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verfahrensrecht:zurueckgewiesene_und_neue_angriffs-_und_verteidigungsmittel

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Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel

§ 531 (1) ZPO

Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

§ 531 (2) ZPO

Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

  1. einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
  2. infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
  3. im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.

Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

§ 529 (1) ZPO → Prüfungsumfang des Berufungsgerichts

Neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO sind alle Angriffs- und Verteidigungsmittel, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz nicht vorgebracht worden sind oder zwar zunächst vorgebracht, dann aber fallengelassen worden sind.1)

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Von Nachlässigkeit in diesem Sinne ist auszugehen, wenn die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht der ersten Instanz bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.2)

Der Partei schadet bereits ein einfach fahrlässiger Verstoß gegen ihre prozessuale Sorgfaltspflicht.3)

Eine Verpflichtung, tatsächliche Umstände, die der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln, ist daraus jedoch grundsätzlich nicht abzuleiten; diese kann allenfalls durch besondere Umstände begründet werden.4)

Das Berufungsgericht kann gemäß § 531 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Glaubhaftmachung derjenigen Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt, und muss im Fall ihrer Zurückweisung die den Fahrlässigkeitsvorwurf begründenden Tatsachen in seinem Urteil feststellen.5)

Ungeachtet des § 531 ZPO ist neues unstreitiges Vorbringen stets zuzulassen.6)

Unstreitiges Vorbringen im Patentnichtigkeitsverfahren

Ein neues Angriffsmittel, das aus im zweiten Rechtszug neu eingeführten technischen Informationen einer Entgegenhaltung hergeleitet werden und das Klagevorbringen stützen soll, ist im Patentnichtigkeitsberufungsverfahren unabhängig davon nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 ZPO zuzulassen, ob Vorveröffentlichung und technischer Inhalt der Entgegenhaltung außer Streit stehen. Für Dokumente, die eine von der Erfindung wegführende technische Entwicklung belegen könnten und daher als Verteidigungsmittel des Beklagten in Betracht kommen, gilt Entsprechendes.7)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel im Zivilprozess zwar nur streitiges und daher beweisbedürftiges Vorbringen8). Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof insbesondere darauf hingewiesen, dass dem Zweck des Zivilprozesses eine Auslegung der Vorschrift widerspreche, nach der das Gericht sehenden Auges auf einer falschen, von keiner Partei vorgetragenen tatsächlichen Grundlage entscheiden müsste9). Diese Erwägungen können auf die Einführung von neuem Stand der Technik im Patentnichtigkeitsverfahren, dessen Besonderheiten der Gesetzgeber des Patentrechtsmodernisierungsgesetzes in § 117 PatG durch die Anordnung einer lediglich entsprechenden Anwendung des § 531 Abs. 2 Rechnung getragen hat10), aber nicht übertragen werden.11)

