Sittenwidrigkeit

§ 138 (1) BGB

Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

§ 138 (2) BGB → Ausbeutung

Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat.1)

Ein besonders grobes Äquivalenzmissverhältnis erlaubt es, auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu schließen. Diese tatsächliche Vermutung beruht auf dem Erfahrungssatz, dass in der Regel außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not oder nicht ohne einen anderen den Benachteiligenden hemmenden Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt.2)

Für die Feststellung eines Missverhältnisses kommt es auf die objektiven Werte der Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Die gegenseitigen Leistungen sind nach den vertraglichen Vereinbarungen zu bemessen und nicht danach, was die Parteien sich nachfolgend einander gewährt haben.3)

Rechtsfolge einer wegen eines auffälligen Missverhältnisses der gegenseitigen Leistungen sittenwidrigen Vereinbarung über urheberrechtliche Rechte ist deren Nichtigkeit.4)

Ein Vertrag wird nicht sittenwidrig, wenn nachträglich ein im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbares Missverhältnis zwischen vertraglich vereinbarter Leistung und Gegenleistung entsteht.5)

Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB kann sich nicht nur aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers.6)

Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, das diesem zum Vorwurf gemacht werden kann.7)

Hierbei ist der aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmende Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich.8)

Je nach Einzelfall kann sich die Sittenwidrigkeit bereits aus einem dieser Elemente oder aus einer Kombination mehrerer Elemente und deren Summenwirkung ergeben.9)

Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB kann sich nicht nur aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers. So kann es sich um einen Fall handeln, in dem aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen werden. Hierfür kann von Bedeutung sein, ob der Schenker sich den Wünschen des Beschenkten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht oder kaum hätte entziehen können, ob der Beschenkte dies wusste oder sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschloss und ob er die fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigensüchtig ausgenutzt oder es sogar darauf angelegt hat.10)

In diesem Zusammenhang können die in § 138 Abs. 2 BGB besonders hervorgehobenen Gesichtspunkte auch im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB von Bedeutung sein.11)

Ist der Schenker [→ Schenkung] aufgrund einer objektiven oder subjektiven Zwangslage zur Schenkung veranlasst worden, kann der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht nur solche Personen treffen, die diese Zwangslage herbeigeführt haben. Vielmehr kann es ausreichen, wenn der Zuwendungsempfänger sich eine bestehende Zwangslage bewusst zu Nutze macht.12)

Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, das diesem zum Vorwurf gemacht werden kann13). Hierbei ist der aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmende Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich 14). Je nach Einzelfall kann sich die Sittenwidrigkeit bereits aus einem dieser Elemente oder aus einer Kombination mehrerer Elemente und deren Summenwirkung ergeben15).16)

Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB kann sich nicht nur aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers. So kann es sich um einen Fall handeln, in dem aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger Weise Vorteile gezogen werden. Hierfür kann von Bedeutung sein, ob der Schenker sich den Wünschen des Beschenkten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht oder kaum hätte entziehen können, ob der Beschenkte dies wusste oder sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschloss und ob er die fehlende oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigensüchtig ausgenutzt oder es sogar darauf angelegt hat17). In diesem Zusammenhang können die in § 138 Abs. 2 BGB besonders hervorgehobenen Gesichtspunkte insbesondere im Hinblick auf das Verhalten des Zuwendungsempfängers auch im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB von Bedeutung sein18). Es handelt sich um einen Nichtigkeitsgrund, der gegebenenfalls auch die (bloße) Anfechtbarkeit nach § 123 Abs. 1 BGB überlagert, weil nicht die Drohung mit einem künftigen Übel, sondern die Ausnutzung der vorhandenen Zwangslage im Vordergrund steht oder hinzutritt19).20)

Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags sind unmittelbar zwar nur die Umstände relevant, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorlagen21). Gleichwohl können im Zeitablauf nachfolgende Umstände eine indizielle Bedeutung gewinnen.22)

siehe auch

Rechtsgeschäft

1)
BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20 - Dr. Stefan Frank; m.V.a. BGH, Urteil vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 301 [juris Rn. 11]; Urteil vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363 Rn. 10
2)
BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20 - Dr. Stefan Frank; m.V.a. BGH, Urteil vom 25. Februar 2011 - V ZR 208/09, NJW-RR 2011, 880 Rn. 13; Urteil vom 23. Oktober 2019 - XII ZR 125/18, BGHZ 223, 290 Rn. 40; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 138 Rn. 34
3)
BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20 - Dr. Stefan Frank; m.V.a. BGH, NJWRR 2011, 880 Rn. 15). Ein geeignetes Mittel für die Bestimmung des objektiven Werts ist grundsätzlich der Marktvergleich (BGH, Urteil vom 12. März 2003 - IV ZR 278/01, BGHZ 154, 154, 159 [juris Rn. 13]
4)
BGH, Urteil vom 22. April 2009 - I ZR 5/07 - Seeing is Believing
5)
BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20 - Dr. Stefan Frank; m.V.a. BGH, Urteil vom 20. September 1993 - II ZR 104/92, BGHZ 123, 281, 284 [juris Rn. 11]; Urteil vom 13. Juni 1994 - II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 240 [juris Rn. 35]; Grüneberg/Ellenberger aaO § 138 Rn. 9
6)
BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20
7)
BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 16. Juli 2019 - II ZR 426/17, NJW 2019, 3636 Rn. 24
8) , 14)
BGH, Urteil vom 4. Juni 2013 - VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448 Rn. 14
9)
BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - III ZR 60/11, MDR 2012, 333 Rn. 20
10)
BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 4. Juli 1990 - IV ZR 121/89, FamRZ 1990, 1343, juris Rn. 14
11)
BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 22. Januar 1991 - VI ZR 107/90, NJW 1991, 1046, juris Rn. 15
12) , 16) , 20) , 22)
BGH, Urteil vom 15. November 2022 - X ZR 40/20
13)
BGH, Urteil vom 16. Juli 2019 - II ZR 426/17, NJW 2019, 3635 Rn. 24
15)
BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - III ZR 60/11, MDR 2012, 333 Rn. 20; Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20, NJW 2022, 3147 Rn. 32
17)
BGH, Urteil vom 4. Juli 1990 - IV ZR 121/89, FamRZ 1990, 1343, juris Rn. 14
18)
BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20, NJW 2022, 3147 Rn. 33
19)
BGH, Urteil vom 22. Januar 1991 - VI ZR 107/90, NJW 1991, 1046, juris Rn. 15
21)
vgl. nur BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 31