Organisationsverschulden

Anwaltliche Sorgfaltspflicht in Fristsachen
Fristenkontrolle
Ausgangskontrolle

Das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO → Gleichstellung des Verschuldens des Bevollmächtigten), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange die Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft.1)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und beim zuständigen Gericht innerhalb der laufenden Frist eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zu diesem Zweck ist die Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet.2)

Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Für den Fall, dass die Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen wird, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein [→ Organisationsverschulden], dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden [→ Fristenkontrolle].3)

Ein die Wiedereinsetzung [§ 233 ZPO → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand] ausschließendes Organisationsverschulden liegt vor, wenn eine mit der Weiterleitung von Post, insbesondere von Zahlungserinnerungen, beauftragte Hilfsperson nicht stichprobenhaft überwacht wird. Wird das Arbeitsverhältnis mit der Hilfsperson gelöst, darf der Patentinhaber von diesem Zeitpunkt an auf eine fortdauernde Weiterleitung von Zahlungsaufforderungen nicht mehr vertrauen und muss die Überwachung der Zahlungsfristen neu organisieren.4)

Die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax stellt eine einfache Bürotätigkeit dar, mit der geschultes und zuverlässiges Kanzleipersonal beauftragt werden darf.5)

Wird eine nicht unterzeichnete Rechtsmittel-(Begründungs-)Schrift fristgerecht bei Gericht eingereicht, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen.6)

siehe auch

§ 233 ZPO → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder bestimmte andere Fristen einzuhalten, ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

1)
BGH, Beschluss vom 21. November 2024 - I ZB 34/24
2)
vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2024 - I ZB 34/24, m.V.a. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2019 - VIII ZB 103/18, NJW-RR 2020, 52 [juris Rn. 11 f.] mwN; Beschluss vom 9. Januar 2020 - I ZB 41/19, juris Rn. 9; Beschluss vom 22. November 2022 - XI ZB 13/22, NJW 2023, 1224 [juris Rn. 10]
3)
BGH, Beschl. v. 10. Februar 2022 - I ZB 46/21; m.w.N.
4)
BPatG, Beschl. v. 11.08.2005 – 10 W (pat) 22/04.
5)
BGH, Beschluss vom 8. November 2018 - I ZB 108/17; m.V.a. BGH, Beschluss vom 7. November 2012 - IV ZB 20/12, NJW-RR 2013, 305 Rn. 7; Beschluss vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, NJWRR 2013, 1467 Rn. 9, jeweils mwN
6)
BGH, Beschluss vom 8. November 2018 - I ZB 108/17; m.V.a. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2014 - VI ZB 15/14, NJW 2014, 2961 Rn. 9; Beschluss vom 18. Februar 2016 - IX ZB 30/15, juris Rn. 5