Das EPGÜ [→ Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht] steht in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der Europäischen Union1) und ersetzt in der Sache unionsrechtliche Regelungen, deren Verankerung im Recht der Europäischen Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden hat.2)
Das EPGÜ findet im Primärrecht einen unmittelbaren Anknüpfungspunkt in Art. 262 AEUV. Dieser macht deutlich, dass die Schaffung einer unionalen Rechtsprechungszuständigkeit im Bereich des Patentrechts von den Mitgliedstaaten gewollt, vom Integrationsprogramm allerdings noch nicht umfasst ist. Insoweit sieht Art. 262 AEUV eine Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum auf den Gerichtshof vor, bindet diese jedoch an einen einstimmigen Ratsbeschluss (Satz 1) und an eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten (Satz 2). Für beides gab es bislang keine ausreichende Unterstützung. Unabhängig von der Frage, ob eine Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts auf völkerrechtlicher Grundlage diese Vorgabe des Art. 262 AEUV unterläuft, zeigt die Bestimmung doch, dass das Einheitliche Patentgericht nur ein funktionales Äquivalent für eine „richtige“ unionale Patentgerichtsbarkeit sein soll.3)
Das EPGÜ ist mit auf der Grundlage von Art. 118 AEUV erlassenem Sekundärrecht auf das Engste verwoben (vgl. auch 4. Erwägungsgrund zum EPGÜ). Es entfaltet seinen Regelungsgehalt erst im Zusammenspiel mit diesen Regelungen, die die Schaffung eines einheitlich wirkenden europäischen Schutzrechts für Patente vorsehen. So knüpft es an die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 und die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 an, die das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung schaffen. Das Inkrafttreten dieser Verordnungen ist an das Inkrafttreten des EPGÜ gekoppelt (vgl. Art. 18 Abs. 2 UAbs. 1 Verordnung <EU> Nr. 1257/2012 sowie Art. 7 Abs. 2 Verordnung <EU> Nr. 1260/2012), so dass die Wirksamkeit des EPGÜ zugleich Voraussetzung für die Wirksamkeit des einschlägigen Sekundärrechts ist. Ein wesentlicher Teil der Rechtsprechungsaufgaben des Einheitlichen Patentgerichts wird unionsrechtlich geregelte Rechte und Ansprüche betreffen (vgl. Art. 2 Buchstaben f und h, Art. 3 Buchstaben a und b i.V.m. Art. 32 EPGÜ), deren einheitliche Wirkung erst durch die im EPGÜ enthaltenen Regelungen (Art. 25 bis 28, 30 EPGÜ) sichergestellt wird.4)
Die enge Verzahnung des EPGÜ mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union kommt auch darin zum Ausdruck, dass das Einheitliche Patentgericht trotz seiner Qualifikation als eigenständige, von der Europäischen Union zu unterscheidende supranationale Einrichtung unmittelbar an das Unionsrecht gebunden ist (Art. 24 Abs. 1 Buchstabe a EPGÜ). Das EPGÜ verpflichtet es zudem auf den Vorrang des Unionsrechts (Art. 20 EPGÜ), wobei die Vertragsmitgliedstaaten eine Verpflichtung bekunden, „durch das Einheitliche Patentgericht die uneingeschränkte Anwendung und Achtung des Unionsrechts in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet und den gerichtlichen Schutz der dem Einzelnen aus diesem Recht erwachsenden Rechte zu gewährleisten“ (vgl. 9. Erwägungsgrund).5)
Das Übereinkommen wurde ferner maßgeblich durch Organe der Europäischen Union (mit-)vorangetrieben.6) Das Projekt einer einheitlichen europäischen Patentgerichtsbarkeit wurde seit langer Zeit als notwendiger Teil eines unionalen Patentrechts betrachtet, das von der Europäischen Kommission ebenso befürwortet wurde wie vom Rat. Jedenfalls seit der Jahrtausendwende hat die Europäische Kommission auf eine Zentralisierung des gerichtlichen Rechtsschutzes in diesem Bereich hingearbeitet 7) und damit auch den Gerichtshof befasst.8) Zwar wurde der ursprüngliche Entwurf einer europäischen Patentgerichtsbarkeit im Gutachten vom 8. März 2011 vom Gerichtshof verworfen9). Die dort vorgesehenen Regelungen wurden jedoch in das „Europäische Patentpaket“ übernommen, das neben dem EPGÜ auch die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 und die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 umfasst 10) und – losgelöst von Zuständigkeitsfragen – vom Europäischen Parlament nachdrücklich befördert worden ist11).12)
