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verfahrensrecht:beschraenkung_der_rechtskraft_auf_den_streitgegenstand

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Beschränkung der Rechtskraft auf den Streitgegenstand

Nach § 322 Abs. 1 ZPO ist ein Urteil der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Der Umfang der materiellen Rechtskraft wird maßgeblich durch den Streitgegenstand, über den das Gericht entschieden hat, bestimmt. Die Rechtskraft ergreift grundsätzlich nur den geltend gemachten Anspruch in dem beantragten Umfang (BGH, Urt. v. 15.7.1997 - VI ZR 142/95, NJW 1997, 3019, 3020; Urt. v. 20.7.2005 - XII ZR 155/04, FamRZ 2005, 1538))

Nicht in Rechtskraft erwachsen:

  • Materielle Anspruchsgrundlage
  • Gründe/Begründung („Die Klage ist begründet, weil …“. Alles, was nach „weil“ kommt gehört nicht mehr zum Streitgegenstand)

Der Umfang der materiellen Rechtskraft einer Unterlassungsverurteilung ist beschränkt auf den dort entschiedenen Streitgegenstand, der mit durch die konkrete Verletzungshandlung begrenzt wird, aus der das Klagebegehren hergeleitet worden ist.1)

Zur Veranschaulichung ein Beispiel:

Zunächst wird wegen Patentverletzung auf Unterlassung geklagt. Das Gericht erkennt auf Vorliegen einer äquivalenten Patentverletzung und gibt der Klage statt. Später will der Mandant Schadensersatz haben. In dem neuen Prozess auf Schadensersatz wäre die Frage der Patentverletzung erneut zu prüfen, denn die Begründung des dem Unterlassungsantrag stattgebenden Urteils, dass eine äquivalente Patentverletzung vorliege, erwächst nicht in Rechtskraft. Daher ist unbedingt nicht nur auf Unterlassung, sondern auch auf Schadensersatzfeststellung zu klagen.

Griffig lässt sich die Wirkung der Rechtskraft wie folgt formulieren:

In Rechtskraft erwächst die Bejahung oder Verneinung der vom Kläger mit Klageantrag und Klagegrund begehrten Rechtsfolge (Streitgegenstand), einschließlich des kontradiktorischen Gegenteils.

Zur Erläuterung des Begriffs „kontradiktorisches Gegenteil“: Die negative Feststellungsklage, dass das Patent durch eine Vorrichtung X nicht verletzt wird, wird abgewiesen. Damit wird auch positiv festgestellt, d.h. es steht rechtskräftig fest, dass die Vorrichtung X das Patent nicht verletzt.

Prozessurteile erwachsen anders als Sachurteile in der Hauptsache nicht in Rechtskraft, nur hinsichtlich der konkret fehlenden Sachurteilsvoraussetzung. Somit steht die Abweisung einer Klage am LG Lüneburg wegen Unzuständigkeit einer Klage an einem anderen Gericht nicht entgegen. Ob ein Sachurteil oder ein Prozessurteil vorliegt, ergibt sich insbesondere bei Abweisung aus den Gründen.

Bei Patentverletzungen ist der maßgebliche Anknüpfungspunkt für den Streitgegenstand die Wiedergabe der Verletzungsform und der Klageantrag.

Sachlicher Umfang der rechtskraftfähigen Entscheidung

Urteilsformel

Maßgeblich ist die Urteilsformel. Insbesondere bei Klageabweisung ist diese allerdings auf Basis der Urteilsgründe auszulegen.

Zur Erläuterung ein Beispiel:

Der Patentinhaber macht nach der Lizenzanalogie 100 000 € Schadensersatz geltend. Im Urteil wird der Klage im Umfang von 80 000 € stattgegeben, im Übrigen, d.h. in Höhe von 20 000 €, wird sie abgewiesen. Nach Rechtskraft dieses Urteils will der Kläger noch mal 30 000 €, weil er festgestellt hat, dass der entgangene Gewinn 110 000 € betrug.

Über 100 000 € wurde sicherlich rechtskräftig entschieden, denn im ersten Verfahren wurde der geltend gemachte Schaden von 100 000 € hinsichtlich aller Tatsachen geprüft. Fraglich ist jedoch, ob er der Kläger die überschüssigen 10 000 € bekommt. Die Schadensberechnungsart (d.h. Lizenzanalogie, entgangener Gewinn, Herausgabe des Verletzergewinns) stellt nur eine unterschiedliche Berechnungsmethode für ein und denselben Streitgegenstand dar. Dies ist auch der Grund, dass die Schadensberechnungsart bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gewechselt werden kann.

