Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs

§ 140c (3) PatG

Die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache kann im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden. Das Gericht trifft die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen wird.

§ 140c (1) S. 1 PatG → Besichtigungsanspruch
§ 140c (1) S. 2 PatG → Anspruch auf Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen
§ 140c (1) S. 3 PatG → Schutz von Geheimhaltungsinteressen des mutmaßlichen Verletzers
§ 140c (2) PatG → Unverhältnismäßigkeit des Anspruchs auf Besichtigung bzw. Urkundenvorlage
§ 140c (4) PatG → Vorlegungsort, Gefahr und Kosten
§ 140c (5) PatG → Ersatz des entstandenen Schadens

Gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 PatG oder § 24c Abs. 3 GebrMG angeordneten Besichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des Beweisverfahrens ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird, sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.1)

Für die Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens ist die Frage, wie wahrscheinlich das Bestehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts ist, nur dann erheblich, wenn der Antragsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat.2)

Ein im selbständigen Beweisverfahren erstelltes Gutachten wird den Parteien bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten im Regelfall vorbehaltlos übermittelt. Ein Gutachten, das in einem selbstständigen Beweisverfahren im Anschluss an eine auf der Grundlage von § 140c Abs. 3 PatG angeordnete Besichtigung erstellt worden ist, darf dem Antragsteller hingegen nur insoweit zur eigenen Kenntnisnahme überlassen werden, als dem berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht entgegenstehen.3)

Grund hierfür ist die in § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 PatG normierte Pflicht des Gerichts, bei Entscheidungen über die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Diese Pflicht greift nicht nur bei der Entscheidung über den Anspruch auf Vorlage oder Besichtigung. Berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners sind vielmehr auch in einem selbständigen Beweisverfahren zu berücksichtigen, in dem auf der Grundlage einer angeordneten Vorlage oder Besichtigung ein Sachverständigengutachten erstellt worden ist. Abweichend von den herkömmlichen Regeln eines selbständigen Beweisverfahrens darf ein solches Gutachten den Beteiligten nicht vorbehaltlos übermittelt werden. Begehrt der Antragsteller Aushändigung des Gutachtens an sich selbst, ist vielmehr zu entscheiden, inwieweit schützenswerte Interessen des Antragsgegners betroffen sind und das Geheimhaltungsinteresse überwiegt.4)

Will der Antragsgegner aus Gründen des Schutzes von Geschäfts- oder Privatgeheimnissen oder sonstigen schützenswerten Geheiminteressen verhindern, dass das Gutachten der gegnerischen Partei vollständig zur Kenntnis gebracht wird, hat er nach allgemeinen Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen die tatsächlichen Voraussetzungen dafür darzutun. Die zur Wahrung der Geheiminteressen gebotenen Anordnungen sind dann auf Grund einer einzelfallbezogenen, umfassend alle beiderseitigen möglicherweise beeinträchtigten Interessen berücksichtigenden Würdigung zu treffen.5)

Nach diesen Grundsätzen, die auch in einem Besichtigungsverfahren auf der Grundlage von § 24c GebrMG gelten, darf das Gericht über eine Herausgabe des Gutachtens mithin nur dann entscheiden, wenn der Antragsteller dies beantragt. Ablehnen darf es einen solchen Antrag nur dann, wenn der Antragsgegner Geheimhaltungsinteressen geltend macht. In beiden Konstellationen ist eine Entscheidung von Amts wegen folglich ausgeschlossen.6)

Erweist sich die Anordnung, dem Antragsteller das Gutachten zu überlassen, im Nachhinein als fehlerhaft, kann die mit der Überlassung des Gutachtens verbundene Preisgabe geheimer Informationen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch aus Gründen der Waffengleichheit geboten, nicht nur dem Antragsteller, sondern auch dem Antragsgegner die Möglichkeit der Beschwerde gegen eine ihm ungünstige Entscheidung zu eröffnen.7)

Nach der Regelung in § 20 Abs. 5 Satz 5 GeschGehG, die gemäß § 145a Satz 1 PatG und § 26a GebrMG in Patent- und Gebrauchsmusterstreitsachen entsprechend anzuwenden ist, unterliegt ein Beschluss, mit dem ein Antrag auf gerichtliche Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen abgelehnt wird, der sofortigen Beschwerde. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass die unbeschränkte Zugänglichkeit des Geschäftsgeheimnisses zu einem bleiben den Nachteil für die Geheimhaltung begehrende Partei führte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr beheben ließe.8)

Gegen die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens steht gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich kein Rechtsmittel zur Verfügung.9)

Wenn der Antragsgegner, wie dies in Fällen der vorliegenden Art üblich ist, vor der Anordnung nicht gehört worden ist, hat das Gericht jedoch auf eine Gegenvorstellung hin zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens auch im Lichte des Gegenvorbringens erfüllt sind.10)

siehe auch

§ 140c PatG → Besichtigungsanspruch
§§ 139 bis 142a PatG → Rechtsverletzungen
PatG → Patentgesetz
§ 809 BGB → privatrechtlicher Besichtigungsanspruch

1) , 3)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung
2)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung; Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung
4) , 5) , 6)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung; m.V.a. BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 Rn. 15 - Lichtbogenschnürung
7)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung; m.V.a. OLG München, NJW-RR 2015, 33, 34; BeckOK ZPO/Wulf, 48. Edition, § 567 Rn. 30.1; Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, § 567 Rn. 11; Jänich in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 567 Rn. 11
8)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung; m.V.a. BT-Drucks. 19/4724 S. 38; BGH, Beschluss vom 18. November 2021 - I ZB 86/20, GRUR 2022, 591 Rn. 16 - Geschäftsgeheimnis bei Hohlfasermembranspinnanlagen
9)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung; m.V.a. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - VI ZB 67/10, NJW 2011, 3371 Rn. 6; Beschluss vom 15. September 2022 - V ZB 71/21, NJW-RR 2022, 1533 Rn. 6
10)
BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - X ZB 9/21 - Ästhetische Behandlung; m.V.a. OLG Koblenz, Beschluss vom 16. August 2012 - 5 W 445/12, MDR 2013, 171; zu Besichtigungsverfahren Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. B Rn. 182; Cepl/Voß/Hahn, 3. Aufl. 2022, ZPO § 490 Rn. 28