Artikel 54 (5) des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) erweitert die Regelung des Absatzes 4 auf spezifische Anwendungen von Stoffen oder Stoffgemischen in Verfahren nach Artikel 53 c), die nicht zum Stand der Technik gehören.
Ebenso wenig wird die Patentierbarkeit der in Absatz 4 genannten Stoffe oder Stoffgemische zur spezifischen Anwendung in einem in Artikel 53 c) genannten Verfahren durch die Absätze 2 und 3 ausgeschlossen, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört.
→ Anspruchsfassung in Fällen der zweiten medizinischen Indikation
→ Schweizerische Anspruchsform (historisch)
→ Dosierungsanleitung
→ Nacharbeitbarkeit bei einer medizinischen Verwendung
Patentschutz kommt gemäß Artikel 54 (5) EPÜ für jede spezifische Anwendung eines Stoffs in einem Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers in Betracht, sofern diese neu und erfinderisch ist.1)
Anders als das EPÜ 1973, das keine diesbezügliche Vorschrift enthielt, erlaubt Artikel 54 (5) EPÜ nun ausdrücklich weiteren Patentschutz für Stoffe oder Stoffgemische, die bereits als Arzneimittel bekannt sind, wenn ihre Anwendung in einem Verfahren nach Artikel 53 c) EPÜ spezifisch ist und nicht zum Stand der Technik gehört.2)
Die fiktive Neuheit und damit gegebenenfalls auch die erfinderische Tätigkeit leitet sich nicht vom Stoff oder Stoffgemisch als solchem ab, sondern von dem Zweck, für den der beanspruchte Stoff bzw. das beanspruchte Stoffgemisch bestimmt ist, also von seiner beabsichtigten therapeutischen Verwendung.3)
Darüber, wie die weitere therapeutische Anwendung eines bereits als Arzneimittel bekannten Stoffes oder Stoffgemisches beschaffen sein muss, um nach Artikel 54 (5) EPÜ schutzwürdig zu sein, sagt der Artikel allerdings nicht mehr, als dass sie spezifisch sein muss. Insbesondere definiert er keinen Grad der Unterscheidbarkeit, die die neue Anwendung haben muss, um als spezifische Anwendung im Sinne dieses Artikels zu gelten. Sein Wortlaut besagt im Gegenteil, dass Stoffe oder Stoffgemische zur spezifischen Anwendung (englische Fassung: „any specific use“) patentierbar sind, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört.4)
Eine solche Verwendung kann entweder eine neue Indikation im strengen Sinne sein (d. h. eine Krankheit, die noch nicht mit dem beanspruchten Stoff oder Stoffgemisch behandelt wurde) oder ein oder mehrere Schritte, die ihrer Natur nach zu einem therapeutischen Verfahren gehören, das als solches nicht beansprucht werden darf.5)
Wenn die Verwendung eines Arzneimittels bei der Behandlung einer Krankheit bereits bekannt ist, schließt Artikel 54 (5) EPÜ nicht aus, dass dieses Arzneimittel zur Verwendung bei einer anderen therapeutischen Behandlung derselben Krankheit patentiert wird.6)
Die Große Beschwerdekammer hat entschieden, dass eine spezifische Anwendung (any specific use, toute utilisation spécifique) im Sinne von Art. 54 Abs. 5 EPÜ in der seit 13. Dezember 2007 geltenden Fassung nicht in der Behandlung einer anderen Krankheit bestehen muss.7)
Die Patentierbarkeit ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das einzige nicht im Stand der Technik enthaltene Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung ist.8)
Das nachträgliche Auffinden der biologischen Zusammenhänge, die der Wirkung eines Arzneimittels zugrunde liegen, offenbart keine neue Lehre zum technischen Handeln, sofern der verabreichte Wirkstoff, die Indikation, die Dosierung und die sonstige Art und Weise, in der der Wirkstoff verwendet wird, mit einer bereits beschriebenen Verwendung eines Wirkstoffs zur Behandlung einer Krankheit übereinstimmen.9)
Nach der Entscheidungspraxis des Europäischen Patentamts war die medizinische Anwendung eines Stoffs oder Stoffgemischs schon nach der bis 12. Dezember 2007 geltenden Fassung des Europäischen Patentübereinkommens auch dann dem Patentschutz zugänglich, wenn die neue Anwendung nicht in der Behandlung einer anderen Krankheit besteht. Die seit 13. Dezember 2007 geltende Bestimmung des Art. 54 Abs. 5 EPÜ - die inhaltlich § 3 Abs. 4 PatG entspricht - hat daran nur insoweit etwas geändert, als für solche Anwendungen nunmehr ausschließlich zweckgebundener Stoffschutz anstelle der bisher geforderten Schweizer Anspruchsfassung in Frage kommt.10)
