eine an den Fachmann gerichtete Anweisung, eine bestimmte technische Aufgabe mit bestimmten technischen Mitteln zu lösen.24) [→ Technischer Beitrag]

Hat ein Produkt, Verfahren o. ä. technischen Charakter, so unterliegt es auch dann nicht dem Patentierbarkeitsausschluss gemäß Artikel 52 Absätze 2 und 3 EPÜ, wenn es sich formal auf einen der in Absatz 2 aufgezählten Gegenstände bezieht.25)

Kommt eine an und für sich nicht „technische“ Methode, z. B. eine mathematische Methode, in einem technischen Verfahren zum Einsatz, das mit Hilfe von technischen Mitteln zur Ausführung der Methode auf eine physikalische Erscheinung angewandt wird und bei dieser eine Veränderung hervorruft, so trägt diese Methode zum technischen Charakter der Erfindung als Ganzes bei.26)

Jeder beanspruchte Gegenstand, der technische Mittel definiert oder einsetzt, ist eine Erfindung im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ.27) Aus diesem Grund verleiht die bloße Aufnahme eines Computers, eines Computernetzwerks, eines lesbaren Mediums mit einem Programm usw. in einen Anspruch dem beanspruchten Gegenstand technischen Charakter.28)

Wie nachstehend ausgeführt, können Merkmale des Computerprogramms selbst (s. T 1173/97) oder das Vorhandensein einer im Anspruch definierten Vorrichtung dem beanspruchten Gegenstand unter Umständen technischen Charakter verleihen (s. T 769/92, ABl. 1995, 525; T 424/03 und T 258/03).

Gesamtbetrachtung

Bei der Prüfung auf Patentfähigkeit einer Erfindung in Bezug auf einen Anspruch sind die technischen Merkmale der Erfindung, d. h. die Merkmale, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, durch Auslegung des Anspruchs zu bestimmen.29)

Die Beschwerdekammern des EPA wenden eine ganzheitliche Sicht an, indem sie ein Computerprogramm für patentfähig erachtet haben, wenn es als Ganzes betrachtet einen technischen Beitrag zum Stand der Technik liefert.30)

Es ist zulässig, dass ein Anspruch eine Mischung aus technischen und „nichttechnischen“ Merkmalen aufweist, wobei die nichttechnischen Merkmale sogar den bestimmenden Teil des beanspruchten Gegenstands bilden können. Neuheit und erfinderische Tätigkeit können jedoch nur auf technische Merkmale gestützt werden, die somit im Anspruch deutlich definiert sein müssen. Nichttechnische Merkmale, die nicht mit dem technischen Gegenstand des Anspruchs zur Lösung einer technischen Aufgabe zusammenwirken, d. h. nichttechnische Merkmale „als solche“, leisten keinen technischen Beitrag zum Stand der Technik und werden daher bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht berücksichtigt.31)

Tatsächlich kann ein nichttechnisches Merkmal mit technischen Elementen so zusammenwirken, dass eine technische Wirkung entsteht, etwa durch seine Anwendung zur technischen Lösung einer technischen Aufgabe.32)

Bei einer Erfindung, die aus einer Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale besteht und als Ganzes technischen Charakter aufweist, sind in bezug auf die Beurteilung des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem technischen Charakter beitragen, wohingegen Merkmale, die keinen solchen Beitrag leisten, das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen können.33)

Ein Verfahren das ausdrücklicher menschlicher Eingriffe bedarf kann nicht allein aus diesem Grund der technische Charakter abgesprochen werden.34)

Es hängt generell vom jeweiligen Kontext ab, ob eine Information als technisch anzusehen ist.35)

Ist in der beanspruchten Erfindung überhaupt kein technischer Aspekt festzustellen, so kann der Erfindung insgesamt kein technischer Charakter zugesprochen werden.36)

siehe auch

1)
Entscheidung vom 22. März 2006 - T 619/02
2)
T 931/95, ABl. 2001, 441; T 619/02, ABl. 2007, 63; T 258/03, ABl. 2004, 575
3) , 4)
Entscheidung vom 22. März 2006 - T 619/02 - Leitsatz
5)
Rechtsprechung der Beschwerdekammern, I.A.1.1; m.V.a. T 22/85, ABl. 1990, 12; T 154/04, ABl. 2008, 46
6)
Rechtsprechung der Beschwerdekammern, I.A.1.1; m.V.a. T 931/95, T 1173/97 und T 935/97
7)
T 1173/97 (ABl. 1999, 609) und T 935/97
8)
s. Anm. 5 zu Art. 27 (1) TRIPs
9)
T 854/90
10)
T 953/94
11)
Rechtsprechung der Beschwerdekammern, I.A.1.1
12)
Rechtsprechung der Beschwerdekammern, I.A.1.2; m.V. T 1543/06
13)
T 619/02 (ABl. 2007, 63
14)
T 258/03 (ABl. 2004, 575)
15)
T 258/03
16)
T 258/03; siehe auch G 3/08
17)
T 38/86, ABl. 1990, 384, T 769/92
18)
Rechtsprechung der Beschwerdekammern, I.A.1.4.3
19) , 21) , 22) , 25) , 29) , 31)
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.01 vom 15. November 2006 T 154/04
20) , 32)
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.01 vom 15. November 2006 T 154/04; m.w.N.
23)
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 9. Dezember 2010 G 2/07 unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung
24)
Technischen Beschwerdekammer 3.5.01 vom 15. November 2006 T 154/04
26)
T 1814/07
27)
siehe T 424/03 und T 258/03, bestätigt in G 3/08
28)
Rechtsprechung der Beschwerdekammern, I.A.1.4.1
30)
z. B. Entsch. v. 14.2.1989 - T 38/86, ABl. EPA 1990, 384 - Textverarbeitung; v. 29.4.1992 - T 164/92, ABl. EPA 1995, 305 - Elektronische Rechenbausteine); hiervon ist in den Entscheidungen vom 1.7.1998 (T 1173/97, ABl. EPA 1999, 609 Computerprogrammprodukt) und vom 4.2.1999 (T 935/97, [1999] R.P.C. 861 - Computer program product II
33)
T 641/00 - Comvik
34)
Entscheidung vom 22. März 2006 - T 619/02; m.V.a. T 38/86, ABl. EPA 1990, 384, Nr. 12 der Entscheidungsgründe
35)
Entscheidung vom 22. März 2006 - T 619/02; m.V.a. T 1177/97, Nr. 3 der Entscheidungsgründe
36)
Entscheidung vom 22. März 2006 - T 619/02; m.V.a. Entscheidung T 931/95 und Entscheidung T 258/03
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