Wer ein nicht erschienenes Werk nach Erlöschen des Urheberrechts erlaubterweise erstmals erscheinen läßt oder erstmals öffentlich wiedergibt, hat das ausschließliche Recht, das Werk zu verwerten. Das gleiche gilt für nicht erschienene Werke, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes niemals geschützt waren, deren Urheber aber schon länger als siebzig Jahre tot ist. Die §§ 5 und 10 Abs. 1 sowie die §§ 15 bis 23, 26, 27, 44a bis 63 und 88.
Der Zweck des § 71 UrhG liegt darin, die Leistung desjenigen, der ein nachgelassenes Werk auffindet, dessen Wert erkennt und es veröffentlicht, anzuerkennen und zu belohnen. Mit dem zeitlich begrenzten ausschließlichen Verwertungsrecht soll ein Ausgleich für den oft erheblichen Arbeits- und Kostenaufwand gewährt und auf diese Art und Weise ein Anreiz für die Veröffentlichung nachgelassener Werke geschaffen werden.1)
Dies rechtfertigt es, den Eigentümer des Werks als Berechtigten i.S. des § 71 UrhG anzusehen. Denn derjenige, der neben dem Urheber das stärkste Recht am Werk hat, ist dessen Eigentümer. Ist der Urheber oder dessen Rechtsnachfolger nicht mehr vorhanden, ist der Einzige, der berechtigterweise auf das Werk Einfluss nehmen und entscheiden kann, was mit ihm geschehen soll, der Eigentümer. Abgesehen davon, dass der Eigentümer eines nicht erschienenen Werks, dessen Urheber nicht bekannt ist, die Wahl hat, ob er das Werk überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich macht oder es vor dieser verbirgt, kann auch nur er beispielsweise dessen Aufarbeitung, Ausstellung, Präsentation etc. vornehmen, veranlassen oder gestatten und damit dem Interesse der Allgemeinheit und Öffentlichkeit in dem von § 71 UrhG gewünschten Umfang dienen. Der im Interesse der Allgemeinheit durch das alleinige Verwertungsrecht zu schaffende Anreiz ist daher vorrangig an den Eigentümer gerichtet. Er soll durch die Möglichkeit, aus der Vermarktung des veröffentlichen Werks finanzielle Vorteile zu ziehen, dazu verlockt werden, es einem großen Kreis z.B. durch Ausstellungen und Berichte zugänglich zu machen und Geld für die Erhaltung und Restauration aufzuwenden, und verhindern, dass die Veröffentlichung an den dadurch entstehenden Kosten scheitert.2)
Angesichts dessen erscheint es nicht sachgerecht, demjenigen, der zwar eine hinreichende Anzahl von Vervielfältigungen des Werks in den Verkehr gebracht, sonst aber keinerlei Einfluss auf das Werk selbst hat, für diesen relativ kleinen Beitrag mit dem alleinigen Verwertungsrecht zu belohnen. Um dem Ziel des § 71 UrhG in möglichst weitem Umfang gerecht werden zu können, muss daher dem Eigentümer des Werks die Möglichkeit vorbehalten bleiben, selbst ein zeitlich begrenztes Verwertungsrecht zu erwerben bzw. zu entscheiden, wer Inhaber des Verwertungsrechts werden soll.3)
Die Nutzungs- und Verwertungsrechte liegen nicht grundsätzlich zeitlich unbegrenzt beim Eigentümer des Werks. Die bürgerlichrechtlichen Besitz- und Eigentumsvorschriften dienen dem Schutz der Sachherrschaft über die körperliche Sache4). Zwar steht die gewerbliche Nutzung einer Sache im Grundsatz dem Eigentümer zu, ob das aber allgemein zu gelten hat, hat der BGH5) ausdrücklich offen gelassen.6)
Wann ein Werk erschienen ist, richtet sich nach § 6 UrhG. [→Erschienene Werke]
Das Erscheinen des Werkes ist abzugrenzen von der Veröffentlichte des Werkes nach § 6 (1) UrhG.
