Schutz von Geheimhaltungsinteressen des mutmaßlichen Verletzers

§ 140c (1) S. 3 PatG

Soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, dass es sich um vertrauliche Informationen handelt [→ Besichtigungsanspruch], trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten.

§ 140c (1) S. 1 PatG → Besichtigungsanspruch
§ 140c (1) S. 2 PatG → Anspruch auf Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen
§ 140c (2) PatG → Unverhältnismäßigkeit des Anspruchs auf Besichtigung bzw. Urkundenvorlage
§ 140c (3) PatG → Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs
§ 140c (4) PatG → Vorlegungsort, Gefahr und Kosten
§ 140c (5) PatG → Ersatz des entstandenen Schadens

Wie zu verfahren ist, wenn der wegen Patentverletzung auf Vorlage einer Urkunde oder Besichtigung einer Sache bzw. eines Verfahrens in Anspruch genommene mutmaßliche Verletzer (nach dem Gesetzeswortlaut: ver-meintliche Verletzer) in Bezug auf die Urkunde oder Sache bzw. das Verfahren Geheimnisschutz geltend macht, ist nunmehr in § 140c Abs. 1 Satz 3 PatG in der am 1. September 2008 gemäß Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008 (BGBl. I S. 1191) in Kraft getretenen Fassung geregelt.1)

Danach trifft, soweit der vermeintliche Verletzer geltend macht, es handle sich um vertrauliche Informa-tionen, das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebo-tenen Schutz zu gewährleisten.2)

Es kann nur aufgrund einer umfassenden Abwägung der beteiligten Interessen bestimmt werden, in welchem Umfang dem Schutzrechtsinhaber ein Anspruch auf Besichtigung eines möglicherweise verletzenden Gegenstands oder Verfahrens bzw. auf Auswertung der durch die Besichtigung gewonnenen Erkenntnisse zugebilligt werden kann.3)

Was als Gegenstand von Maßnahmen zum Geheimnisschutz in Betracht kommt, hat auch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums nicht im Einzelnen festgelegt. Der bezweckte Schutz von Geheimhaltungsinteressen des mutmaßlichen Verletzers (vgl. BT-Drucks. 16/5048 S. 40) gebietet es jedenfalls, solche Geheimnisse einzubeziehen, die Gegenstand des Straftatbestands der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) sind.4)

Darunter fallen auch die im Zusammenhang mit Besichtigungsmaßnahmen wegen Schutzrechtsverletzung hauptsächlich betroffenen Geschäfts- und Betriebs- bzw. Fabrikationsgeheimisse des vermeintlichen Verletzers.5)

Dabei handelt es sich um betriebsbezogenes technisches und kaufmännisches Wissen im weitesten Sinne (vgl. BVerfGE 115, 205 Tz. 87), das allenfalls einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und von dem sich ein größerer Personenkreis nur unter Schwierigkeiten Kenntnis verschaffen kann (vgl. Hefer-mehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 27. Aufl., § 17 UWG Rdn. 4 ff.), an dessen Geheimhaltung der Unternehmer ein berechtigtes (wirtschaftliches) Interesse hat und in Bezug auf das sein Geheimhaltungswille bekundet worden oder erkennbar ist.6)

Geschützt wird der Berechtigte gegen die Weitergabe von Informationen in jeglicher Form über alle im Zusammenhang mit der Besichtigung einer Sache oder eines Verfahrens zugänglichen oder wahrnehmbaren betrieblichen Gegenstände (z. B. Maschinen oder andere Vorrichtungen inklusive der mit ihnen gegebenenfalls ausgeführten Verfahren, Modelle, Verhältnisse, Zeichnungen und sonstige Unterlagen, Inhalte oder Daten) oder Urkundeninhalte, die, unmittelbar oder mittelbar, Erkenntnisse über den Gegenstand eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses vermitteln können.7)

Beschränkung der Einsicht in das Gutachten auf namentlich benannte rechts- bzw. patentanwaltliche Vertreter

Ist über den Vorwurf der Patentverletzung im selbständigen Beweisverfahren ein Sachverständigengutachten erstellt worden, können möglicherweise berührte Geheimhaltungsinteressen des vermeintlichen Verletzers in aller Regel in der Weise gewahrt werden, dass der Schutzrechtsinhaber die Einsicht in das Gutachten (zunächst) auf namentlich benannte rechts- bzw. patentanwaltliche Vertreter beschränkt und diese insoweit umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.8)

