Wettbewerbsrechtliche Haftung einer Online-Handelsplattform für Kundenbewertungen

Den Anbieter eines auf der Online-Handelsplattform Amazon angebotenen Produkts trifft für nicht von ihm veranlasste Kundenbewertungen keine wettbewerbsrechtliche Haftung, wenn er sich diese Bewertungen nicht zu eigen macht [→ Zu Eigen machen einer fremden Behauptung].1)

Für die Beurteilung, ob eine wegen wettbewerbswidriger Werbung in Anspruch genommene Person sich fremde Äußerungen zu eigen macht, kommt es entscheidend darauf an, ob sie nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die Äußerungen Dritter übernimmt oder den zurechenbaren Anschein erweckt, sie identifiziere sich mit ihnen. Dieser Maßstab gilt auch im Heilmittelwerberecht.2)

Ob das Angebot auf der Online-Handelsplattform Amazon eine Garantenstellung mit der Rechtspflicht begründet, eine Irreführung durch Kundenbewertungen abzuwenden, bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls und bedarf einer Abwägung.3)

Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass Kundenbewertungssysteme auf Online-Handelsplattformen gesellschaftlich erwünscht sind und verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehören, zu informieren oder auszutauschen, wird durch die Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Bei einem Angebot von Arzneimitteln oder Medizinprodukten kann allerdings das Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit bei der Abwägung zu berücksichtigen sein.4)

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bleibt es mithin dabei, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Kundenbewertungen nicht der Sphäre der Beklagten zuordnen.5)

Es handelt sich (aus Sicht der Nutzer von Amazon) vielmehr um persönliche Einschätzungen anderer Kunden, denen keine der Beklagten zurechenbare Irreführungsgefahr zukommt. In diesem Rahmen erzeugte Fehlvorstellungen sind hinzunehmen.6)

Überdies ist einem Kundenbewertungssystem immanent, dass es neben positiven auch negative Bewertungen hervorbringt; das wirkt einer möglichen Irreführung und damit einer Gesundheitsgefährdung zusätzlich entgegen.7)

Für eine Haftung der Beklagten als Teilnehmerin fehlt es schon an einer rechtswidrigen Haupttat. Die Abgabe der Bewertungen ist wegen der fehlenden Absatzförderungsabsicht der Kunden keine geschäftliche Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG) und damit kein Wettbewerbsverstoß, an dem die Beklagte im Sinne von §§ 26, 27 StGB beteiligt sein könnte.8) Eine Anstiftung scheidet auch deshalb aus, weil die Beklagte die Kundenbewertungen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht veranlasst hat.9)

Gibt der Anbieter eines auf einer Online-Handelsplattform angebotenen Produkts selbst irreführende oder gefälschte Kundenbewertungen ab, bezahlt er dafür oder können ihm die Kundenbewertungen aus anderen Gründen als Werbung zugerechnet werden, haftet er als Täter [→Täterhaftung], gegebenenfalls Mittäter [→Mittäterhaftung], eines Wettbewerbsverstoßes.10)

Diese Verbraucherkommunikation im Internet, die maßgeblich durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist, fällt in den Schutzbereich der aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG [→ Meinungsäußerungsfreiheit] 11) sowie des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 11 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [→ EU-Grundrechtecharta].12)

Der Meinungsaustausch anhand von Produktbewertungen ist schließlich geeignet, den freien Preis- und Leistungswettbewerb zu fördern. Dabei ist insbesondere das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher zu berücksichtigen, unter mehreren Konkurrenzprodukten ein nach Preis und Leistung geeignet erscheinendes Erzeugnis auszuwählen.13)

siehe auch

Haftung einer Online-Handelsplattform

1) , 2) , 3) , 4) , 9) , 10)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon
5)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon; so auch LG Magdeburg, Urteil vom 18. Januar 2019 - 36 O 48/18, juris Rn. 33
6)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon; m.V.a. vgl. LG Heilbronn, Urteil vom 11. Juli 2017 - 21 O 5/17, juris Rn. 89
7)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon; m.V.a. Ring in Bülow/Ring/Artz/Brixius, HWG, 5. Aufl., § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 Rn. 5
8)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon; zur Teilnehmerhaftung vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2017 - I ZR 232/16, GRUR 2018, 438 Rn. 21 = WRP 2018, 420 - Energieausweis, mwN
11)
vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. August 2016 - 1 BvR 2619/13, juris Rn. 13
12)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon; zur besonderen Bedeutung des Internets für die Meinungs- und Informationsfreiheit vgl. EuGH, Urteil vom 8. September 2016 - C-160/15, GRUR 2016, 1152 Rn. 45 = WRP 2016, 1347 - GS Media; Urteil vom 29. Juli 2019 - C-516/17, GRUR 2019, 940 Rn. 81 = WRP 2019, 1162 - Spiegel Online
13)
BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 - I ZR 193/18 - Kundenbewertungen auf Amazon; zu diesem Interesse bei der Beurteilung einer Herkunftstäuschung im Sinne von § 4 Nr. 3 Buchst. a UWG vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - I ZR 136/11, GRUR 2013, 951 Rn. 36 = WRP 2013, 1188 - Regalsystem