Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bekräftigt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze, die sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, den Sozialchartas der Union und des Europarats sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt und fördert die Werte der Würde, Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umsetzen, grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht und damit auch an den durch das Unionsrecht gewährleisteten Grundrechten zu messen [→ Richtlinienkonforme Auslegung], soweit die Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum über lässt, sondern zwingende Vorgaben macht.1)

Titel I: Würde des Menschen

Der erste Titel der Charta befasst sich mit der Würde des Menschen, die als unantastbar angesehen wird. Er umfasst das Recht auf Leben, das Recht auf Unversehrtheit, das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung sowie das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit.

Art. 1 → Würde des Menschen
Die Würde des Menschen ist unantastbar und muss geachtet und geschützt werden.

Art. 2 → Recht auf Leben
Jeder Mensch hat das Recht auf Leben; die Todesstrafe ist verboten.

Art. 3 → Recht auf Unversehrtheit
Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.

Art. 4 → Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung sind verboten.

Art. 5 → Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit sind verboten.

Titel II: Freiheiten

Der zweite Titel behandelt die Freiheiten, die den Menschen in der Union zustehen, einschließlich des Rechts auf Freiheit und Sicherheit, der Achtung des Privat- und Familienlebens, des Schutzes personenbezogener Daten, der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie der Meinungs- und Informationsfreiheit.

Art. 6 → Recht auf Freiheit und Sicherheit
Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.

Art. 7 → Achtung des Privat- und Familienlebens
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens.

Art. 8 → Schutz personenbezogener Daten
Jede Person hat das Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten.

Art. 9 → Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen
Das Recht auf Ehe und Familiengründung wird gewährleistet.

Art. 10 → Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Art. 11 → Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit.

Art. 12 → Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Jede Person hat das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.

Art. 13 → Freiheit der Kunst und der Wissenschaft
Kunst und Wissenschaft sind frei.

Art. 14 → Recht auf Bildung
Jede Person hat das Recht auf Bildung und Zugang zur beruflichen Ausbildung.

Art. 15 → Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten
Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen Beruf auszuüben.

Art. 16 → Unternehmerische Freiheit
Die unternehmerische Freiheit wird anerkannt.

Art. 17 → Eigentumsrecht
Jede Person hat das Recht auf Eigentum und dessen Schutz.

Art. 18 → Asylrecht
Das Recht auf Asyl wird nach internationalen Abkommen gewährleistet.

Art. 19 → Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung
Kollektivausweisungen sind unzulässig; Schutz vor Abschiebung in unsichere Staaten.

Titel III: Gleichheit

Der dritte Titel widmet sich der Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz und umfasst das Verbot der Diskriminierung, die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen sowie die Gleichheit von Frauen und Männern.

Art. 20 → Gleichheit vor dem Gesetz
Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.

Art. 21 → Nichtdiskriminierung
Diskriminierungen aus verschiedenen Gründen sind verboten.

Art. 22 → Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen
Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.

Art. 23 → Gleichheit von Frauen und Männern
Die Gleichheit von Frauen und Männern ist sicherzustellen.

Art. 24 → Rechte des Kindes
Kinder haben Anspruch auf Schutz und Fürsorge.

Art. 25 → Rechte älterer Menschen
Ältere Menschen haben das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben.

Art. 26 → Integration von Menschen mit Behinderung
Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf Maßnahmen zur Integration.

Titel IV: Solidarität

Der vierte Titel behandelt die Solidarität und umfasst Rechte und Prinzipien wie das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, das Recht auf Kollektivverhandlungen, den Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung und den Gesundheitsschutz.

Art. 27 → Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen
Arbeitnehmer haben das Recht auf Unterrichtung und Anhörung.

Art. 28 → Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen
Recht auf Tarifverhandlungen und kollektive Maßnahmen wird anerkannt.

Art. 29 → Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst
Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst.

Art. 30 → Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung
Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung.

Art. 31 → Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen
Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.

Art. 32 → Verbot der Kinderarbeit und Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz
Kinderarbeit ist verboten; Schutz der Jugendlichen am Arbeitsplatz.

Art. 33 → Familien- und Berufsleben
Schutz der Familie und Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben.

Art. 34 → Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung
Recht auf soziale Sicherheit und Unterstützung wird anerkannt.

Art. 35 → Gesundheitsschutz
Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und ärztliche Versorgung.

Art. 36 → Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
Anerkennung des Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse.

Art. 37 → Umweltschutz
Ein hohes Umweltschutzniveau muss sichergestellt werden.

Art. 38 → Verbraucherschutz
Die Politik der Union stellt ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher.

Titel V: Bürgerrechte

Der fünfte Titel umfasst die Bürgerrechte, einschließlich des aktiven und passiven Wahlrechts, des Rechts auf eine gute Verwaltung, des Petitionsrechts und der Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit.

Art. 39 → Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament
Unionsbürger haben das Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Art. 40 → Aktives und passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen
Unionsbürger haben das Wahlrecht bei Kommunalwahlen.

Art. 41 → Recht auf eine gute Verwaltung
Recht auf unparteiische und gerechte Behandlung durch die Union.

Art. 42 → Recht auf Zugang zu Dokumenten
Recht auf Zugang zu Dokumenten der Union.

Art. 43 → Der Europäische Bürgerbeauftragte
Recht, den Europäischen Bürgerbeauftragten bei Missständen zu befassen.

Art. 44 → Petitionsrecht
Recht, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten.

Art. 45 → Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit
Recht auf Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit innerhalb der Union.

Art. 46 → Diplomatischer und konsularischer Schutz
Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz in Drittländern.

Titel VI: Justizielle Rechte

Der sechste Titel behandelt die justiziellen Rechte, einschließlich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, der Unschuldsvermutung und der Verteidigungsrechte.

Art. 47 → Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
Recht auf wirksamen Rechtsbehelf und unparteiisches Gericht.

Art. 48 → Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte
Unschuldsvermutung und Achtung der Verteidigungsrechte.

Art. 49 → Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen
Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit bei Straftaten.

Art. 50 → Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden
Recht, nicht wegen derselben Straftat zweimal verfolgt zu werden.

Titel VII: Allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta

Der siebte Titel enthält allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta, einschließlich ihres Anwendungsbereichs und der Tragweite der Rechte und Grundsätze.

Art. 51 → Anwendungsbereich
Die Charta gilt für die Organe der Union und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts.

Art. 52 → Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze
Einschränkungen der Rechte müssen gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein.

Art. 53 → Schutzniveau
Die Charta darf die bestehenden Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht einschränken.

Art. 54 → Verbot des Missbrauchs der Rechte
Die Charta darf nicht zur Abschaffung oder Einschränkung der anerkannten Rechte missbraucht werden.

siehe auch

Europäische Menschenrechtskonvention
Grundrechte der Europäischen Union

Grundrecht
Die Grundrechte bilden zusammen mit dem übrigen Verfassungsrecht die Spitze der Rechtsordnung.

1)
BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 115/16 - Metall auf Metall IV; m.V.a. BVerfGE 142, 74 Rn. 115; BVerfG, GRUR 2020, 88 Rn. 42 bis 46 = WRP 2020, 57 - Recht auf Vergessen II