Abweichend von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
Gemäß § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB kann der Reiseveranstalter bei einem Rücktritt des Reisenden vor Reiseantritt keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung erheblich beeinträchtigen. 1)
§ 651h Abs. 3 BGB setzt nicht voraus, dass sich die außergewöhnlichen Umstände nur am Bestimmungsort auswirken. 2)
Der Tatbestand des § 651h Abs. 3 BGB ist erfüllt, wenn vor Beginn der Reise unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise begründen. 3)
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegt, sind individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden zu berücksichtigen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund der außergewöhnlichen Umstände im Sinne der genannten Vorschrift Bedeutung gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben.4)
Dies gilt nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie zum Beispiel das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann.5)
Unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände sind gemäß § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB solche, die nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich darauf beruft, und deren Folgen sich auch bei zumutbaren Vorkehrungen nicht hätten vermeiden lassen. 6) Diese Definition basiert auf Art. 3 Nr. 12 der Richtlinie (EU) 2015/2302. Erwägungsgrund 31 der Richtlinie nennt Beispiele wie Kriegshandlungen, Terrorismus und erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit, wie den Ausbruch einer schweren Krankheit oder Naturkatastrophen. 7)
Die Covid-19-Pandemie ist als Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. 8)
Die Bewertung der Gefahr durch die Covid-19-Pandemie als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn im Reisezeitraum (hier: Juni 2020) ein erhebliches, nicht beherrschbares Risiko für die menschliche Gesundheit bestand und die Gefahr einer Infektion vorlag, die dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innewohnte. 9)
Ob eine pandemische Lage am Bestimmungsort eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zur Folge hat, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab, insbesondere von den Gefahren, die dem Reisenden drohen. 10) Von Bedeutung ist, ob die Durchführung der Reise dem Reisenden trotz der außergewöhnlichen Umstände zumutbar ist. Die Beurteilung obliegt dem Tatrichter. 11)
Die Beurteilung, ob die Durchführung der Reise aufgrund außergewöhnlicher Umstände mit erheblichen Risiken verbunden ist, erfordert eine Würdigung aller relevanten Umstände aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden im Rücktrittszeitpunkt. 12) Individuelle Verhältnisse des Reisenden, wie das Alter, sind dann relevant, wenn sie aufgrund der außergewöhnlichen Umstände Bedeutung für die Reisefähigkeit erlangen. 13)
Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände lassen den Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters nur entfallen, wenn die Beeinträchtigungen erheblich und dem Reisenden nicht zumutbar sind. Dies gilt auch, wenn der Reisemangel bereits vor Reisebeginn absehbar ist. 14)
Die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise erfordert eine Gesamtwürdigung der konkreten Umstände der Reise sowie der Art und Dauer der Beeinträchtigung. 15)
Die Schließung des gebuchten Hotels bedeutet nicht immer eine erhebliche Beeinträchtigung. 16)
Die Beurteilung, ob die Beförderung an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt ist, berücksichtigt auch die Möglichkeit einer ungehinderten Rückreise. 17)
Die Covid-19-Pandemie stellt im Streitfall einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand dar. 18)
Ein Reisender muss bei vorhersehbaren Risiken in der Regel die Reise antreten, wenn die Risiken zum Buchungszeitpunkt bekannt oder absehbar waren. 19)
Risiken, die bei Vertragsschluss bestanden oder vorhersehbar waren, gelten grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Umstände. 20)
Die Gerichte müssen die Vorhersehbarkeit von Risiken aus der Perspektive eines durchschnittlichen, informierten und aufmerksamen Reisenden im Einzelfall würdigen. 21)
Ein Risiko ist in diesem Sinn nicht nur dann vorhersehbar, wenn es im Zeitpunkt der Buchung nahezu unausweichlich erscheint, dass sich das Risiko bis zum geplanten Beginn der Reise verwirklichen wird. Ausreichend ist vielmehr, wenn im Zeitpunkt der Buchung ungewiss ist, wie sich die Situation weiterentwickeln wird, und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen kommt.22)
§ 651h BGB → Rücktritt vor Reisebeginn
Regelt das Rücktrittsrecht des Reisenden und des Reiseveranstalters vor Reisebeginn, die Bedingungen und Höhe der möglichen Entschädigung sowie die Ausnahmen und Fristen für Rücktrittserklärungen und Rückerstattungen.