Eine falsche Patentauslegung des Oberlandesgerichts füllt für sich einen Zulassungsgrund nicht aus. Da das Patent hinsichtlich seiner Auslegung wie ein Rechtssatz zu behandeln ist [→ Rechtsnormcharakter eines erteilten Patentanspruchs] und die Auslegung eine unmittelbare Aussage nur hinsichtlich des betreffenden Schutzrechts erlaubt, liegt hierin an sich lediglich ein Rechtsanwendungsfehler in einem Einzelfall.1)
Solche Rechtsfehler haben regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung und erfordern regelmäßig auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.2)
Etwas anderes gilt erst bei Hinzutreten besonderer Umstände, die dazu führen, dass über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt sind.3)
Solche besondere Umstände, die dazu führen, dass über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt sind, können etwa bei einer Missachtung grundlegender Auslegungsregeln und der damit einhergehenden Gefahr einer wiederholt fehlerhaften Patentauslegung der Fall sein.4)
Ein Revisionszulassungsgrund ist jedoch gegeben, sobald der Bundesgerichtshof seiner Entscheidung im Nichtigkeitsberufungsverfahren eine Auslegung des Patents zugrunde gelegt hat, die in einem für den Patentverletzungsprozess entscheidungserheblichen Punkt von derjenigen abweicht, die das Oberlandesgericht seinem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Urteil zugrunde gelegt hatte.5)
Ergibt sich dieser Zulassungsgrund erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde, muss er mittels eines Gesuchs auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend gemacht werden.6)
Mit einem Widerspruch in der Anspruchsauslegung ist zwar nicht der sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Zweck erfüllt, Divergenzen in den von der Rechtsprechung der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten Rechtssätzen zu vermeiden. Denn mit der Auslegung des Patents wird gerade kein Rechtssatz auf-gestellt. Indes ist die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf eine solche (echte) Divergenz im Rechtssatz nicht beschränkt, wenn der Rechtsfehler zu einem vergleichbaren nicht hinnehmbaren Zustand führt.7)
Nach ständiger Rechtsprechung verlangt das mit der Patentauslegung erstrebte Erkenntnisziel, dass kein Unterschied gemacht wird, ob die Auslegung zur Beurteilung der Patentfähigkeit oder zur Prüfung vorgenommen wird, ob das Patent verletzt wird8). In beiden Fällen ist maßgeblich, wie der Patentanspruch nach objektiven Kriterien aus fachlicher Sicht zu bewerten ist9).10)
Es ist also gleichermaßen durch Bewertung seines Wortlauts aus der Sicht des Fachmanns zu bestimmen, was sich aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als Lehre zum technischen Handeln ergibt, für die Schutz beansprucht wird bzw. die unter Schutz gestellt ist.11)
Hiermit vertrüge sich nicht, wenn die vom Oberlandesgericht im Verletzungsrechtsstreit vorgenommene Patentauslegung nicht überprüft und ggf. korrigiert werden könnte, sobald diese Auslegung in einem entscheidungserheblichen Punkt von der Bestimmung des Sinngehalts abweicht, die der Bundesgerichtshof seiner Entscheidung im Nichtigkeitsprozess zugrunde gelegt hat, und die Korrektur nur deshalb unterbleiben müsste, weil das Oberlandesgericht zu-erst entschieden und die Revision nicht zugelassen hat. Durch Fortbestehen dieses offenkundigen Widerspruchs zu dieselbe Frage betreffender höchstrichterlicher Rechtsauffassung würde das Vertrauen in die Rechtsprechung nachhaltig beeinträchtigt. Die Funktionsfähigkeit des Prinzips der Trennung von Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren wäre infrage gestellt. Das allgemeine Interesse an der Verhinderung widerstreitender Rechtstitel gewinnt dadurch gerade in Patentsachen eine Bedeutung, die es erfordert, dass in den erörterten Fällen die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden kann (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).12)
Das steht nicht zuletzt in Einklang sowohl mit dem Umstand, dass im Patentverletzungsrechtsstreit die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Patentnichtigkeitsverfahren ausgesetzt werden kann 13), als auch mit der gerichtlichen Organisation in Patentsachen, weil hiernach das Nichtigkeits- und das Verletzungsverfahren letztinstanzlich vor dem Bundesgerichtshof zu führen sind.14)
Der Umstand, dass nach ständiger Rechtsprechung jedes mit der Patentauslegung befasste Gericht die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs in Beantwortung einer Rechtsfrage15) eigenverantwortlich16) vorzunehmen hat und dass deshalb der zur Entscheidung über die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde berufene Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nicht an die Auslegung durch den Xa Zivilsenat gebunden wäre, ändert nichts daran, dass der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nachträglich entstanden ist. Denn insoweit gilt nichts anderes als im Fall der (echten) Divergenz im Rechtssatz. Dort genügt für die Anerkennung als Zulassungsgrund, dass die zu klärende Frage für die Revisionsentscheidung streiterheblich ist; auf das Ergebnis der Klärung kommt es hingegen nicht an17).18)