→ Neues Publikum der öffentlichen Wiedergabe
Der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2006/115/EG hat zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit dieser Wiedergabe. Ferner erfordert dieser Begriff eine individuelle Beurteilung. Im Rahmen einer derartigen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden.1)
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff der Öffentlichkeit nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt.2)
Um eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören.3)
Mit dem Kriterium „recht viele Personen“ ist gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit nur bei Überschreitung einer bestimmten Mindestschwelle erfüllt ist und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben.4)
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet „Öffentlichkeit“ eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten, die aus einer ziemlich großen Zahl von Personen bestehen muss.5)
Um eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören. Hinsichtlich des Kriteriums „recht viele Personen“ ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben.6)
Hinsichtlich des letztgenannten Kriteriums ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Daher kommt es nicht nur darauf an, wie viele Personen gleichzeitig Zugang zu demselben Werk haben, sondern auch, wie viele von ihnen nacheinander Zugang zu diesem Werk haben.7)
Für die Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ ist erforderlich, dass die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein „neues Publikum“ erfolgt, das heißt für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte.8)
Erfolgt die nachfolgende Wiedergabe nach einem spezifischen technischen Verfahren, das sich von demjenigen der ursprünglichen Wiedergabe unterscheidet, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Werk für ein neues Publikum wiedergegeben wird; in einem solchen Fall bedarf die Wiedergabe ohne Weiteres der Erlaubnis des Urhebers.9)
Erfolgen die ursprüngliche und die nachfolgende Wiedergabe im Internet, handelt es sich um dasselbe technische Verfahren.10)
Die Einbettung eines auf einer Internetseite mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers für alle Internetnutzer frei zugänglichen Werkes in eine eigene Internetseite im Wege des „Framing“ [→ Framing] stellt grundsätzlich keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 2 und 3 UrhG dar.11)
Die Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG sieht vor, dass jede Handlung der öffentlichen Wiedergabe eines Werks vom Urheberrechtsinhaber erlaubt werden muss.12)
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass Gäste eines Hotels, dessen Betreiber in seinen Gästezimmern Fernseh- und/oder Radiogeräte aufstellt, zu denen er ein Sendesignal übermittelt, eine unbestimmte Zahl potentieller Leistungsempfänger darstellen, weil der Zugang dieser Gäste zu den Dienstleistungen des Hotels grundsätzlich auf einer persönlichen Entscheidung jedes einzelnen Gastes beruht und lediglich durch die Aufnahmekapazität des fraglichen Hotels begrenzt wird, so dass es sich in einem solchen Beispielsfall um „Personen allgemein“ handelt.13)
In allen diesen Fällen beruht der Zugang zu den jeweils angebotenen Dienstleistungen grundsätzlich auf einer persönlichen Entscheidung jedes einzelnen Gasts, für den das Angebot in Frage kommt, und wird lediglich durch die Aufnahmekapazität der fraglichen Einrichtung begrenzt.14)
Andererseits hat der Gerichtshof der Europäischen Union die Patienten eines Zahnarzts, für die im Wartezimmer Hintergrundmusik abgespielt wird, nicht als „Personen allgemein“ angesehen, weil sie eine Gesamtheit von Personen seien, deren Zusammensetzung weitgehend stabil sei und die eine bestimmte Gesamtheit potentieller Leistungsempfänger darstellten, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung durch den Zahnarzt hätten (EuGH, GRUR 2012, 593 [juris Rn. 95] - SCF/Del Corso). Auch die Wiedergabe an eine klar definierte und geschlossene Gruppe von Personen, die bei einem Gericht Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen, erfolgt nicht an eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten, sondern gegenüber einzelnen Angehörigen eines bestimmten Fachpersonals.15)
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:16)
1. Handelt es sich bei den Bewohnern eines kommerziell betriebenen Seniorenwohnheims, die in ihren Zimmern über Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk verfügen, an die der Betreiber des Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz weitersendet, um eine „unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten“ im Sinne der Definition der „öffentlichen Wiedergabe“ gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG?
2. Hat die bisher vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendete Definition, wonach die Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfordert, dass „die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein neues Publikum erfolgt, das heißt für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte“, weiterhin allgemeine Gültigkeit, oder hat das verwendete technische Verfahren nur noch in Fällen Bedeutung, in denen eine Weiterübertragung von zunächst terrestrisch, satelliten- oder kabelgestützt empfangenen Inhalten in das offene Internet stattfindet?
3. Handelt es sich um ein „neues Publikum“ im Sinne der Definition der „öffentlichen Wiedergabe“ gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG, wenn der zu Erwerbszwecken handelnde Betreiber eines Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weitersendet? Ist für diese Beurteilung von Bedeutung, ob die Bewohner unabhängig von der Kabelsendung die Möglichkeit haben, die Fernseh- und Rundfunkprogramme in ihren Zimmern terrestrisch zu empfangen? Ist für diese Beurteilung weiter von Bedeutung, ob die Rechtsinhaber bereits für die Zustimmung zur ursprünglichen Sendung eine Vergütung erhalten?
§ 15 (2) S. 1 UrhG → Recht der öffentlichen Wiedergabe