Regel 190.1 der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (EPGVO) beschreibt die Voraussetzungen, unter denen eine Partei die Vorlage von Beweismitteln durch die gegnerische Partei oder eine dritte Partei beantragen kann, und die Möglichkeit des Gerichts, zum Schutz vertraulicher Informationen Maßnahmen zu ergreifen.
Hat eine Partei alle vernünftigerweise verfügbaren und plausiblen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und zur Begründung dieser Ansprüche Beweismittel bezeichnet, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei oder einer dritten Partei befinden, kann das Gericht auf einen mit einer Begründung versehenen Antrag der Partei, welche die Beweismittel bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei oder die dritte Partei anordnen. Zum Schutz vertraulicher Informationen kann das Gericht anordnen, dass die Beweismittel nur bestimmten namentlich genannten Personen mitgeteilt werden und einer angemessenen Geheimhaltungspflicht unterliegen.
Auch ein Beklagter kann sich auf R.190.1 VerfO berufen, um eine Anordnung zur Vorlage von (Gegen-)Beweismitteln zu beantragen.1) Aus dem weiteren Wortlaut von R.190.1 VerfO geht hervor, dass es den Parteien unabhängig von ihrer Rolle als Kläger oder Beklagter möglich ist, eine Anordnung der Beweisvorlage zu beantragen. Dies ergibt sich aus der Verwendung der neutralen Formulierungen ‚a party‘ (eine Partei) und ‚the other party‘ (die gegnerische Partei).2)
Es bedarf einer Abwägung zwischen dem Interesse des Beklagten an der Vorlage von Beweismitteln, die für seine FRAND-Verteidigung nützlich sein können, und dem Interesse der anderen Partei und ihrer Vertragspartner, vertrauliche Informationen zu schützen. Das Gericht erster Instanz hat bei der Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der Beweisvorlage gemäß R.190 VerfO einen Ermessensspielraum. Dieser Ermessensspielraum umfasst auch eine Entscheidung über den Antrag unter Berücksichtigung der durch den Berichterstatter, den Vorsitzenden Richter oder den Spruchkörper gemäß R.334(e) VerfO festgelegten Reihenfolge, in der über Streitpunkte zu entscheiden ist.3)
Die Beurteilung eines Antrags auf Anordnung der Beweisvorlage kann vom jeweiligen Stand des Verfahrens abhängen. Es kann vorkommen, dass ein solcher Antrag in einem bestimmten Verfahrensstand die Voraussetzungen der Erforderlichkeit, Erheblichkeit und Verhältnismäßigkeit noch nicht erfüllt, während in einem späteren Stand des Verfahrens diese Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden können.4)
Obwohl der Wortlaut von Art. 5(1) der Richtlinie 2014/104/EU auf den ersten Blick Raum für eine großzügige Betrachtung lässt, hat der EuGH bei der Auslegung der Bestimmung im Rahmen von laufenden Ermittlungen durch eine Wettbewerbsbehörde entschieden, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind, die Offenlegung von Beweismitteln auf das strikt relevante, verhältnismäßige und erforderliche Maß zu beschränken.5)
Das Gericht erster Instanz, das die beste und umfassende Kenntnis der ihm vorliegenden Rechtssache hat, verfügt über einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der Beweisvorlage. Dieser Ermessensspielraum umfasst auch eine Entscheidung über den Antrag in Übereinstimmung mit der durch den Berichterstatter, den Vorsitzenden Richter oder den Spruchkörper gemäß R.334(e) VerfO festgelegten Reihenfolge, in der über die Streitpunkte zu entscheiden ist.6)
Im Rahmen der Entscheidung zur Abwägung zwischen dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und dem Recht auf Wahrung von Geschäftsgeheimnissen hat der EuGH anerkannt, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ein allgemeiner Grundsatz ist. Wie oben erwähnt, wird in der Richtlinie 2004/48/EG, insbesondere in Art. 6, festgestellt, dass die Vorlage von Beweismitteln unter dem Vorbehalt des Schutzes vertraulicher Informationen steht.7)
Regel 190 EPGVO → Anordnung der Beweisvorlage
Erlaubt dem Gericht, auf Antrag einer Partei die Vorlage von Beweismitteln durch die gegnerische Partei oder eine dritte Partei anzuordnen und beschreibt die Anforderungen an den Antrag.