Neues Publikum der öffentlichen Wiedergabe

Eine öffentliche Wiedergabe [→ Öffentlichkeit der Wiedergabe] für ein neues Publikum setzt voraus, dass sie sich an ein Publikum richtet, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht dachte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte.1)

Eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG liegt vor, wenn eine Fotografie auf eine Website eingestellt wird, die zuvor ohne beschränkende Maßnahme, die ihr Herunterladen verhindert, und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer anderen Website veröffentlicht worden ist.2)

Das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werks auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, besteht nur aus den Nutzern dieser Website und nicht aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne seine Zustimmung eingestellt worden ist.3)

Das kann der Fall sein, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu urheberrechtlich geschützten Werken gesetzt werden, die auf der anderen Internetseite aufgrund beschränkender Maßnahmen nur einem begrenzten Publikum zugänglich sind. Ermöglicht der Link es den Internetnutzern, die beschränkenden Maßnahmen zu umgehen, so sind diese Nutzer als neues Publikum anzusehen, das der Urheberrechtsinhaber nicht erfassen wollte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte.4)

Etwas anderes gilt, wenn auf einer Webseite anklickbare Links zu urheberrechtlich geschützten Werken bereitgestellt werden, die auf einer anderen Webseite mit Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers für alle Internetnutzer frei zugänglich sind. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Rechtsinhaber bei seiner Erlaubnis alle potentiellen Besucher dieser Webseite und damit alle Internetnutzer vor Augen hatte. Werden die dort eingestellten Werke den Nutzern einer anderen Webseite über einen anklickbaren Link zugänglich gemacht, sind diese Nutzer als potentielle Adressaten der ursprünglichen Wiedergabe und damit als Mitglieder der Öffentlichkeit anzusehen, die der Urheberrechtsinhaber erfassen wollte, als er die ursprüngliche Wiedergabe erlaubte. Eine solche Wiedergabe erfolgt nicht gegenüber einem neuen Publikum und bedarf daher nicht nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG der Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers.5)

Hat der Urheberrechtsinhaber die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe nicht erlaubt, konnte er dabei zwangsläufig nicht an ein Publikum denken, an das sich diese Wiedergabe richtet. In einem solchen Fall richtet sich daher jede Wiedergabe des Werkes durch einen Dritten an ein neues Publikum im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.6)

Keine Wiedergabe für ein neues Publikum liegt vor, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu Werken bereitgestellt werden, die auf einer anderen Internetseite mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber für alle Internetnutzer frei zugänglich sind. Unterlag der Zugang zu den Werken auf der anderen Internetseite keiner beschränkenden Maßnahme, waren die Werke für sämtliche Internetnutzer frei zugänglich. Werden die betreffenden Werke den Nutzern einer Internetseite über einen anklickbaren Hyperlink zugänglich gemacht, sind diese Nutzer potentielle Adressaten der ursprünglichen Wiedergabe. Sie sind Mitglieder der Öffentlichkeit, die die Inhaber des Urheberrechts erfassen wollten, als sie die ursprüngliche Wiedergabe erlaubten. Eine solche Wiedergabe erfolgt nicht gegenüber einem neuen Publikum. Sie ist daher keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und bedarf keiner Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber.7)

Diese Rechtsprechung beruht auf den Besonderheiten der Wiedergabe durch Hyperlinks. Diese tragen zum guten Funktionieren des Internets bei, indem sie die Verbreitung von Informationen im Internet ermöglichen, das sich durch die Verfügbarkeit immenser Informationsmengen auszeichnet.8)

Außerdem wird bei der Wiedergabe durch Hyperlinks der vorbeugende Charakter der Rechte des Rechteinhabers gewahrt, da der Urheber sein Werk, wenn er es auf der betreffenden Website nicht mehr wiedergeben möchte, von der Website entfernen kann, auf der er es ursprünglich wiedergegeben hat, wodurch jeder Hyperlink, der auf es verweist, hinfällig wird.9)

Zudem ist das mangelnde Zutun des Betreibers der Website zu berücksichtigen, auf der der anklickbare Link eingefügt worden war, der den Zugang zu den betreffenden Werken auf der Website ermöglichte, auf der sie ursprünglich mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers wiedergegeben worden waren.10)

Dagegen erfolgt die Wiedergabe für ein neues Publikum, wenn ein urheberrechtlich geschütztes Werk auf eine andere Website eingestellt wird als die, auf der die ursprüngliche Wiedergabe mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt ist. Unter solchen Umständen besteht das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werkes auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, nur aus den Nutzern dieser Website und nicht aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers eingestellt worden ist, oder sonstigen Internetnutzern.11)