Da es sich bei der Berechnungsmethode nur um eine mathematisch andere Darstellung desselben Lebenssachverhalts handelt und daher quase im Rahmen desselben Lebenssachverhalts neue Tatsachen geltend gemacht werden, liegt derselbe Streitgegenstand vor, über den rechtskräftig entschieden wurde.

Daher erhält der Kläger die 10 000 € Überschuss nicht.

Wie sich aus dem obigen ergibt, ist es für diese Entscheidung maßgebend, wie die Berechnungsarten rechtlich bewertet werden. Auf den ersten Blick mag es etwas willkürlich erscheinen, sämtliche Schadensberechnungsarten als von der Rechtskraft erfasst anzusehen, während hingegen die Feststellung der äquivalenten Patentverletzung nicht in Rechtskraft erwächst (vgl. obiger Fall unter III.1).

Grundsätzlich folgt die Rechtskraftwirkung dem Prinzip, „dass einmal Schluss sein muss“. Es muss verhindert werden, dass der Kläger einfach nachbessern kann.

Teilklagen

Der Kläger hat eine Forderung in Höhe von 100 000 €. Dennoch entschließt er sich, zunächst nur 10 000 € einzuklagen. Er sagt sich, dass er dann, wenn die Sache gut geht, immer noch die restlichen 90 000 € einklagen kann. Die Klage wird ausdrücklich als „Teilklage“ bezeichnet und der Kläger trägt vor, dass er zwar Schadensersatzansprüche in Höhe von 100 000 € habe, jedoch momentan mit der Teilklage nur 10 000 € geltend mache. Wird die Teilklage abgewiesen, so erwächst diese nicht in Rechtskraft für die übrigen 90 000 €, weil von vornherein nur ein Ausschnitt aus den 100 000 € geltend gemacht wurde. Antrag und Lebenssachverhalt waren also so abgestimmt, dass sie nur auf einen Teil der 100 000 € gerichtet waren.

„Schutzumfang“ des Tenors

Zur Illustration ein Beispielfall: Das Patent für einen Gemüsehobel mit den Merkmalen A, B, C werde identisch verletzt. Der Verletzer wird verurteilt „es zu unterlassen, Gemüsehobel mit den Merkmalen A, B, C in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.“ Nunmehr wandelt der Verletzer den Gemüsehobel so ab, dass er die Merkmale A, B’, C besitzt. Fällt diese Abwandlung unter den Tenor oder muss der Patentinhaber jetzt ein neues Hauptsacheverfahren einleiten?

Die Lehre von der kerngleichen Abwandlung (Kerntheorie) beantwortet die Frage, ob der Tenor selbst einen Schutzumfang hat. Sie stammt aus dem Wettbewerbsrecht. Grundsätzlich sollen Verletzungsformen, die stillschweigend mit ausgeurteilt wurden, vom Tenor mit erfasst sein.

Dies sollte auch für das Patentrecht gelten, obwohl dort der Tenor konkret auf die Merkmale des Verletzungsgegenstandes zugeschnitten wird. Keinesfalls umfasst der Schutzumfang des Tenors allerdings Äquivalente. Dann müsste die Kammer, die das von ihr im Hauptsacheverfahren gefasste Urteil auch vollstreckt (sie bekommen also ihr eigenes Urteil wieder auf den Tisch), im Rahmen des § 890 ZPO eine Äquivalenzprüfung durchführen, was sicherlich unrealistisch ist.

In der Praxis wird bei der Vollstreckung nach § 890 ZPO (d.h. ggf. Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft) eine nur sehr oberflächliche Beurteilung vorgenommen. Gelangen die Richter quasi auf den ersten Blick zur Schlussfolgerung, dass die abgewandelte Verletzungsform und die im Tenor beschriebene Form dasselbe sind, dann wird die abgewandelte Verletzungsform als vom Tenor umfasst angesehen. Wäre zur Beurteilung dieser Frage ein Blick in die Akte nötig, dann wird die abgewandelte Verletzungsform als nicht vom Tenor umfasst angesehen.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass grundsätzlich der Tenor einen Schutzumfang hat. Bei der Prüfung auf eine potenzielle Verletzung ist dies zu berücksichtigen. In der Entscheidung des OLG Frankfurt GRUR 1979, 75 – Lila Umkarton heißt es hiezu im Leitsatz 1: „Schutzumfang eines Unterlassungstitels erstreckt sich auf alle Verletzungshandlungen, die der Verkehr als gleichwertig ansieht und bei denen die Abweichungen den Kern der Verletzungshandlung unberührt lassen.“

Grundsatz: Keine Rechtskraft der Urteilsgründe

Die Urteilsgründe, darin enthaltene Tatsachenfeststellungen, rechtliche Erwägungen, Einwendungen und Einreden erwachsen nicht in Rechtskraft.

