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Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG [→ Unterlassungsanspruch, Schadensersatzanspruch, …] liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 UrhG [→ Bearbeitungen und Umgestaltungen, Freie Benutzung], nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt.1)
Auch nach dem Unionsrecht betrifft die Frage, inwieweit der Urheber eine Nutzung des Werks in veränderter Gestalt erlauben oder verbieten kann, den Schutzumfang des in Rede stehenden Verwertungsrechts.2)
Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Satz 1 UrhG aF/§ 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG nF, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch solche - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, die über keine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügen und sich daher trotz einer vorgenommenen Umgestaltung noch im Schutzbereich des Originals befinden, weil dessen Eigenart in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht.3)
Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Satz 1 UrhG aF/§ 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG nF. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Satz 1 UrhG aF/§ 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG nF setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Satz 1 UrhGaF/§ 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG nF und erst recht keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 24 Abs. 1 UrhG aF/§ 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG nF ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf.4)
Aus diesen Grundsätzen ergibt sich eine abgestufte Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks. Es ist dann - soweit erforderlich - weiter zu prüfen, ob die neue Gestaltung gleichwohl so wesentliche Veränderungen aufweist, dass sie nicht als reine Vervielfältigung, sondern als (unfreie) Bearbeitung oder andere Umgestaltung des benutzten Werks anzusehen ist. Weicht der jeweilige Gesamteindruck voneinander ab, liegt jedenfalls weder eine Vervielfältigung noch eine Bearbeitung, sondern möglicherweise eine freie Benutzung vor. Um eine freie Benutzung im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG aF handelt es sich, wenn ein selbständiges Werk geschaffen wurde und das ältere Werk als Grundlage für die Schöpfung des neuen Werks diente.5)
Eine neue Gestaltung greift danach schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist.6)
Für die Beurteilung des Eingriffs in den Schutzbereich der Verwertungsrechte bei einem Werk kommt es darauf an, ob in der angegriffenen Gestaltung bei einem Vergleich des Gesamteindrucks die den Urheberrechtsschutz der benutzten Gestaltung begründenden Merkmale wiedererkennbar sind.7)
Für den Eingriff in den Schutzbereich der Verwertungsrechte bei einem anderen Schutzgegenstand wie etwa einem Tonträger kommt es darauf an, ob in der angegriffenen Gestaltung die den Leistungsrechtsschutz der benutzten Gestaltung begründenden Merkmale wiedererkennbar sind. So setzt der Schutz eines Tonträgers nicht voraus, dass es sich dabei um eine persönliche geistige Schöpfung handelt. Vielmehr wird dem Tonträgerhersteller Schutz für eine organisatorische, technische und wirtschaftliche Leistung gewährt, die sich selbst im kleinsten Teil des Tonträgers niederschlägt.8)
Deshalb kommt es nur darauf an, dass ein solcher Teil des Tonträgers wiedererkennbar [→ Kriterium der Wiedererkennbarkeit] ist.9)
Ein Eingriff in ein Verwertungsrecht des Urhebers liegt bereits dann nicht vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung nicht mit dem Gesamteindruck des benutzten Werks übereinstimmt; es kommt dann nicht darauf an, ob es sich bei der neuen Gestaltung um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt.10)
→ Kriterium der Wiedererkennbarkeit
§ 23 Abs. 1 S. 2 UrhG nF, § 24 Abs. 1 UrhG aF → Freie Benutzung
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