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(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.
(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind,
2. Verträge zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde,
3. Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
4. Verträge zur Lieferung von Waren, wenn diese nach der Lieferung auf Grund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit anderen Gütern vermischt wurden,
5. Verträge zur Lieferung alkoholischer Getränke, deren Preis bei Vertragsschluss vereinbart wurde, die aber frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss geliefert werden können und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat,
6. Verträge zur Lieferung von Ton- oder Videoaufnahmen oder Computersoftware in einer versiegelten Packung, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
7. Verträge zur Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierten mit Ausnahme von Abonnement-Verträgen,
8. Verträge zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, mit Anteilen an offenen Investmentvermögen im Sinne von § 1 Absatz 4 des Kapitalanlagegesetzbuchs und mit anderen handelbaren Wertpapieren, Devisen, Derivaten oder Geldmarktinstrumenten,
9. Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung zu anderen Zwecken als zu Wohnzwecken, Beförderung von Waren, Kraftfahrzeugvermietung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie zur Erbringung weiterer Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht,
10. Verträge, die im Rahmen einer Vermarktungsform geschlossen werden, bei der der Unternehmer Verbrauchern, die persönlich anwesend sind oder denen diese Möglichkeit gewährt wird, Waren oder Dienstleistungen anbietet, und zwar in einem vom Versteigerer durchgeführten, auf konkurrierenden Geboten basierenden transparenten Verfahren, bei dem der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, zum Erwerb der Waren oder Dienstleistungen verpflichtet ist (öffentlich zugängliche Versteigerung),
11. Verträge, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen, um dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen; dies gilt nicht hinsichtlich weiterer bei dem Besuch erbrachter Dienstleistungen, die der Verbraucher nicht ausdrücklich verlangt hat, oder hinsichtlich solcher bei dem Besuch gelieferter Waren, die bei der Instandhaltung oder Reparatur nicht unbedingt als Ersatzteile benötigt werden,
12. Verträge zur Erbringung von Wett- und Lotteriedienstleistungen, es sei denn, dass der Verbraucher seine Vertragserklärung telefonisch abgegeben hat oder der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde, und
13. notariell beurkundete Verträge; dies gilt für Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen nur, wenn der Notar bestätigt, dass die Rechte des Verbrauchers aus § 312d Absatz 2 gewahrt sind.
(3) Das Widerrufsrecht besteht ferner nicht bei Verträgen, bei denen dem Verbraucher bereits auf Grund der §§ 495, 506 bis 513 ein Widerrufsrecht nach § 355 zusteht, und nicht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, bei denen dem Verbraucher bereits nach § 305 Absatz 1 bis 6 des Kapitalanlagegesetzbuchs ein Widerrufsrecht zusteht.
Nach § 312g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB [→ Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen] zu.
Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt (§ 312c Abs. 1 BGB). Zu den Fernkommunikationsmitteln gehören Briefe, Telefonanrufe und E-Mails (§ 312c Abs. 2 BGB).1)
Die Regelung in Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB [→ Informationspflichten nach dem EGBGB] legt die Informationspflichten des Unternehmers fest, wenn dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zusteht. Danach ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2 zum EGBGB zu informieren.2)
Die Bestimmung des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB setzt zunächst den Abschluss eines Vertrags zur Lieferung von Waren voraus. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist weiter zu prüfen, ob die zu liefernden Waren nicht vorgefertigt sind und ob für ihre Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder sie eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zu den Verträgen zur Lieferung von Waren im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB Kaufverträge (§ 433 BGB) und Werklieferungsverträge (§ 650 BGB), aber weder Dienstverträge (§ 611 BGB) noch - jedenfalls im Regelfall - Werkverträge (§ 631 BGB) zählen.3)
Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83/EU erfasst Kaufverträge im Sinne der Richtlinie. Nach Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2011/83/EU ist ein Kaufvertrag jeder Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Waren an den Verbraucher überträgt oder dessen Übertragung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Ein vom Kaufvertrag abzugrenzender Dienstleistungsvertrag ist nach Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2011/83/EU jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt.4)
Danach zählen zu den Kaufverträgen im Sinne der Richtlinie nicht ausschließlich Kaufverträge im engeren Sinne (Kaufverträge im Sinne von §§ 433, 474 BGB), sondern auch bestimmte Arten von Verträgen, die eine Dienstleistung umfassen, nämlich Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter (Werklieferungsverträge im Sinne von § 650 BGB) und Verträge, die die Montage solcher Güter im Verbund mit einem Kaufabschluss vorsehen (zur Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2017 - C-247/16, NJW 2017, 3215 Rn. 37 - Schottelius; BGH, Urteil vom 30. August 2018 - VII ZR 243/17, NJW 2018, 3380 Rn. 20 f.). Zu den Dienstleistungsverträgen im Sinne der Richtlinie gehören dagegen Dienstverträge im Sinne von § 611 BGB und Werkverträge im Sinne von § 631 BGB, wenn deren Gegenstand - wie im Regelfall - ein durch eine Dienstleistung herbeizuführender Erfolg wie die Herstellung oder Veränderung einer Sache ist (§ 631 Abs. 2 BGB).5)
Während die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei Kaufverträgen im Sinne der Richtlinie 2011/83/EU erst mit der Lieferung der Sache an den Käufer beginnt (Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie, § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und der Verkäufer deshalb in Fällen speziell hergestellter, anderweitig nicht absetzbarer Ware auf den Ausschluss des Widerrufsrechts angewiesen ist, beginnt die Widerrufsfrist bei Dienstleistungsverträgen im Sinne der Richtlinie mit dem Tag des Vertragsabschlusses (Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie, § 355 Abs. 2 BGB), so dass der Unternehmer sich vor Verlusten, die ihm im Falle eines Widerrufs durch die Fertigung speziell hergestellter, nicht anderweitig absetzbarer Ware entstehen, dadurch schützen kann, dass er mit der Leistungserbringung erst nach Ablauf der Widerrufsfrist beginnt.6)
Zum Schutz der Unternehmer, die solche Dienstleistungen erbringen, sieht Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83/EU (§ 357 Abs. 8 BGB) für den Fall, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, nachdem er vom Unternehmer verlangt hat, mit der Dienstleistung während der Widerrufsfrist zu beginnen, einen Anspruch des Unternehmers auf Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Dienstleistung vor (vgl. BGH, NJW 2018, 3380 Rn. 23; zu den formellen Voraussetzungen des Wertersatzanspruchs vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2020 - I ZR 169/19, WRP 2021, 343 Rn. 40 bis 45 und 72); für den Fall der vollständigen Erbringung der Dienstleistung sieht Art. 16 Buchst. a der Richtlinie 2011/83/EU (§ 356 Abs. 4 BGB) den Ausschluss des Widerrufsrechts vor, wenn der Unternehmer die Erbringung der Dienstleistung mit der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers und dessen Kenntnisnahme, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert, begonnen hatte.7)
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