Anzeigen:
Nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG ist ein Patent grundsätzlich zu widerrufen, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Nach § 21 Abs. 2 PatG ist das Schutzrecht mit einer entsprechenden Beschränkung aufrechtzuerhalten, wenn der Widerrufsgrund nur einen Teil des Patents betrifft. Im Fall des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG muss der Gegenstand des Patents hierfür so eingeschränkt werden, dass er vom Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen gedeckt wird. Ist der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden, kann die Beschränkung grundsätzlich dadurch erfolgen, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird. Diese Möglichkeit scheidet aus, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu geführt hat, dass der Gegenstand des Patents eingeschränkt worden ist. Eine Rückgängigmachung dieser Einschränkung würde zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen, die ihrerseits unzulässig ist, wie sich aus § 22 Abs. 1 PatG ergibt.
Der Bundesgerichtshof1) hat für das Nichtigkeitsverfahren betreffend ein nationales Patent darauf abgestellt, dass weder aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 noch aus § 22 Abs. 1 PatG abgeleitet werden könne, dass ein Patent stets zu widerrufen sei, wenn sein Gegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Aufnahme eines darin nicht offenbarten Merkmals eingeschränkt worden sei. Aus den genannten Vorschriften ergebe sich zwar, dass das Gesetz dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hohes Gewicht einräume. Gemäß § 21 Abs. 2 PatG sei diesem Interesse aber schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen eines dieser Verbote durch eine entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht werde. Dies könne etwa dadurch geschehen, dass das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleibe, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Acht zu lassen sei, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden dürfe. Schon damit sei sichergestellt, dass das Merkmal für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich bleibe, der Rechtsbestand des Patents aber nicht auf technische Anweisungen gestützt werde, die in der Anmeldung als nicht zur Erfindung gehörend offenbart seien. Eines Widerruf bzw. einer Nichtigerklärung bedürfe es in dieser Konstellation folglich nicht.2)
In seiner Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“ hat der Bundesgerichtshof seine abweichende Ansicht der Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts gegenübergestellt und ist zu dem Schluss gelangt, dass für das Einspruchsverfahren betreffend ein nationales Patent die Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts trotz der weitgehend gleichgelagerten Regelungen der §§ 21 Abs. 1 Nr. 4, 22 Abs. 1 PatG und der Art. 100 Buchst. c, Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ nicht zu übernehmen sei. Dem von der Großen Beschwerdekammer herangezogenen Gesichtspunkt des verbindlichen Charakters von Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ komme jedenfalls für das deutsche Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zu, wie auch Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ den Lösungsweg über einen Disclaimer nicht kategorisch ausschlössen. Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“ zum EP-Patent keine abweichende Auffassung vertreten, sondern ist ausdrücklich nur für den Anwendungsbereich von §§ 21 und 22 PatG der Auffassung der Großen Beschwerdekammer nicht beigetreten. Der Bundesgerichtshof hat u.a. zur Begründung darauf hingewiesen, dass er sich an einer abweichenden Lösung im Hinblick auf den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ jedenfalls für das deutsche Recht nicht gehindert sieht, welches im PatG keine entsprechende Regelung aufweist.3)
Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat aus der weitgehend gleichgelagerten Regelung in Art. 100 Buchst. c und Art. 138 Abs. 2 Buchst. d EPÜ die Schlussfolgerung gezogen, ein Patent dürfe in solchen Fällen nicht durch Streichung der beschränkenden Gegenstände aus den Ansprüchen geändert werden. Das Patent könne im Einspruchsverfahren aufrechterhalten werden, wenn die betreffenden Merkmale durch andere (engere) Merkmale ersetzt werden könnten, für die die Anmeldung in der ursprünglich einge-reichten Fassung eine Grundlage biete (EPA, Entscheidung vom 2. Februar 1994 - G 1/93, ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 ff. - Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products). Ohne eine solche Änderung könne das Patent nur dann aufrechterhalten werden, wenn durch die Aufnahme des nicht offenbarten Merkmals lediglich der Schutz für einen Teil des Gegenstands der beanspruchten Erfindung ausgeschlossen werde und dieses Merkmal keinen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leiste; in diesem Fall gehe der Gegenstand des Patents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (aaO Rn. 16). Eine Änderung in dem zuletzt genannten Sinne (von ihr als „disclaimer“ bezeichnet) sieht die Große Beschwerdekammer als zulässig an, wenn sie dazu dient, die Neuheit wiederherzustellen, indem ein Anspruch gegenüber dem Inhalt einer später veröffentlichten Patentanmeldung oder einer „zufälligen“ Vorwegnahme abgegrenzt wird, oder einen Gegenstand auszuklammern, der nach Art. 52 bis 57 EPÜ als nichttechnisch („aus nichttechnischen Gründen“) vom Patentschutz ausgeschlossen ist (EPA, Entscheidung vom 8. April 2004 - G 1/03, ABl. EPA 2004, 413 = GRUR Int. 2004, 959 - Disclaimer/PPG).4)
