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Hamburger Brauch

Modifizierter Hamburger Brauch

Eine Vertragsstrafe kann in der Weise vereinbart werden, dass dem Gläubiger gemäß § 315 Abs. 1 BGB [→ Bestimmung der Leistung durch eine Partei] für den Fall einer künftigen Zuwiderhandlung des Schuldners gegen die vertragliche Unterlassungspflicht die Bestimmung der Strafhöhe nach seinem billigen Ermessen überlassen bleibt und diese Bestimmung im Einzelfall nach § 315 Abs. 3 BGB [→ Bestimmung der Leistung durch eine Partei] durch ein Gericht überprüft werden kann („Hamburger Brauch“).1)

In einem solchen Fall bestimmt bei einer Zuwiderhandlung des Schuldners der Gläubiger gemäß § 315 Abs. 2 BGB gegenüber dem Schuldner die angemessene Höhe der nach § 339 Satz 2 BGB verwirkten Vertragsstrafe formlos durch eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung.2)

Verweigert der Schuldner unberechtigt die Annahme einer schriftlichen Vertragsstrafenbestimmung seitens des Gläubigers, muss er sich gemäß § 242 BGB so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung zugegangen.3)

Ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ wird - anders als ein Anspruch auf Zahlung einer festen Vertragsstrafe4) - nicht schon mit der Zuwiderhandlung fällig, sondern erst, wenn der Gläubiger nach § 315 Abs. 1 und 2 BGB sein Leistungsbestimmungsrecht gegenüber dem Schuldner verbindlich ausgeübt und die Höhe der verwirkten Vertragsstrafe wirksam konkretisiert hat.5)

Der Gläubiger kann in der Regel seit der Vollendung der Zuwiderhandlung jederzeit die Höhe der Vertragsstrafe anhand der maßgeblichen Kriterien bestimmen und so für die Fälligkeit des Vertragsstrafeanspruchs sorgen.6)

Auch bei anderen Ansprüchen mit hinausgeschobener, von der Disposition des Gläubigers abhängiger Fälligkeit beginnt die Verjährung indessen nicht schon mit dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger die Fälligkeit hätte herbeiführen können.7)

Durch eine verzögerte Festlegung der Vertragsstrafe seitens des Gläubigers werden schutzwürdige Belange des Schuldners regelmäßig nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Hat der Gläubiger sein Leistungsbestimmungsrecht nicht innerhalb einer objektiv angemessenen Zeit ausgeübt und möchte der Schuldner Klarheit darüber gewinnen, ob und in welcher Höhe er eine Vertragsstrafe verwirkt hat, so kann er nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB eine Klage auf Leistungsbestimmung durch das Gericht erheben8) und durch die Erwirkung eines rechtskräftigen Gestaltungsurteils die Fälligkeit des Vertragsstrafeanspruchs und damit den Verjährungsbeginn selbst herbeiführen.9)

Dem Schuldner, der zeitliche Unwägbarkeiten bei der Durchsetzbarkeit einer Vertragsstrafe von vornherein vermeiden möchte, steht es im Übrigen frei, bei Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung statt einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ eine feste Vertragsstrafe zu versprechen.10)

Dem berechtigten Interesse des Schuldners, in nicht zu ferner Zeit zu erfahren, ob er vom Gläubiger auf Zahlung einer bestimmten Vertragsstrafe in Anspruch genommen wird11), wird ferner dadurch Rechnung getragen, dass dem Gläubiger die verzögerte Geltendmachung einer Vertragsstrafe im Einzelfall nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sein kann.12)

Aufgrund der aus dem Unterlassungsvertrag folgenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB) und mit Blick auf die Funktion der Vertragsstrafe, weitere Zuwiderhandlungen des Schuldners zu verhindern13), hat der Gläubiger dem Schuldner beizeiten zu verdeutlichen, dass er den Verstoß gegen die Unterlassungserklärung nicht hinnimmt.14)

