Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Bieter in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei. Das schließt die Befugnis ein festzulegen, zu welchen Einzelpreisen die Positionen des Leistungsverzeichnisses ausgeführt werden sollen.1)
Dabei ist zwar die Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zu beachten, wonach die Angebote die geforderten Preise enthalten müssen. Aus diesem Erfordernis lässt sich aber nicht ableiten, dass der Bieter jede Position des Leistungsverzeichnisses nach den gleichen Maßstäben kalkulieren müsste, insbesondere der für jede Position verlangte Preis mindestens den hierfür entstehenden Kosten entsprechen müsste.2)
Der Umstand, dass das Angebot des Bieters bei einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses Preise enthält, die deutlich unter den Kosten des Bieters liegen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, der Bieter habe die geforderten Preise nicht angegeben.3)
Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen, indiziert jedoch eine unzulässige Verlagerung von Preisangaben auf hierfür nicht vorgesehene Positionen. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält.4)
Ein Angebot, das spekulativ so ausgestaltet ist, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erhebliche Übervorteilungen drohen, ist nicht zuschlagsfähig. Vielmehr verletzt der betreffende Bieter seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn er für eine Position einen Preis ansetzt, der so überhöhte Nachforderungen nach sich ziehen kann, dass aus Sicht eines verständigen Teilnehmers am Vergabeverfahren das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen.5)
Der Bundesgerichtshof hat mit Blick auf die entsprechende Regelung in älteren Fassungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen als der Ausgabe 2009 (vgl. z.B. § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A 2000) angenommen, dass ein Angebot nur gewertet werden dürfe, wenn alle darin verlangten Erklärungen, deren Angabe den Bieter nicht unzumutbar belaste, abgegeben und wenn die in der Leistungsbeschreibung vorgesehenen Preise so wie gefordert vollständig und mit dem Betrag angegeben sind, der für die betreffende Position beansprucht werde. Er hat dies auf die Erwägung gestützt, ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren sei nur zu erreichen, wenn in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht und grundsätzlich ohne weiteres vergleichbare Angebote abgegeben würden.6)
Diese vom Gedanken formaler Ordnung geprägte Rechtsprechung ist nicht mehr uneingeschränkt anwendbar, weil sich ihre rechtlichen Grundlagen verändert haben. Seit Inkrafttreten der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Ausgabe 2009 am 11. Juni 2010 (vgl. Einführungserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 10. Juni 2010 - B 15 - 8163.6/1) kann es grundsätzlich nicht mehr als ohne weiteres den Ausschluss des betreffenden Angebots gebietende Vergaberechtswidrigkeit angesehen werden, wenn in einem Vergabeverfahren für Bauleistungen Erklärungen oder ein Preis in einer einzelnen unwesentlichen Position fehlen (vgl. §§ 16a, 16 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A 2016 und § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2016). Für die Vergabe von Leistungen gilt mit gewissen Modifikationen das Gleiche (vgl. § 56 Abs. 2, § 57 Abs. 1 Nr. 2 und 5 VgV). Sinn und Zweck dieser liberalisierenden Novellierung der Vergaberegelungen war, im Interesse eines umfassenden Wettbewerbs den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Gründen zu verhindern und die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren (vgl. die Eingangshinweise des Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen, BAnz 155a vom 15. Oktober 2009 und Einführungserlass des BMVBS vom 10. Juni 2010 - B 15 - 8163.6/1 S. 7).7)
Es ist den Bietern - was den Regelungen in § 16d Abs. 1 Nr. 1, § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A und § 60 Abs. 1 VgV zugrunde liegt - auch nicht schlechthin verwehrt, zu einem Gesamtpreis anzubieten, der lediglich einen Deckungsbeitrag zu den eigenen Fixkosten verspricht.8) Der öffentliche Auftraggeber ist bei solchen Angeboten vielmehr gehalten sorgfältig zu prüfen, ob eine einwandfreie Ausführung und Haftung für Gewährleistungsansprüche gesichert ist9). Das Angebot ist auszuschließen, wenn der niedrige Preis nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden kann10).11)