Über die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents entscheidet, ob der Stand der Technik die unter Schutz gestellte technische Lehre vorwegnimmt oder dem Fachmann hinreichende Anregungen vermittelt, bekannte technische Lösungen zu dieser technischen Lehre abzuwandeln oder weiterzuentwickeln. Der Stand der Technik besteht dabei aus der regelmäßig unüberschaubaren Vielzahl von Druckschriften und sonstigen Entgegenhaltungen, aus der sich Bausteine für die dem Kläger des Patentnichtigkeitsverfahrens obliegende Darlegung ergeben können, dass und inwiefern der Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich getroffen oder dem Fachmann nahegelegt gewesen sei. Von den eher seltenen Fällen abgesehen, in denen relevante Bestandteile des Standes der Technik aus einer vom Kläger behaupteten offenkundigen Vorbenutzung bestehen oder der Zeitpunkt streitig ist, zu dem eine bestimmte technische Lehre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, besteht der im Rechtsstreit erörterte Stand der Technik im Wesentlichen aus amtlich veröffentlichten Patentdokumenten oder anderen Veröffentlichungen feststehenden Datums und ist daher in aller Regel als solcher unstreitig. Ein Angriffsmittel wird aus dem typischerweise ebenso unbegrenzten wie unüberschaubaren Stand der Technik jedoch erst durch die Darlegung des Klägers, welchen konkreten Beitrag welche Bestandteile welcher Entgegenhaltung zu der geltend gemachten mangelnden Patentfähigkeit leisten sollen12). Obwohl über die Patentfähigkeit letztlich die rechtlichen Schlussfolgerungen entscheiden, die aus den (potentiell) relevanten Beiträgen zur Beurteilung der Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit zu ziehen sind, ist das Patentgericht weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, von sich aus zu ermitteln, worin diese relevanten Beiträge liegen könnten. Andernfalls könnte sich der Kläger darauf beschränken, eine Vielzahl von Entgegenhaltungen vorzulegen oder auch nur aufzulisten, und es dem Patentgericht überlassen, deren Inhalt auszuwerten und zu prüfen, ob und inwiefern sich hieraus Anhaltspunkte für eine mangelnde Patentfähigkeit ergeben. Damit würde das Patentgericht jedoch seine Aufgabe verfehlen, unparteiisch zu wägen, ob der Klagevortrag das Klagebegehren rechtfertigt, und sich in die Rolle eines Klägerhelfers begeben; dafür bietet indes auch der Amtsermittlungsgrundsatz keine Grundlage. Dies erhellt, dass im Patentnichtigkeitsverfahren die unstreitige Zugehörigkeit einer bestimmten Entgegenhaltung zum Stand der Technik keinen tauglichen Maßstab für die Qualifikation als (neues) Angriffsmittel bilden kann. Angriffsmit-tel ist vielmehr die Darlegung des Klägers, welche bestimmten technischen Informationen, die der Fachmann einer bestimmten Entgegenhaltung oder be-stimmten Entgegenhaltungen entnehmen kann, das Klagebegehren rechtfertigen sollen. Für Entgegenhaltungen, die eine von der Erfindung wegführende technische Entwicklung belegen könnten und daher als Verteidigungsmittel des Beklagten in Betracht kommen, gilt Entsprechendes.13)

Fehlende Nachlässigkeit bei der Patentrecherche

Beruft sich der Kläger darauf, eine Entgegenhaltung erst durch eine nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils durchgeführte Recherche aufgefunden zu haben, ist das hierauf gestützte Angriffsmittel nur dann nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen, wenn der Kläger dartut, dass die Entgegenhaltung mit einem sachgerecht gewählten Suchprofil bei der für die Begründung der Patentnichtigkeitsklage durchgeführten Recherche nicht aufgefunden werden konnte.14)

Im Übrigen setzt die Darlegung mangelnder Nachlässigkeit bei der Ermittlung des für die Begründung des Klageangriffs relevanten Standes der Technik voraus, dass der Kläger konkret dartut, wie er das Suchprofil seiner erstinstanzlichen Recherche angelegt hat, warum er ein solches Profil gewählt hat und nicht dasjenige, das zur Ermittlung des in zweiter Instanz neu angeführten Stands der Technik geführt hat, und dass bei dem gewählten Suchprofil der in zweiter Instanz vorgebrachte Angriff gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents in erster Instanz nicht geführt werden konnte. Erst durch eine solche - im Streitfall fehlende - Darlegung wird der Beklagte in die Lage versetzt, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die erstinstanzliche Recherche sorgfältiger Prozessführung entsprochen hat, und dem Bundesgerichtshof die Prüfung ermöglicht, ob die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO für die Zulassung des neuen Vorbringens vorliegen. Nach § 112 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c PatG gehören die Tatsachen, aufgrund deren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 117 PatG zuzulassen sind, deshalb auch zu den Berufungsgründen, die bereits die Berufungsbegründung enthalten muss, wenn sie die Zulässigkeit der Berufung tragen sollen. Es war erklärtes Regelungsziel des Reformgesetzgebers, das Nichtigkeitsberufungsverfahren zu einem Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung umzugestalten (Begründung zum Entwurf zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 316). Dem reformierten Patentgesetz liegt das gesetzgeberische Bekenntnis zu einem Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde, in dem der Streitstoff in erster Instanz prinzipiell abschließend festgelegt wird und der später nur unter den Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der §§ 529 bis 531 ZPO erweitert werden kann. Mit dieser Zielsetzung wäre die Gestattung eines unter den Vorbehalt subjektiver Zweckmäßigkeit gestellten, prinzipiell zwischen den beiden Instanzen des Nichtigkeitsverfahrens unterscheidenden Patentrechercheaufwands unvereinbar.15)

