Verfahrensgrundsätze des Einspruchsverfahrens

Das Einspruchsverfahren ist nicht durchgehend wie ein echtes Streitverfahren ausgebildet, wie beispielsweise das Nichtigkeitsverfahren. Es hat vielmehr einen verwaltungsrechtlichen Charakter. Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze sind wie folgt ausgeprägt:

Gemäß § 59 III i.V.m. § 46 I PatG gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, der im Wesentlichen den Untersuchungsgrundsatz impliziert. Eine Bindung an den Vortrag des Einsprechenden (Antragsgrundatz) besteht demnach nicht.

Das Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren hat nach neuem Recht die Aufrechterhaltung oder den Widerruf eines bereits bestehenden Schutzrechts zum Gegenstand (nachgeschaltetes Verfahren). Seine Ausgangslage ist mithin anders als nach altem Recht mit derjenigen des Nichtigkeits- oder Gebrauchsmusterlöschungsverfahrens vergleichbar. Zweck dieser Gesetzesänderung war die Anpassung des nationalen Einspruchsverfahrens an die Regelung der Art. 99 ff. EPÜ, nicht aber dessen Annäherung an das Nichtigkeits- oder Gebrauchsmusterlöschungsverfahren.1)

Durchbrechung des Verfügungsgrundsatzes

Der Verfügungsgrundsatz ist dadurch durchbrochen, daß das Verfahren gemäß § 61 I S.2 PatG von Amts wegen ohne den Einsprechenden fortgesetzt, wenn der Einspruch zurückgenommen wird.

Das Einspruchsverfahren wird grundsätzlich ebenso wie nach Rücknahme des Einspruchs fortgesetzt, wenn der Einsprechende ohne Rechtsnachfolger erloschen ist.2)

Vor dem EPA gilt gemäß Art. 114 ebenfalls der Amtsermittlungsgrundsatz.

Berücksichtigung neuer Tatsachen

Inwieweit verspätet vorgebrachte Tatsachen zu berücksichtigen sind, ist umstritten.

Nach herrschender Meinung sind im erstininstanzlichen Einspruchsverfahren neue Tatsachen nach pflichtgemäßem Ermessen zu berücksichtigen, beispielsweise wenn ein neu eingeführtes Dokument relevanter als der bisherige SdT ist (hochrelevanter SdT).

Nach Auffassung des 9. Senats ist die Einsprechende nicht berechtigt, nach Ablauf der Einspruchsfrist neue Tatsachen zur Begründung ihres Einspruchs nachzuschieben, und sie hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung solchen verspäteten Vorbringens. Druckschriften, die erst nach Ablauf der Einspruchsfrist genannt werden, haben die Patentabteilung oder der Beschwerdesenat wegen des im Einspruchsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes auf ihre Erheblichkeit zu prüfen. Kommt der Senat nach Prüfung der „verspätet“ genannten Entgegenhaltungen zu dem Ergebnis, dass diese Druckschriften nicht entscheidungserheblich sind, bedarf es keiner Begründung, warum die Entgegenhaltungen für die Entscheidung über den Einspruch nicht relevant sind.3)

Der 11. Senat führt unter Hinweis auf die BGH-Entscheidung Aluminium-Trohydroxid aus, dass es dem Charakter des Einspruchsverfahrens widerspräche, von den Einsprechenden nicht geltend gemachte Einspruchsgründe unberücksichtigt zu lassen. Diese Grundsätze müssen nach Auffassung des 11. Senats auch für das erstinstanzliche (gerichtliche) Einspruchsverfahren gelten.4)

EPÜ:

Hochrelevanter SdT ist in erster Instanz (wie nach Patentgesetz) zu berücksichtigen. In zweiter Instanz ist Tatsachenmaterial nur noch zu berücksichtigen, wenn es hochrelevant ist und der Patentinhaber zustimmt. Kommt es durch den neuen Tatsachenvortrag nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens, so ist allerdings keine Zustimmung des Patentinhabers erforderlich.

siehe auch

1)
BGH GRUR 1989, 103 „Verschlußvorrichtung für Gießpfannen„
2)
BPatG, Beschl. v. 12.01.2009 - 11 W (pat) 29/04
3)
BPatG, Beschl. v. 10.02.2003, 9 W (pat) 15/01.
4)
BPatG Jahresbericht 2003, .V.a. BPatG Beschl. v. 17.07.2003, 23 W (pat) 701/02, BlfPMZ 2004, 65 – Gerichtliches Einspruchsverfahren; so auch im Ergebnis eine Entscheidung des 23. Senats