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geschmacksmusterrecht:ggv:oeffentliche_zugaenglichkeit_des_geschmacksmusters

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Öffentliche Zugänglichkeit des Geschmacksmusters

Artikel 11 (2) GGV

Im Sinne des Absatzes 1 [→ Schutzdauer des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters] gilt ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der Gemeinschaft zugänglich gemacht, wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.

Art. 11 (1) GGV → Schutzdauer des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters

Art. 10 - 13 GGV (Titel II, Abschnitt 2) → Umfang und Dauer des Schutzes
Art. 3 - 26 GGV (Titel II) → Materielles Geschmacksmusterrecht

Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führt, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c [→ komplexes Erzeugnis] und Art. 4 Abs. 2 [→ Schutzvoraussetzungen] dieser Verordnung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist.1)

Damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.2)

Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform dieses Teils eines Erzeugnisses oder dieses Bauelements eines komplexen Erzeugnisses geeignet sein muss, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht.3)

Danach kann einem Klagemustern die Geschmacksmusterfähigkeit nicht mit der Begründung abgesprochen werden, es fehle ihnen an einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form. Für solche Erfordernisse lässt der vom Gerichtshof festgelegte Maßstab keinen Raum.4)

Vielmehr ist nur zu prüfen, ob die geltend gemachten Offenbarungshandlungen dazu geführt haben, dass die Erscheinungsform des jeweiligen Teils oder Bauelements klar erkennbar ist und ob ihm Eigenart in der Weise zukommt, dass es einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist. Damit ist ein vom Gesamterzeugnis abgeleiteter Teilschutz als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster möglich, der für das eingetragene Geschmacksmuster ausscheidet.5)

Das jeweilige Teil oder Bauteil hat Eigenart, wenn es geeignet ist, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht.

Der Öffentlichkeit zugänglich gemacht ist das Geschmacksmuster nach Art. 11 Abs. 2 GGV, wenn es auf dem Territorium der Europäischen Union in solcher Weise offenbart wurde, dass dies den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte.6)

Teilweise wird angenommen, zu den Fachkreisen im Sinne von Art. 11 Abs. 2 GGV zählten ebenso wie im Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 GGV nur diejenigen Personen, die innerhalb des maßgeblichen Wirtschaftszweigs mit der Mustergestaltung sowie der Entwicklung oder Herstellung mustergemäßer Erzeugnisse befasst seien7) Händler rechnen nach dieser Ansicht nicht generell, sondern nur dann zu den Fachkreisen, wenn sie gestalterisch auf das Produktdesign Einfluss nehmen. Fehlt es an einem gestalterischen Mitwirken und erfolgt eine Beeinflussung der Produktgestaltung allenfalls aufgrund der Nachfrageentscheidung, wäre die Folge, dass Händler ebenso wenig wie Benutzer und Endverbraucher zu den Fachkreisen zu rechnen sind8).9)

Für das öffentliche Zugänglichmachen genügt bereits die Möglichkeit, dass die Fachkreise im normalen Geschäftsverlauf Kenntnis von dem Geschmacksmuster erlangen konnten. Zum normalen Geschäftsverlauf der Fachkreise jedes Wirtschaftszweigs zählen Maßnahmen der Marktbeobachtung, um die Konkurrenzlage und neue Tendenzen bei der Entwicklung der eigenen Erzeugnisse zu berücksichtigen.10)

Zudem werden die dem Handel offenbarten Neuheiten typischerweise zeitnah vermarktet. Nach diesen Maßstäben würde die vom Berufungsgericht festgestellte breite Verteilung der Neuheitenblätter der Klägerin mit der Abbildung des Klagemusters an gewichtige Handelspartner ausreichen, damit das Klagemuster in den Fachkreisen bekannt sein konnte.11)

Ist Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 dahin auszulegen, dass ein Geschmacksmuster den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte, wenn Abbildungen des Geschmacksmusters an Händler verteilt wurden?12)

siehe auch

1)
BGH, Urteil vom 10. März 2022 - I ZR 1/19 - Front kit II; m.V.a. EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 - C-123/20, GRUR 2021, 1523 = WRP 2022, 42 - Ferrari
2)
BGH, Urteil vom 10. März 2022 - I ZR 1/19 - Front kit II; m.V.a. EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 - C-123/20, GRUR 2021, 1523 = WRP 2022, 42 - Ferrari
3)
BGH, Urteil vom 10. März 2022 - I ZR 1/19 - Front kit II; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1523 [juris Rn. 50] - Ferrari
4)
vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2022 - I ZR 1/19 - Front kit II; m.V.a. Jestaedt, GRUR 2022, 43, 44
5)
BGH, Urteil vom 10. März 2022 - I ZR 1/19 - Front kit II; m.V.a. BGH, Urteil vom 8. März 2012 - I ZR 124/10, GRUR 2012, 1139 [juris Rn. 37 bis 40] = WRP 2012, 1540 - Weinkaraffe; Hackbarth, GRUR-Prax 2021, 743
6) , 9) , 11) , 12)
BGH, Beschluss vom 16. August 2012 - I ZR 74/10 - Gartenpavillon
7)
vgl. Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 4. Aufl., § 5 Rn. 12; Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 2. Aufl., Art. 7 Rn. 16
8)
vgl. Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 5 Rn. 12; aA Günther in Günther/Beyerlein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl., § 5 Rn. 7
10)
BGH, Beschluss vom 16. August 2012 - I ZR 74/10 - Gartenpavillon; m.V.a. Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 5 Rn. 16; Ruhl aaO Art. 7 Rn. 27; vgl. auch Auler in Büscher/ Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., Art. 7 GGV Rn. 12
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