Die Organe der Europäischen Union sind in die Umsetzung des EPGÜ in unterschiedlichem Umfang eingebunden. Das Generalsekretariat des Rates wird als Verwahrer der Ratifikationsurkunden in Anspruch genommen (Art. 84 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4, Art. 85 EPGÜ), die Europäische Kommission soll an Erlass und Änderung der Verfahrensordnung beteiligt werden und deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sicherstellen (Art. 41 Abs. 1 und Abs. 2 EPGÜ). In den Sitzungen des Verwaltungsausschusses ist sie zudem als Beobachter vertreten (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 EPGÜ). Das Europäische Patentgericht selbst kann beziehungsweise muss schließlich gemäß Art. 267 AEUV Vorabentscheidungen des Gerichtshofs einholen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 21 EPGÜ).13)
Außerdem steht das Übereinkommen ausschließlich Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen. Art. 1 Abs. 2 EPGÜ definiert das Einheitliche Patentgericht insoweit als „gemeinsames Gericht der Vertragsmitgliedstaaten“, wobei der Begriff Vertragsmitgliedstaat ausweislich des Art. 2 Buchstaben b und c EPGÜ einen Mitgliedstaat der Europäischen Union bezeichnet, der Vertragspartei dieses Übereinkommens ist. Die Begrenzung des Kreises der Vertragsparteien findet auch in den Erwägungsgründen zum EPGÜ Niederschlag. So spricht der 1. Erwägungsgrund davon, dass „die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet des Patentwesens einen wesentlichen Beitrag zum Integrationsprozess in Europa leistet, insbesondere zur Schaffung eines durch den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr gekennzeichneten Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Union und zur Verwirklichung eines Systems, mit dem sichergestellt wird, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verzerrt wird“, während der 14. Erwägungsgrund deutlich macht, dass „dieses Übereinkommen jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union zum Beitritt offenstehen sollte“. Diese Begrenzung wurzelt letztlich in der – generalisierbaren – Rechtsprechung des Gerichtshofs14), der es mit Blick auf die Integrität der Unionsrechtsordnung für unzulässig hält, „einem außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehenden internationalen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent und zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich“ zu übertragen15).16)
Art. 32 EPGÜ [→ Zuständigkeit des Gerichts] überträgt dem Einheitlichen Patentgericht die dort aufgeführten Rechtsprechungsbefugnisse und damit einen nicht unerheblichen Ausschnitt der zivil- und verwaltungsrechtlichen Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten von erheblicher ökonomischer Relevanz zur ausschließlichen Erledigung, soweit Klagen nicht während einer Übergangszeit von sieben Jahren noch bei den nationalen Gerichten erhoben werden (Art. 83 EPGÜ). Seine Urteile sind gemäß Art. 82 Abs. 3 Satz 2 EPGÜ ohne Weiteres vollstreckbar. Die Anordnung der Vorlage von Beweismitteln durch die Gegenpartei oder Dritte (Art. 59 EPGÜ), die Beschlagnahme von Gegenständen (Art. 60 Abs. 2 EPGÜ) oder die „Inspektion“ von Räumlichkeiten (Art. 60 Abs. 3 EPGÜ) stellen Grundrechtseingriffe dar und wirken unmittelbar im Rechtsraum der Vertragsmitgliedstaaten (Art. 34 EPGÜ).17)
Zugleich ist das Einheitliche Patentgericht aber auch zur Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts verpflichtet (vgl. Art. 24 Abs. 1 Buchstabe e EPGÜ), wodurch es – wie von den Mitgliedstaaten beabsichtigt (7. Erwägungsgrund zum EPGÜ) – Teil der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit wird (vgl. Art. 1 Abs. 2, Art. 82 Abs. 3 Satz 2 EPGÜ).18)
Letztlich führt das EPGÜ zu einer erheblichen Modifikation der vom Grundgesetz für Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes vorgesehenen Gerichtsorganisation. Art. 96 Abs. 1 GG ermöglicht die – tatsächlich erfolgte – Errichtung eines eigenständigen Bundesgerichts, für das Art. 96 Abs. 3 GG den Bundesgerichtshof zum obersten Gerichtshof bestimmt. Diese verfassungsrechtlich geordnete Struktur der deutschen Gerichtsverfassung wird durch das EPGÜ modifiziert, um ein weiteres Gericht ergänzt und mit einem eigenen internen Rechtsmittelzug versehen.19)