Die Große Beschwerdekammer hat entschieden, dass eine spezifische Anwendung (any specific use, toute utilisation spécifique) im Sinne von Art. 54 Abs. 5 EPÜ in der seit 13. Dezember 2007 geltenden Fassung nicht in der Behandlung einer anderen Krankheit bestehen muss.11) Nach beiden Fassungen des Übereinkommens ist Patentschutz auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das einzige nicht im Stand der Technik enthaltene Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung ist.12)
Für Anleitungen, die nicht die Dosierung, sondern sonstige Modalitäten der beanspruchten Anwendung betreffen, kann nichts anderes gelten.13)
Nach der Entscheidungspraxis des Europäischen Patentamts kommt Patentschutz nicht nur für Anwendungen zur Behandlung einer anderen Krankheit oder mit einer anderen Dosierung in Betracht. Vielmehr reicht es aus, wenn die Anwendung sich von im Stand der Technik bekannten Anwendungen unterscheidet - also neu ist - und wenn sie auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Deshalb wurde zum Beispiel Schutz gewährt, wenn die Anwendung eine neue Gruppe von behandelten Patienten, eine neue Verabreichungsart oder eine andere technische Wirkung betraf.14)
Nach der Entscheidungspraxis des Europäischen Patentamts kommt Patentschutz nicht nur für Anwendungen zur Behandlung einer anderen Krankheit oder mit einer anderen Dosierung in Betracht. Vielmehr reicht es aus, wenn die Anwendung sich von im Stand der Technik bekannten Anwendungen unterscheidet - also neu ist - und wenn sie auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Deshalb wurde zum Beispiel Schutz gewährt, wenn die Anwendung eine neue Gruppe von behandelten Patienten, eine neue Verabreichungsart oder eine andere technische Wirkung betraf. Für das deutsche Patentrecht gilt nichts anderes.15)
Nach § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG [→ Chirurgische oder therapeutische Verfahren] und Art. 53 Buchst. c EPÜ [→ Behandlungs- und Diagnostizierverfahren] müssen bei der Prüfung der Patentfähigkeit allerdings diejenigen Aspekte der Anwendung außer Betracht bleiben, die mit den Eigenschaften des Stoffs, für den Schutz begehrt wird, und mit dessen Wirkung auf den menschlichen oder tierischen Körper nicht in Zusammenhang stehen. Deshalb können therapiebezogene Anweisungen nur dann zur Patentfähigkeit beitragen, wenn sie objektiv darauf abzielen, die Wirkung des Stoffs zu ermöglichen, zu verstärken, zu beschleunigen oder in sonstiger Weise zu verbessern, nicht aber, wenn sie Therapiemaßnahmen betreffen, die zusätzlich und unabhängig von den Wirkungen des Stoffs geeignet sind, die in Rede stehende Krankheit zu behandeln.16)
Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Entdeckung, dass ein bestimmter Wirkstoff einem bei einer bestimmten Krankheit auftretenden pathologischen Zustand entgegenwirkt, keine neue technische Lehre zum Handeln begründen, wenn es im Stand der Technik bekannt war, an dieser Krankheit leidende Patienten zur Linderung der Krankheitssymptome mit dem Wirkstoff zu behandeln, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist.17)
Für den Einsatz eines Wirkstoffs zu präventiven Zwecken kann nichts anderes gelten. Der Einsatz eines Wirkstoffs zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist danach nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffs herangezogen worden sind, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist.18)
Die Erkenntnis, dass eine vorbekannte Verwendung eines Wirkstoffs zugleich einen weitergehenden (präventiven) Behandlungszweck erfüllen kann, stellt für sich gesehen keine neue technische Lehre zum Handeln dar. Eine Verwendung setzt zwar den zielgerichteten Einsatz zur Erzielung der geschützten Wirkung voraus. Ein zielgerichtetes Handeln in diesem Sinne hat aber nicht zur Voraussetzung, dass die Wirkungsweise des verabreichten Stoffs im Einzelnen bekannt ist. Vielmehr genügt ein Vorgehen, das objektiv darauf gerichtet ist, die geschützte Wirkung herbeizuführen.19)
Artikel 54 EPÜ → Neuheit
Definiert die Anforderungen an die Neuheit einer Erfindung, damit sie patentierbar ist.