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Weder im EPÜ noch in seiner Ausführungsordnung ist vorgesehen, dass eine Instanz des EPA dem EuGH Rechtsfragen vorlegt. Die Beschwerdekammern gehen auf das EPÜ zurück, und ihre Befugnisse beschränken sich auf die im EPÜ vorgesehenen. Prima facie muss die Folgerung daraus lauten, dass eine Vorlage in Ermangelung einer entsprechenden Bestimmung nicht möglich ist.1)
Ebenso wenig scheint Artikel 234 EGVertrag, wonach der EuGH im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft – wie z. B. der Richtlinie – entscheidet, eine Grundlage dafür zu bieten, dass eine Beschwerdekammer des EPA den EuGH um eine Entscheidung in einer ihr vorliegenden Frage ersucht. Artikel 234 EGVertrag legt fest, dass die Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem Gericht eines EU-Mitgliedstaats gestellt werden muss. Nun wurden die Beschwerdekammern des EPA zwar als Gerichte anerkannt, doch sind sie nicht Gerichte eines EU-Mitgliedstaats, sondern einer internationalen Organisation, deren Vertragsstaaten gar nicht alle der EU angehören.2)
Der Verwaltungsrat der EPO als für die Ausführungsordnung zuständiger Gesetzgeber hat es für notwendig befunden, die jetzigen Regeln 26 bis 29 (früher 23b bis 23e) EPÜ aufzunehmen, sodass die Bestimmungen des EPÜ denen der Richtlinie entsprechen. Damit haben alle Vertragsstaaten des EPÜ, auch diejenigen, die nicht der EU angehören, ihrem Willen Ausdruck verliehen, dass diese Regeln bei der Auslegung des EPÜ in der Frage, ob ein Patent erteilt wird oder nicht, angewandt werden sollen. Dies kann aber nicht so verstanden werden, dass den Beschwerdekammern damit die Befugnis übertragen oder die Auflage gemacht wurde, den EuGH mit der Auslegung des EPÜ oder seiner Ausführungsordnung zu befassen. Und ganz gewiss kann bei den EPÜ-Vertragsstaaten, die nicht der EU angehören, nicht davon ausgegangen werden, dass sie dem EuGH eine gerichtliche Zuständigkeit übertragen haben.3)
Der bloße identische Wortlaut von Regel 28 c) (früher 23d c)) EPÜ und Artikel 6 (2) c) der Richtlinie kann nicht zu dem Schluss führen, dass der EuGH nun dafür zuständig ist, für das EPA Entscheidungen nach Maßgabe des EPÜ zu treffen. Die Beschwerdekammern wenden diese Bestimmung an, weil sie eine Rechtsvorschrift der Ausführungsordnung zum EPÜ ist, und nicht, weil die Richtlinie eine unmittelbar anzuwendende Rechtsquelle ist. Dies wird durch die Tatsache gestützt, dass Regel 26 (1) (früher 23b (1)) EPÜ lediglich besagt, dass die Richtlinie bei der Auslegung der Regeln 26 bis 29 (früher 23b bis 23e) EPÜ ergänzend heranzuziehen ist.4)
Gemäß Artikel 23 (3) EPÜ sind die Mitglieder der Kammern bei ihren Entscheidungen an Weisungen nicht gebunden und nur dem EPÜ unterworfen. Aus Artikel 23 (3) EPÜ in seiner derzeitigen Fassung schließt die Große Beschwerdekammer, dass weder sie selbst noch irgendeine andere Beschwerdekammer des EPA befugt ist, eine Entscheidung des EuGH über die Auslegung von Artikel 6 (2) c) der Richtlinie als verbindlich anzusehen und sie auf Regel 28 c) (früher 23d c)) EPÜ anzuwenden.5)
Der Großen Beschwerdekammer ist kein Präzedenzfall bekannt, in dem der EuGH um eine beratende Stellungnahme gebeten wurde, und es ist fraglich, ob sich der EuGH überhaupt mit einem solchen Antrag befassen würde, wenn unklar wäre, wer dazu berechtigt ist, sich vor dem EuGH zu den Vorlagefragen zu äußern.6)
Dass sich der Sitz der Beschwerdekammern des EPA in einem EU-Mitgliedstaat, nämlich Deutschland, befindet, ändert nichts an ihrem Status als Teil einer internationalen Organisation mit den im EPÜ verankerten Zuständigkeiten. Die Beschwerdekammern des EPA werden nicht und wurden noch nie als Gerichte ihres Sitzstaats behandelt.7)
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