Der Umstand, dass der Urheberrechts inhaber die Möglichkeiten der Internetnutzer zur Nutzung seines Werkes auf der Website, auf der die ursprüngliche Wiedergabe mit seiner Zustimmung erfolgt ist, nicht eingeschränkt hat, ist insoweit unerheblich.((BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 132/17 - Testversion; m.V.a. EuGH, GRUR 2018, 911 Rn. 36 - Land Nordrhein-Westfalen/Renckhoff).

siehe auch

Öffentlichkeit der Wiedergabe

§ 15 (2) S. 1 UrhG → Recht der öffentlichen Wiedergabe

1)
BGH, Urteil vom 21. September 2017 - I ZR 11/16 - Vorschaubilder III; m.V.a. EuGH, GRUR 2014, 360 Rn. 24 - Svensson/Retriever Sverige; GRUR 2014, 1196 Rn. 14 - BestWater International/Mebes und Potsch; GRUR 2016, 1152 Rn. 37 - GS Media/Sanoma u.a.
2)
BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - I ZR 267/15 - Cordoba II
3)
BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - I ZR 267/15 - Cordoba II; m.V.a. EuGH, GRUR 2018, 911 Rn. 29 bis 36 - Land NordrheinWestfalen/Renckhoff
4)
BGH, Urteil vom 21. September 2017 - I ZR 11/16 - Vorschaubilder III; m.V.a. EuGH, GRUR 2014, 360 Rn. 31 - Svensson/Retriever Sverige; GRUR 2016, 1152 Rn. 50 - GS Media/ Sanoma u.a.; GRUR 2017, 610 Rn. 49 - Stichting Brein/Wullems; vgl. auch BGH, GRUR 2011, 56 Rn. 27 - Session-ID
5)
BGH, Urteil vom 21. September 2017 - I ZR 11/16 - Vorschaubilder III; vgl. EuGH, GRUR 2014, 360 Rn. 25 bis 28 - Svensson/Retriever Sverige; GRUR 2014, 1196 Rn. 15 f. - BestWater International/Mebes und Potsch; GRUR 2016, 1152 Rn. 40 bis 42 - GS Media/Sanoma u.a.; GRUR 2017, 610 Rn. 48 - Stichting Brein/Wullems
6)
BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - I ZR 46/12 - Die Realität II; m.V.a. Leistner, GRUR 2014, 1145, 1154; Höfinger, ZUM 2014, 293, 295; Jani/Leenen, GRUR 2014, 362, 363; Solmecke, MMR 2015, 48; Jahn/Palzer, K&R 2015, 1, 4; Reinauer, MDR 2015, 252, 254; Fuchs/Farkas, ZUM 2015, 110, 117 f.; aA Abrar, GRUR-Prax 2014, 506; vgl. auch Rauer/Ettig, WRP 2014, 1443, 1444; Dietrich, GRUR Int. 2014, 1162; Ernst, jurisPR-WettbR 1/2015 Anm. 2; Schmidt-Wudy, EuZW 2015, 28, 30; unterscheidend danach, ob die Rechtswidrigkeit des ohne Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgten Zugänglichmachens offensichtlich ist Grünberger, ZUM 2015, 273, 280 ff.
7)
BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 132/17 - Testversion; m.V.a. EuGH, GRUR 2014, 360 Rn. 25 bis 28 - Svensson/Retriever Sverige; GRUR 2014, 1196 Rn. 15 und 16 - BestWater International/Mebes und Potsch; GRUR 2016, 1152 Rn. 40 bis 42 - GS Media BV/Sanoma u.a.; GRUR 2018, 911 Rn. 37 - Land NordrheinWestfalen/Renckhoff
8)
BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 132/17 - Testversion; m.V.a. EuGH, GRUR 2018, 911 Rn. 40 - Land Nordrhein-Westfalen/Renckhoff
9)
BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 132/17 - Testversion; m.V.a. EuGH, GRUR 2018, 911 Rn. 44 - Land Nordrhein-Westfalen/Renckhoff
10)
BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 132/17 - Testversion; m.V.a. EuGH, GRUR 2018, 911 Rn. 45 - Land Nordrhein-Westfalen/Renckhoff
11)
BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 132/17 - Testversion; m.V.a. EuGH, GRUR 2018, 911 Rn. 35 - Land Nordrhein-Westfalen/Renckhoff