Legt er über längere Zeit keine Vertragsstrafe fest, so kann er seinen Vertragsstrafeanspruch gemäß § 242 BGB verwirken, wenn der Schuldner darauf vertraut hat und nach dem gesamten Verhalten des Gläubigers darauf vertrauen durfte, dass dieser wegen des in Rede stehenden Verhaltens keine Vertragsstrafe (mehr) verlangen werde.15)

Entsteht demnach der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit der Festlegung der Vertragsstrafe durch den Gläubiger, so kommt es nicht darauf an, ob er - wie die Revision geltend macht - als verhaltener Anspruch zu behandeln ist, für den ein von § 199 Abs. 1 BGB abweichender Verjährungsbeginn bestimmt wäre.16)

Bei einem Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nach „Hamburger Brauch“ beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist nicht, bevor der Gläubiger die Höhe der vom Schuldner verwirkten Vertragsstrafe festgelegt hat und der Vertragsstrafeanspruch damit fällig geworden ist.17)

Eine neue Markenrechtsverletzung trotz strafbewehrter Unterlassungserklärung begründet regelmäßig erneut die Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich nur durch eine weitere Unterwerfungserklärung mit einer gegenüber der ersten erheblich höheren Strafbewehrung ausgeräumt werden kann.18) Einem Vertragsstrafeversprechen nach „Hamburger Brauch“ wohnt eine solche höhere Strafbewehrung bereits inne. Es entfaltet mit der Möglichkeit, eine Vertragsstrafe auch in zuvor nicht absehbarer Höhe festzusetzen, im Wiederholungsfall dem Schuldner gegenüber die notwendige Abschreckungswirkung, zumal der Umstand der wiederholten Zuwiderhandlung bei einer gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Vertragsstrafe zu berücksichtigen ist.19)

Ein der Höhe nach unbegrenztes Bestimmungsrecht bietet dem Gläubiger den entscheidenden Vorteil, in schwerwiegenden Verletzungsfällen die Vertragsstrafe auch in einer Höhe bestimmen zu können, die erheblich über derjenigen liegen kann, die für die Vereinbarung eines festen Betrags im Hinblick auf die zuvor begangene Verletzungshandlung angemessen gewesen wäre. Eine Vertragsstrafevereinbarung in dieser Form ist deshalb ein besonders geeignetes Mittel zur Verhütung schwerwiegender oder folgenreicher Wiederholungen der Verletzungshandlung, da der Schuldner gerade bei Begehung solcher Verstöße einem angemessen höheren Strafrisiko ausgesetzt ist.20)

Diese Grundsätze gelten auch für eine weitere, nach einer erneuten Verletzung abgegebene Unterlassungserklärung. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die im Wiederholungsfall grundsätzlich erforderliche höhere Strafbewehrung einem Vertragsstrafeversprechen nach „Hamburger Brauch“ bereits innewohnt. Dieses entfaltet mit der Möglichkeit, eine Vertragsstrafe auch in zuvor nicht absehbarer Höhe festzusetzen, im Wiederholungsfall dem Schuldner gegenüber die notwendige Abschreckungswirkung, zumal der Umstand der wiederholten Zuwiderhandlung bei einer gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Vertragsstrafe zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 3130 Rn. 19). Entgegen der Auffassung der Revision ist deshalb im Wiederholungsfall die Angabe einer Untergrenze nicht erforderlich.21)

