Art. 9 der Verordnung (EG) 1924/2006

Nach dem mit „Vergleichende Angaben“ überschriebenen Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 ist unbeschadet der Richtlinie 84/450/EWG ein Vergleich nur zwischen Lebensmitteln derselben Kategorie und unter Berücksichtigung einer Reihe von Lebensmitteln dieser Kategorie zulässig. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Unterschied in der Menge eines Nährstoffs und/oder im Brennwert anzugeben, und der Vergleich muss sich auf dieselbe Menge des Lebensmittels beziehen.1)

Das Erfordernis, den Verbraucher zutreffend über in Lebensmitteln enthaltene Nährstoffe und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit zu informieren, besteht unabhängig davon, ob die Vergleichsprodukte in der Angabe erkennbar gemacht werden. Zudem ist der Vergleich nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 nur zwischen Lebensmitteln derselben Kategorie und unter Berücksichtigung einer Reihe von Lebensmitteln dieser Kategorie zulässig; nach Absatz 2 der Vorschrift sind in den Vergleich eine Reihe von Lebensmitteln derselben Kategorie, darunter auch Lebensmittel anderer Marken, einzubeziehen. Dem ist zu entnehmen, dass auch Lebensmittel desselben Herstellers in den Vergleich einbezogen werden können, sofern sie unter einer anderen Marke vertrieben werden.2))

Der Begriff der vergleichenden Angabe im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 ist mithin nicht ausschließlich mit Blick auf Produkte von Wettbewerbern zu verstehen. Eine vergleichende Angabe liegt vielmehr bereits dann vor, wenn sie auf einen erhöhten oder verminderten Nährstoffgehalt hinweist, ohne Vergleichsprodukte zu benennen.3)

Dass der letzte Satz des Erwägungsgrunds 21 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 besagt, bei vergleichenden Angaben dem Endverbraucher gegenüber müssten die miteinander verglichenen Produkte eindeutig identifiziert werden, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. In der Fassung des Kommissionsvorschlags für eine Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel4) war in Art. 9 Abs. 1 Satz 1 als weiteres Zulässigkeitskriterium vorgesehen, dass die miteinander verglichenen Lebensmittel vom durchschnittlichen Verbraucher leicht zu identifizieren sind oder eindeutig genannt werden. Die Streichung dieses Kriteriums im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens spricht dafür, dass das verglichene Lebensmittel nicht konkret benannt oder identifiziert werden muss5). Jedenfalls kann aus dem genannten Erwägungsgrund nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Anwendung des Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 auf solche Vergleiche beschränken wollte, in denen das Vergleichsprodukt konkret benannt wird. Der Schutzzweck des hohen Verbraucherschutzniveaus erfordert vielmehr, dass auch vergleichende Angaben dem Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 unterfallen, in denen eine solche Benennung nicht erfolgt.6)

Eine nährwertbezogene Angabe über einen reduzierten Nährstoffanteil stellt auch dann eine vergleichende Angabe im Sinne des Art. 9 der Verordnung (EG) 1924/2006 dar, wenn sie auf einen erhöhten oder verminderten Nährstoffgehalt hinweist, ohne Vergleichsprodukte zu benennen. Eine solche Angabe unterliegt, selbst wenn sie die in Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 genannten Bedingungen einhält, zusätzlich den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung.7)

Die nach Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 erforderliche Information über den Unterschied in der Menge des Nährstoffs ist so zu geben, dass der Durchschnittsverbraucher sie unschwer zur Kenntnis nehmen kann. Dies erfordert, wenn die Information nicht in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit der nährstoffbezogenen Angabe erfolgt, mindestens einen im räumlichen Zusammenhang mit der Angabe angebrachten Hinweis darauf, wo die Zusatzinformation aufgefunden werden kann.8)

Bei Art. 8 und Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 handelt es sich um Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG aF, § 3a UWG, deren Missachtung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG aF, § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen.9)

Nach der am 14. Dezember 2007 veröffentlichten Leitlinie zur Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 geht auch der bei der Europäischen Kommission gebildete Ständige Ausschuss für die Nahrungskette und Tiergesundheit davon aus, dass die im Anhang der Verordnung genannten Angaben „Erhöhter [NAME DES NÄHRSTOFFS]-ANTEIL“ sowie „REDUZIERTER [NAME DES NÄHRSTOFFS]-ANTEIL“ vergleichende Angaben im Sinne des Art. 9 der Verordnung darstellen.10)

Mithin ist Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 auch dann anwendbar, wenn eine Angabe - wie im Streitfall - Unterschiede im Brennwert oder Gehalt von Nährstoffen benennt, jedoch Produkte von Mitbewerbern nicht erkennbar macht.11)

Die nach Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 erforderliche Information über den Unterschied in der Menge des Nährstoffs ist so zu geben, dass der Durchschnittsverbraucher sie unschwer zur Kenntnis nehmen kann. Dies erfordert, wenn die Information nicht in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit der nährstoffbezogenen Angabe erfolgt, mindestens einen im räumlichen Zusammenhang mit der Angabe angebrachten Hinweis darauf, wo die Zusatzinformation aufgefunden werden kann. Zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus ist es erforderlich, dass der Verbraucher die für eine sachkundige Entscheidung notwendigen Informationen erhält 12).

Bei der Beurteilung, auf welche Weise die in Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 verlangte Information gegeben wird, ist auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen 13).

Der Verbraucher wird angesichts einer auf der Verpackungsvorderseite hervorgehobenen, im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang nicht weiter erläuterten Angabe zum reduzierten Nährstoffgehalt im Unklaren über das Maß der Nährstoffreduktion gelassen. Ohne einen in Verbindung mit der Angabe gegebenen Hinweis darauf, an welcher Stelle der Verpackung diesbezügliche Zusatzinformationen zu finden sind, ist nicht sichergestellt, dass der Verbraucher die Informationen auffindet.14)

siehe auch

Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 → Health-Claims-Verordnung (HCVO)
Regelt die Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln innerhalb der Europäischen Union, um Verbraucher vor irreführenden Aussagen zu schützen.

1) , 3) , 6) , 7) , 8) , 14)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe
2)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe; m.V.a. Rathke/Hahn in Zipfel/Rathke aaO Art. 9 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 Rn. 12
4)
KOM [2003] 424, S. 22
5)
vgl. Meisterernst in Meisterernst/Haber aaO Art. 9 Rn. 22
9)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe; zu Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 und § 3 UWG aF BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 - I ZR 162/13, GRUR 2015, 498 Rn. 15 = WRP 2015, 569 - Combiotik, mwN; Urteil vom 10. Dezember 2015 - I ZR 222/13, GRUR 2016, 142 Rn. 14 = WRP 2016, 471 - Lernstark
10)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe; m.V.a. auf die Guidance on the implementation of Regulation No. 1924/2006 on nutrition and health claims made on foods, Conclusions of the standing committee on the food chain and animal health, S. 6; vgl. auch Meisterernst, WRP 2008, 755, 757
11)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe; m.V.a. Meisterernst in Meisterernst/Haber, Health & Nutrition Claims, 22. Lief. Februar 2014, Art. 9 Rn. 6 und 22
12)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe; m.V.a. Erwägungsgrund 9 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006
13)
BGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - I ZR 100/16 - Märchensuppe; zur Richtlinie 2000/31/EG vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-195/14, GRUR 2015, 701 Rn. 36 = WRP 2015, 847- Verbraucherzentrale Bundesverband/Teekanne; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2015 - I ZR 45/13, GRUR 2016, 738 Rn. 13 f. = WRP 2016, 838 - HimbeerVanille-Abenteuer II