Das Merkmal des „Erscheinens“ in § 71 I Satz 1 und 2 UrhG geht auf die ursprüngliche Fassung des Urheberrechtsgesetzes von 9. 9. 1965 zurück. Die Vorschrift ist später durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes in bestimmter Weise allerdings unter Beibehaltung des Merkmals des „Erscheinens“ einer Vorgabe aus Artikel 4 der so genannten Schutzdauer-Richtlinie angepasst worden. Nach allgemeiner Meinung ist das Merkmal des „Erscheinens“ in § 71 I Satz 1 und 2 UrhG an sich so zu verstehen, wie es in § 6 II UrhG einheitlich für das Urheberrechtsgesetz definiert ist.7))
Auch ein früheres Erscheinen im Ausland hindert nach allgemeiner Auffassung das Entstehen eines Schutzrechts nach § 71 UrhG.8)
Ebenso wenig stellt das Gesetz darauf ab, wie lange das frühere Erscheinen zurückliegt.9)
Zum einen bezieht sich die öffentliche Wiedergabe in der Terminologie des Urhebergesetzes auf die unkörperliche Wiedergabe im Sinne des § 15 II UrhG, d. h. bezogen auf Werke der bildenden Kunst, z. B. die Wiedergabe durch Lichtbildvorträge10), so dass das Zeigen des Originals in der Öffentlichkeit keine öffentliche Wiedergabe im Sinne der Vorschriften des Urhebergesetzes ist.11)
Die enger gefassten Grenzen des Leistungsschutzes des jetzigen § 71 UrhG würden besonders deutlich, wenn ein in der Antike oder dem Mittelalter erschienener, dann aber verschollener Text, wie etwa weitere Bücher der Geschichte des Titus Livius möglicherweise mit großem Aufwand heute noch aufgefunden und herausgegeben würde.12)
Das OLG Düsseldorf folgt nicht dem Vorschlag von Ekrutt, Der Schutz der „editio princeps“, Ufita, Bd. 84 (1979), S. 45 [49 ff.], den Anwendungsbereich des § 71 UrhG - über den Gesetzeswortlaut hinaus - dadurch auszuweiten, dass das Schutzrecht unter bestimmten Voraussetzungen auch an erschienenen Werken gewährt wird, dann nämlich, wenn die Werke vor dem Aufkommen der ersten Urheberrechtsordnungen erschienen sind, also vor Beginn des 19. Jahrhunderts, sie aber nur in geringer Auflage erschienen sind und sie inzwischen „soweit verschollen sind, dass eine besondere Leistung erforderlich war, um das Werk ausfindig zu machen.“.13)
Im Übrigen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 71 UrhG, dass eine bereits vor der Existenz eines normierten Urheberrechtsschutzes erfolgte öffentliche Wiedergabe nicht ausreicht, um die Entstehung des Schutzes nach § 71 UrhG zu verhindern. Diesbezüglich knüpft das Gesetz nur daran an, dass das Werk außerhalb des Geltungsbereiches des Urhebergesetzes niemals erschienenen ist und niemals urheberrechtlich geschützt war. Die zweite Alternative der öffentliche Wiedergabe bezieht sich somit dem Wortlaut nach nur auf die Begründung des Schutzrechtes , so dass seit der Geltung des neuen § 71 UrhG auch ein Schutzrecht durch öffentliche Wiedergabe begründet werden und ein nachfolgendes Erscheinen dann diese Rechte nicht mehr begründen kann.14)
In § 71 I Satz 1 und 2 UrhG geht es bei dem früheren Erscheinen des Werkes um eine negative Tatsache, d.h., es muss festgestellt werden, dass es die Tatsache nicht gegeben hat. Das Fehlen einer Tatsache kann aber - seiner Natur nach - nicht unmittelbar festgestellt werden; es kann vielmehr nur erschlossen werden. Grundlage des Schlusses kann sein, dass etwas wahrgenommen wird, das bei Existenz der Tatsache nicht wahrnehmbar sein dürfte, oder dass man die Tatsache nicht wahrnimmt, sie aber wahrnehmen müsste, wenn sie da wäre.15)
Für den Beweis einer Negative die Widerlegung der Umstände, die für die Positive sprechen16)
Das Recht ist übertragbar.
Das Recht erlischt fünfundzwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Werkes oder, wenn seine erste öffentliche Wiedergabe früher erfolgt ist, nach dieser.