Beispiel: Der Kläger klagt aus einem Lizenzvertrag für das Jahr 1997 auf 10 000 € Lizenzgebühr. Der Beklagte macht geltend, der Lizenzvertrag sei am 31.12.1996 durch Kündigung erloschen. Der Kläger bekommt Recht und klagt nun die Lizenzgebühr für das Jahr 1998 ein. Inzwischen hat die Zusammensetzung der Kammer gewechselt. Die neue Kammer gelangt zur Auffassung, dass der Lizenzvertrag tatsächlich am 31.12.1996 gekündigt wurde. Darf sie das? Ja sie darf dass, denn die Urteilsgründe erwachsen nicht in Rechtskraft. Ein Weg aus diesem Dilemma ist die Zwischenfeststellungsklage nach § 256 II ZPO. Im Rahmen einer Zwischenfeststellungsklage hätte die Klägerin im ersten Verfahren auf Feststellung klagen können, dass der Lizenzvertrag am 31.12 1996 nicht durch Kündigung beendet wurde.

Sonderfall 1: Aufrechnung

Auch hierzu gibt es wieder eine Ausnahme, nämlich die Aufrechnung.

Zur Veranschaulichung folgender Fall: Vom Kläger werden 100 000 € Lizenzgebühr eingeklagt. Der Beklagte rechnet mit einer Gegenforderung in gleicher Höhe auf. Da sich die Existenz der Gegenforderung nur aus den Urteilsgründen ergibt, nehmen diese hier ausnahmsweise an der Rechtskraft teil. Dies ergibt sich § 322 II ZPO.

Sonderfall 2: Wirkung der Urteilsgründe bei Teilvernichtung

Dies ist eine weitere Abweichung von dem Grundsatz, dass die Urteilsgründe nicht in Rechtskraft erwachsen. Dieser Fall liegt dann vor, wenn einer Nichtigkeitsklage teilweise stattgegeben wird.

Nach BGH GRUR 1961, 335 – Bettcoach, ist der im Nichtigkeitsverfahren geänderte Wortlaut des Anspruchs bindend für das Verletzungsverfahren. Nach Ansicht des BGH kann eine durch den Nichtigkeitssenat vorgenommene Beschränkung nicht deswegen unbeachtet bleiben, weil die Gründe der Entscheidung die Berechtigung der Beschränkung nicht ohne weiteres und nicht eindeutig erkenne lassen. Die Gründe des Nichtigkeitsurteils, die die Teilvernichtung stützen, treten an die Stelle der Beschreibung (BGH GRUR 1964, 196 – Mischmaschine). Da die Urteilsgründe die Beschreibung (teilweise) ersetzen und somit Teil des Patents werden, sind sie für das Verletzungsverfahren insoweit bindend, als sie bei der Auslegung der Patentansprüche zu berücksichtigen sind.

Daher ist bei Teilvernichtung eines Patents im Nichtigkeitsverfahren genau zu prüfen, ob im Urteil Dinge stehen, die möglicherweise im Verletzungsverfahren die Äquivalenz zerstören.

Hingegen gilt bei vollständiger Abweisung der Nichtigkeitsklage der Grundsatz, dass die Gründe nicht in Rechtskraft erwachsen, denn das Patent wird nicht tangiert und die Urteilsgründe treten nicht an die Stelle der Beschreibung. Daher gibt es auch keine Bindung des Verletzungsrichters an das Urteil im Nichtigkeitsverfahren. Indessen sind die Gründe des Nichtigkeitsurteils eine dringende Empfehlung für die Auslegung des Patentanspruchs im Verletzungsverfahren (BGH GRUR 1988, 757 – Düngerstreuer; BGH GRUR 1988, 444 – Betonstahlmattenwender). Wie es in der Entscheidung „Düngerstreuer“ heißt: „Ist das Auslegungsergebnis in den Urteilsgründen [des Nichtigkeitsurteils] überzeugend begründet, so wird das seinen Eindruck beim Verletzungsrichter nicht verfehlen.“

Im Übrigen ist nach BGH GRUR 1988, 757 – Düngerstreuer, eine Klarstellung, die in einem Patentanspruch keinen Niederschlag findet, im Nichtigkeitsverfahren unzulässig. Mit dieser Entscheidung wurde eine frühere Praxis aufgegeben.

siehe auch

1)
BGH, Urt. v. 23. Februar 2006 - I ZR 272/02 - Markenparfümverkäufe
verfahrensrecht/beschraenkung_der_rechtskraft_auf_den_streitgegenstand.txt · Zuletzt geändert: 2023/07/25 08:29 von 127.0.0.1