siehe auch

1)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BGH, Urteil vom 17. September 2009 - I ZR 217/07, GRUR 2010, 355 [juris Rn. 30] = WRP 2010, 649 - Testfundstelle; Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 77/12, GRUR 2014, 595 [juris Rn. 18] = WRP 2014, 587 - Vertragsstrafenklausel; Wimmers in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Aufl., § 97 UrhG Rn. 220
2)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BeckOGK.BGB/Netzer, Stand 1. September 2022, § 315 Rn. 65 f.; MünchKomm.BGB/Würdinger, 9. Aufl., § 315 Rn. 44
3)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1982 - V ZR 24/82, NJW 1983, 929 [juris Rn. 29]; Urteil vom 26. November 1997 - VIII ZR 22/97, BGHZ 137, 205 [juris Rn. 18]; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 16
4)
vgl. BGH, Urteil vom 11. März 1971 - VII ZR 112/69, NJW 1971, 883 [juris Rn. 17]; Urteil vom 19. Mai 2022 - VII ZR 149/21, BauR 2022, 1342 [Rn. 33 f.]; BAGE 22, 205 [juris Rn. 17]; BeckOGK.BGB/Ulrici, Stand 1. September 2021, § 339 Rn. 239
5)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BGH, Urteil vom 4. April 2006 - X ZR 122/05, BGHZ 167, 139 [juris Rn. 21]; BeckOGK.BGB/Netzer, Stand 1. September 2022, § 315 Rn. 79; Staudinger/Rieble, BGB [2020, Updatestand 9. Mai 2021], § 315 Rn. 489; zur Leistungsbestimmung durch Urteil vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2013 - III ZR 52/12, NJW-RR 2014, 492 [juris Rn. 32]; BAGE 164, 82 [juris Rn. 110]
6)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. Piekenbrock, ZIP 2010, 1925, 1929; Ahrens/Achilles, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 9 Rn. 16
7)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; zur Leistungsbestimmung durch den Gläubiger vgl. BGH, NJW 1996, 1054 [juris Rn. 30]; Staudinger/Rieble, BGB [2020], § 339 Rn. 524; zum mit [Ab-]Rechnungserteilung fälligen Anspruch vgl. BGH, Rechtsentscheid vom 19. Dezember 1990 - VIII ARZ 5/90, BGHZ 113, 188 [juris Rn. 19]; BGH, WM 2020, 425 [juris Rn. 29]; Gegenäußerung der Bundesregierung betreffend die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6857, S. 42 f.; zum Zahlungsanspruch „gegen Dokumente“ vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1971 - VIII ZR 4/70, BGHZ 55, 340 [juris Rn. 5 und 8]
8)
vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 - XII ZR 79/10, NJW 2012, 2187 [juris Rn. 37]
9)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BGH, NJW 1996, 1054 [juris Rn. 29 f.]
10) , 12) , 16) , 17)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung
11)
vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1997 - I ZR 71/95, GRUR 1998, 471 [juris Rn. 32] = WRP 1998, 164 - Modenschau im Salvatorkeller
13)
BGH, Urteil vom 30. September 1993 - I ZR 54/91, GRUR 1994, 146 [juris Rn. 20] = WRP 1994, 37 - Vertragsstrafebemessung; Urteil vom 17. Juli 2008 - I ZR 168/05, GRUR 2009, 181 [juris Rn. 42] = WRP 2009, 182 - Kinderwärmekissen
14)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BGH, GRUR 1998, 471 [juris Rn. 33] - Modenschau im Salvatorkeller
15)
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022 - I ZR 141/21 - Vertragsstrafenverjährung; m.V.a. BGH, GRUR 1998, 471 [juris Rn. 30 bis 33] - Modenschau im Salvatorkeller; OLG Frankfurt, GRUR 1996, 996 [juris Rn. 3]; zum mit [Ab-]Rechnungserteilung fälligen Anspruch vgl. BGH, Rechtsentscheid vom 11. April 1984 - VIII ARZ 16/83, BGHZ 91, 62 [juris Rn. 26 und 28]; BGHZ 113, 188 [juris Rn. 20]; BGH, Urteil vom 21. Juni 2001 - VII ZR 423/99, NJW-RR 2001, 1383 [juris Rn. 10]; Urteil vom 27. November 2003 - VII ZR 288/02, BGHZ 157, 118 [juris Rn. 35]; BT-Drucks. 14/6857, S. 42 f.
18) , 19) , 21)
BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - I ZR 144/21 - Wegfall der Wiederholungsgefahr III
20)
BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - I ZR 144/21 - Wegfall der Wiederholungsgefahr III; m.V.a. BGH, Urteil vom 31. Mai 1990 - I ZR 285/88, GRUR 1990, 1051 [juris Rn. 17] = WRP 1991, 27 - Vertragsstrafe ohne Obergrenze, mwN; BeckOK.UWG/Tavanti/Scholz, 17. Edition [Stand 1. Juli 2022], § 13a Rn. 26
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