Zur Einsicht durch den Schutzrechtsinhaber persönlich darf ein solches Gutachten nicht freigegeben werden, bevor der vermeintliche Schutzrechtsverletzer Gelegenheit hatte, seine Geheimhaltungsinteressen geltend zu machen. Er hat insoweit im Einzelnen darzulegen, welche Informationen im Gutachten Geheimhaltungswürdiges, namentlich Geschäftsgeheimnisse, offenbaren und welche Nachteile ihm aus der Offenbarung drohen.9)

Die etwaigen Geheimhaltungsinteressen des Besichtigungsschuldners antragsgemäß präventiv durch Anordnung der Verschwiegenheit der vom Be-sichtigungsgläubiger beauftragten Rechts- oder Patentanwälten zu wahren, ist aufgrund der Stellung gerechtfertigt, die das Gesetz diesen im Rahmen einer ordnungsgemäßen Rechtspflege zuweist. Der Rechtsanwalt ist unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), und dasselbe gilt für den Patentanwalt in dem ihm durch die Patentanwaltsordnung zugewiesenen Aufgabenbereich (§ 1 PAO), der hier berührt ist (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 PAO). Die ihnen gesetzlich zugewiesene Funktion, an einer rechtsstaatlichen, geordneten Rechtspflege mitzuwirken, und die ihnen dafür zugewiesene Stellung als unab-hängige Organe der Rechtspflege rechtfertigen generell die Erwartung, dass Rechts- und Patentanwälte die Verpflichtung zur Verschwiegenheit, die ihnen auf von ihnen selbst vertretenen Antrag ihrer Partei vom Gericht - nunmehr auch auf ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage (§ 140c Abs. 1 Satz 3 PatG) - auferlegt worden ist, auch gegenüber der von ihnen vertretenen Partei nicht verletzen werden.

Der Rechts- oder Patentanwalt, dem Verschwiegenheit auferlegt ist, muss bei der weiteren Beratung des Patentinhabers, etwa über das weitere Vorgehen gegen den vermeintlichen Verletzer, sein besonderes Augenmerk darauf richten, keine Gutachteninhalte zu offenbaren oder Ausführungen zu machen, die dem - in der Regel sachkundigen - Patentinhaber Rückschlüsse darauf, insbesondere auf Privatgeheimnisse des vermeintlichen Verletzers ermöglichen könnten. Ist das nach Lage des Sachverhalts nicht möglich, bleibt dem Rechts- bzw. Patentanwalt nur übrig, zunächst darauf hinzuwirken, dass das Gutachten auch der Partei zugänglich gemacht werden darf und die Beratung danach auszurichten. Dem Rechts- oder Patentanwalt wäre es insbesondere verwehrt, selbst zu befinden, welche Informationen in dem ihm unter Anordnung der Verschwiegenheit überlassenen Dokument „wirklich“ geheimhaltungswürdige Belange des vermeintlichen Verletzers betreffen und seine Verschwiegenheit nur auf diese zu beschränken.10)

Dem vermeintlichen Verletzer bleibt als Gewähr dafür, dass die gegnerischen Rechts- oder Patentanwälte die Verschwiegenheitsanordnung beachten, nicht nur der Verlass darauf, dass diese das in sie kraft ihrer Stellung als Organe der Rechtspflege gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen. Die Verpflichtung zur Bewahrung etwaiger aus dem Gutachten ersichtlicher Privatgeheimnisse des Besichtigungsschuldners ist auch strafbewehrt (§ 203 StGB).11)

siehe auch

§ 140c PatG → Besichtigungsanspruch
§§ 139 bis 142a PatG → Rechtsverletzungen
PatG → Patentgesetz
§ 809 BGB → privatrechtlicher Besichtigungsanspruch

1) , 2) , 4) , 7) , 8) , 9) , 11)
BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08 - Lichtbogenschnürung
3)
BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08 - Lichtbogenschnürung; m.V.a. BGHZ 150, 377 - Faxkarte; Melullis aaO, S. 856
5)
BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08 - Lichtbogenschnürung; m.V.a. Schönke/Schröder/Lenckner StGB, 27. Aufl., § 203 Rdn. 11
6)
BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08 - Lichtbogenschnürung; m.V.a. BGH, Urt. v. 7.11.2002 - I ZR 64/00, GRUR 353, 356 m.w.N. - Präzisionsmessgeräte
10)
BGH, X ZB 37/08 - Lichtbogenschnürung: Schutz von Geheimhaltungsinteressen des mutmaßlichen Patentverletzers