→ Verwirkung im Immaterialgüterrecht und im Wettbewerbsrecht
Die Verwirkung schließt als ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) [→ Treu und Glauben] die illoyal verspätete Geltendmachung eines Rechts aus.1)
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeit-moment) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde.2)
Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden.3)
Ein Recht kann verwirkt sein, wenn der Gläubiger es über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hat, der Schuldner sich bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und auch darauf eingerichtet hat, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt; die zeitlichen wie die sonstigen Um-stände des Falles in ihrer Gesamtheit müssen also die Beurteilung tragen, dass Treu und Glauben dem Gläubiger die Verfolgung des Anspruchs verwehren, mit dessen Geltendmachung der Schuldner nicht mehr rechnen musste.4)
Die Verwirkung ist aus dem im BGB verankerten Gebot von Treu und Glauben (§ 2425) BGB) abgeleitet.
Der Verletzer muss darauf vertrauen können, dass ihm irgendwann nichts mehr passieren kann. Er hat sich dann einen Besitzstand ersessen.
1. Allgemein
Verwirkung des Rechts aus einer Marke oder einer geschäftlichen Bezeichnung die Benutzung eines entsprechend jüngeren Kennzeichens zu untersagen, wenn dem Verletzten die Benutzung während eines Zeitraums von 5 aufeinanderfolgenden Jahren bekannt war und er sie geduldet hat.
§ 21 III MarkenG: Rechtsfolge des Verwirkens: Der Inhaber des jüngeren Kennzeichens kann nicht gegen den Inhaber des älteren Kennzeichens vorgehen.
§ 21 IV BGB: Verweis auf allgemeine Grundsätze des BGB, d.h. auch auf § 242 BGB.
Begriff der Duldung: Nicht oder nicht konsequent gegen den Verletzer vorgehen.
2. Anspruchsarten
Die Verwirkung bezieht sich vordergründig auf den Unterlassungsanspruch, betrifft jedoch auch die Beseitigungs-, Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche.
§ 51 II MarkenG: Verwirkung des Löschungsanspruchs.
3. § 21 Abs. 1 MarkenG
- Die jüngere Marke braucht keine Verkehrsgeltung.
- Der Umfang der Verwirkung ist auf eingetragene Marken und auf die Waren und Dienstleistungen für die eingetragen ist begrenzt.
- positive Kenntnis der Benutzung ist erforderlich, jedoch kein Kennenmüssen.
- die Benutzung der jüngeren Marke muss über 5 aufeinanderfolgende Jahre geduldet worden sein.
- es muss die Möglichkeit des Vorgehens gegen die jüngere Marke bestehen; d.h. bei Weiterbenutzung einer Marke nach Ablauf der Lizenzierung beginnt die Verwirkungsfrist erst mit der Weiterbenutzung.
- Ausschluss der Verwirkung bei Bösgläubigkeit des Verletzers (Definition der Bösgläubigkeit in den Entscheidungen 'Class-E', 'Tube Expert', 'Torch' und 'S100').
4. § 21 Abs. 2 MarkenG
- jüngeres Recht ist eine Benutzungsmarke, notorisch bekannte Marke oder eine geschäftliche Bezeichnung
- die Verwirkung geht nur soweit, wie das Zeichen im tatsächlichen geschäftlichen Verkehr verwendet wird.
5. § 21 Abs. 3 MarkenG
- Der Inhaber des jüngeren Kennzeichens kann bei Verwirkung nicht gegen die ältere Marke vorgehen.
1. Allgemein
§ 242 BGB wurde durch die Rechtsprechung als Einfallstor in das BGB entwickelt, die grundsätzlich jede missbräuchliche Rechtsausübung untersagt. Es wird der Glauben des anderen Beteiligten an einem redlichen Geschäftsverkehr geschützt.
Die Rechtsprechung hat einige Fallgruppen hierzu entwickelt, von denen die Verwirkung eine Untergruppe darstellt.
2. Markenrecht
Verweis des § 21 IV MarkenG:
- Fälle, in denen die 5 aufeinanderfolgenden Jahre der Duldung noch nicht erreicht sind.
- Bei Kennenmüssen.
Kriterien zur Bestimmung der Verwirkung aus der Rechtsprechung:
1. länger anhaltende redliche Benutzung durch den Verletzer
2. Duldung durch den Verletzten
3. darauf beruhendes Vertrauen des Verletzers
4. wertvoller Besitzstand beim Verletzer geschaffen
Die Kriterien stehen zueinander in Wechselbeziehung. Ihr Sinn besteht in der Abwägung der Interessen des Verletzten mit denen des Verletzers.
Für auf die Vergangenheit gerichtete Ansprüche ist kein wertvoller Besitzstand erforderlich.
Ad 1: wie lange war die Benutzung. es werden regelmäßig mehr als 5 Jahre für erforderlich gehalten.
Der Rechtsnachfolger kann sich auf die Benutzung durch den Vorgänger berufen.
Der Verletzer muss redlich sein. War er bei Aufnahme der Benutzung bösgläubig, später jedoch gutgläubig (z.B. wegen einer Gesetzesänderung), dann verlängert sich die Verwirkungsfrist
Ad 1: Wissenselement, d.h. wie lange hat der Verletzte es gewusst ohne zu handeln.
Kennenmüssen.
Ad 3: Durfte der Verletzer das Verhalten des Verletzten so verstehen, dass dieser keine Schritte unternehmen wird Gutgläubigkeit.
Ad 4: Der Besitzstand muss grundsätzlich im Inland bestehen. Er ist nur für den Unterlassungsanspruch (auf die Zukunft gerichtet) hindernd. Jedoch darf der Besitzstand nicht weiter ausgebaut werden, z.B. indem aus einem Laden eine Ladenkette gemacht wird, die in den Wirkungsbereich des Verletzten eingreift.
Für Ansprüche auf die Vergangenheit (Schadensersatz, Beseitigung oder Bereicherung) wirkt der Besitzstand nicht hindernd.
3. Patentrecht
Es existiert keine dem § 21 MarkenG entsprechende Regelung.
§ 242 ist als Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung anzuwenden.
Es ist kein Fall bekannt, in dem die Verwirkung von Rechten aus dem Patent angenommen wurde.
Grundsätzliche Entscheidung zur Verwirkung im Patentrecht: GRUR 2001/323 'Temperaturwächter'.