Zur Darlegung fehlender Nachlässigkeit reicht es grundsätzlich auch nicht aus, dass das Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG keine Frist zur Ergänzung ihres Vorbringens gesetzt hat.16)

Der Nichtigkeitskläger ist grundsätzlich nicht gehalten, den Angriff gegen die Patentfähigkeit des Streitpatents auf alle denkbaren Gesichtspunkte zu stützen, insbesondere mit einer Vielzahl unterschiedlicher Argumentationslinien zu begründen, warum der Gegenstand der Erfindung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt sei.17)

§ 531 (2) S. 2 ZPO Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

siehe auch

Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel

§ 531 der Zivilprozessordnung (ZPO) regelt die Zulässigkeit von Angriffs- und Verteidigungsmitteln in der Berufungsinstanz.

§ 531 (1) ZPO → Ausschluss zurückgewiesener Angriffs- und Verteidigungsmittel
Bestimmt, dass Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen wurden, ausgeschlossen bleiben.

§ 531 (2) ZPO → Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel
Erlaubt die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel unter bestimmten Voraussetzungen, wie übersehene Gesichtspunkte oder Verfahrensmängel.

siehe auch

ZPO, Buch 2, Abschnitt 1, Titel 1 → Berufung
Regelt die Voraussetzungen und das Verfahren der Berufung, einschließlich der Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen.

1)
BGH, Urteil vom 27. Mai 2021 - I ZR 119/20 - Lautsprecherfoto; m.V.a. BGH, Urteil vom 31. Mai 2017 - VIII ZR 69/16, NJW 2017, 2288 Rn. 19
2)
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre; m.V.a. BGH, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295 [juris Rn. 20] mwN
3)
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre; m.V.a. BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245 [juris Rn. 25]; Urteil vom 14. Mai 2009 - I ZR 208/06, TranspR 2009, 477 [juris Rn. 22]; Beschluss vom 12. November 2020 - IX ZR 214/19, NJW-RR 2021, 56 [juris Rn. 11]
4)
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre; m.V.a. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 [juris Rn. 9] mwN
5)
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre; m.V.a. BGH, Urteil vom 8. November 1990 - VII ZR 3/90, NJW-RR 1991, 701; Urteil vom 15. Oktober 2002 - X ZR 69/01, NJW 2003, 200 [juris Rn. 34]
6)
BGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre; m.V.a. BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 - II ZR 391/18, DNotZ 2021, 456 [juris Rn. 29] mwN
7) , 11) , 13) , 14) , 15)
BGH, Urteil vom 27. August 2013 - X ZR 19/12 - Tretkurbeleinheit
8)
BGH, Urteil vom 18. November 2004 IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 142; Beschluss vom 23. Juni 2008 GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10
9)
BGHZ 161, 138, 143
10)
s. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/11339, S. 24; Gröning, GRUR 2012, 996, 998 f.
12)
BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11, BGHZ 194, 290 Rn. 36 - Fahrzeugwechsel-stromgenerator
16)
BGH, Urteil vom 27. August 2013 - X ZR 19/12 - Tretkurbeleinhei Fehlende Nachlässigkeit kann nicht damit begründet werden, die Recherche, die den neu eingeführten Stand der Technik zutage gefördert habe, sei erst in der Berufungsinstanz durchgeführt worden. Darzulegen ist vielmehr, warum diese Recherche auch bei sorgfältiger Prozessführung in erster Instanz (noch) nicht veranlasst war.((BGH, Urteil vom 27. August 2013 - X ZR 19/12 - Tretkurbeleinheit
17)
BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11 - Fahrzeugwechselstromgenerator
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