Im Widerspruchsverfahren ergibt sich durch Artikel 74 I S.2 GMV eine Einschränkung des sonst gültigen Amtsermittlungsgrundsatzes: Das Amt beschränkt sich bei seinen Ermittlungen auf das Vorbringen von den Parteien.
Das Amt braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.
Aus diesem Wortlaut folgt, dass als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift die Beteiligten Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 40/94 geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem HABM keineswegs untersagt ist, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen.1)
Andererseits ergibt sich aus diesem Wortlaut ebenso eindeutig, dass ein solches verspätetes Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln dem Beteiligten, von dem es stammt, keinen bedingungslosen Anspruch darauf verleihen kann, dass diese Tatsachen oder Beweismittel vom HABM berücksichtigt werden. Denn mit der Klarstellung, dass das HABM in einem solchen Fall die fraglichen Tatsachen und Beweismittel nicht zu berücksichtigen „braucht“, räumt Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 dem HABM ein weites Ermessen ein, um unter entsprechender Begründung seiner Entscheidung darüber zu befinden, ob die Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen sind oder nicht.2)
Eine solche Berücksichtigung durch das HABM kann, wenn es im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens zu entscheiden hat, insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass zum einen die verspätet vorgebrachten Gesichtspunkte auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für das Ergebnis des bei ihm eingelegten Widerspruchs sein können und dass zum anderen das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt, und die Umstände, die es begleiten, einer solchen Berücksichtigung nicht entgegenstehen.3)
Zum einen nämlich entspricht es dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung und dem Erfordernis, den sachgerechten Ablauf und die Effizienz der Verfahren zu gewährleisten, dass die Beteiligten dazu veranlasst werden, die ihnen vom HABM für die Durchführung eines Verfahrens gesetzten Fristen einzuhalten. Dass das HABM gegebenenfalls entscheiden kann, die von den Beteiligten außerhalb der festgelegten Fristen vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel nicht zu berücksichtigen, erscheint bereits für sich genommen geeignet, den Beteiligten eine solche Veranlassung zu geben.4)
Zum anderen kann diese Auslegung, da sie der zur Entscheidung über die Streitigkeit berufenen Stelle gleichwohl die Möglichkeit belässt, von den Beteiligten verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen, zumindest im Fall eines Widerspruchsverfahrens dazu beitragen, die Eintragung von Marken zu verhindern, deren Benutzung anschließend mittels eines Verfahrens der Nichtigerklärung oder anlässlich eines Verletzungsverfahrens mit Erfolg entgegengetreten werden könnte. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, sprechen hierfür Gründe der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung.5)