Der Bundesgerichtshof hat für das Nichtigkeitsverfahren, in dem § 21 Abs. 1 und 2 PatG aufgrund der Verweisung in § 22 PatG entsprechend anzuwenden sind, entschieden, dass eine Nichtigerklärung des Patents nicht in Betracht kommt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In solchen Fällen sei den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit Genüge getan, wenn das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibe und zugleich dafür Sorge getragen werde, dass im Übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelange, aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden könnten.5)
Diese Auffassung wird in der Sache auch vom Bundespatentgericht vertreten, das es in solchen Fällen aber für erforderlich hält, die Ansprüche oder die Beschreibung um eine Erklärung („nach Art eines Disclaimers“) zu ergänzen, dass aus der unzulässigen Änderung Rechte nicht hergeleitet werden.6)
Viele Stimmen in der Literatur teilen ebenfalls die Auffassung des Bundesgerichtshofs.7)
Die in der Entscheidung „Zeittelegramm“ geäußerte Auffassung gilt auch für das Einspruchsverfahren nach dem Patentgesetz.8)
Weder aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 noch aus § 22 Abs. 1 PatG kann abgeleitet werden, dass ein Patent stets zu widerrufen ist, wenn sein Gegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Aufnahme eines darin nicht offenbarten Merkmals eingeschränkt worden ist. Aus den genannten Vorschriften ergibt sich zwar, dass das Gesetz dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hohes Gewicht einräumt. Gemäß § 21 Abs. 2 PatG ist diesem Interesse aber schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen eines dieser Verbote durch entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht wird.9)
Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleibt, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf. Schon damit ist sichergestellt, dass das Merkmal für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich bleibt, der Rechtsbestand des Patents aber nicht auf technische Anweisungen gestützt wird, die in der Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sind. Eines Widerrufs des Patents bedarf es in dieser Konstellation folglich nicht.10)
Der Senat verkennt nicht, dass diese Lösung jedenfalls im theoretischen Ansatz nicht mit der Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Einklang steht und in Fällen, in denen die Einfügung des Merkmals nicht zur Patentierung eines „Aliud“ geführt hat, zu abweichenden Ergebnissen führen kann. Er vermag der Auffassung der Großen Beschwerdekammer aber jedenfalls für den Anwendungsbereich von §§ 21 und 22 PatG nicht beizutreten.11)
Die Große Beschwerdekammer hat gesehen, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Anmelder führen kann (aaO ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products). Sie sieht sich an einer abweichenden Lösung durch den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ gehindert. Diesem Gesichtspunkt kommt nach Auffassung des Senats jedenfalls für das deutsche Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Wortlaut des Patentgesetzes sieht für den Fall, dass die zur Ausräumung eines Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrunds an sich erforderliche Streichung eines Merkmals aus dem Patentanspruch einen neuen Nichtigkeitsgrund entstehen ließe, weder in die eine noch in die andere Richtung eine ausdrückliche Regelung vor. Deshalb ist unter Rückgriff auf allgemeine Auslegungskriterien zu ermitteln, ob die unzulässige Einfügung des Merkmals gemäß § 21 Abs. 1 PatG zwingend zum vollständigen Widerruf führt oder ob den berechtigten Belangen der Öffentlichkeit nicht dadurch Genüge getan ist, dass - wie sich aus § 38 Satz 2 PatG ergibt - aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Diese Frage ist aus den bereits angeführten Gründen im zuletzt genannten Sinne zu entscheiden. Auch die Große Beschwerdekammer hält die Belassung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Dies bestätigt nach Auffassung des Senats, dass Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ diesen Lösungsweg nicht kategorisch ausschließen.12)
Der aufgezeigte Lösungsweg kommt nur dann in Betracht, wenn die Einfügung des in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals eine Einschränkung des angemeldeten Gegenstands bewirkt hat. Er scheidet aus, wenn die Hinzufügung des Merkmals dazu geführt hat, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein „Aliud” darstellt.13)
Ob es sich um eine Einschränkung im genannten Sinne oder um ein „Aliud“ handelt, kann nicht allein nach formalen Kriterien entschieden werden. Ins-besondere kann eine bloße Einschränkung nicht schon deshalb bejaht werden, weil alle in Betracht kommenden Ausführungsformen, die die Merkmale des Patentanspruchs in der erteilten Fassung aufweisen, formal auch unter den In-halt der ursprünglich eingereichten Unterlagen subsumiert werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob mit der Hinzufügung des Merkmals lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist.14)
Diese Unterscheidung ist auch für das Einspruchsverfahren maßgeblich. Die Öffentlichkeit braucht nicht damit zu rechnen, dass etwas patentiert wird, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein „Aliud” darstellt. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen.15)
Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch angegriffenen, sich von der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen in anderer Weise als durch eine Konkretisierung unterscheidenden Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, würde dazu führen, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchsverfahren auf einen anderen Gegenstand gerichtet ist als in der erteilten Fassung. Eine solche Änderung kann nicht mehr als nach § 21 Abs. 2 PatG statthafte Beschränkung angesehen werden.16)
§ 21 (1) Nr. 4 PatG → Widerruf wegen unzulässiger Erweiterung
Partnerprojekte: waidlerwiki.de - chiemgau-wiki.de