Haftung von Online-Marktplätzen

Die unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke1) sind auf die Haftung von Online-Marktplätzen übertragbar.2)

Der Betreiber eines Online-Marktplatzes ist - wie der einer Video-Sharing- und Sharehosting-Plattform - grundsätzlich verpflichtet, nach einem klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung die dort eingestellten Angebote im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren auf gleichartige Verletzungen zu überprüfen und rechtsverletzende Inhalte zu sperren oder zu löschen. Bei Übertragung der für Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen geltenden Rechtsprechung muss den Besonderheiten von Online-Marktplätzen jedoch Rechnung getragen werden. Soweit nicht der angebotene Gegenstand selbst urheberrechtsverletzend ist, sondern das Angebot lediglich in einer urheberrechtsverletzenden Weise präsentiert wird, erstreckt sich die Prüfungspflicht des Plattformbetreibers im Regelfall allein auf gleichartig präsentierte Angebote, nicht aber auf jegliche Darstellungen des urheberrechtlich geschützten Werks.3)

Die Grundsätze der Haftung von Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke sind nicht auf eine Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf den Servern einer solchen Plattform übertragbar. Es verbleibt insoweit bei einer Haftung nach den strafrechtlichen Grundsätzen der Täterschaft und Teilnahme.4)

Zur Handlung der Wiedergabe hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass zwar der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform oder Sharehosting-Plattform hinsichtlich der von seinen Nutzern bewirkten Zugänglichmachung potenziell rechtsverletzender Inhalte eine zentrale Rolle spielt, dass jedoch sowohl im Hinblick auf die Bedeutung der Rolle, die ein solches Tätigwerden des Betreibers einer Plattform bei der Wiedergabe durch den Nutzer dieser Plattform spielt, als auch im Hinblick auf dessen Vorsätzlichkeit zu beurteilen ist, ob das betreffende Tätigwerden unter Berücksichtigung des spezifischen Kontexts als Handlung der Wiedergabe einzustufen ist. Insbesondere kann ein Tätigwerden in voller Kenntnis der Folgen des betreffenden Verhaltens und mit dem Ziel, der Öffentlichkeit Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen, zur Einstufung dieses Tätigwerdens als „Handlung der Wiedergabe“ führen. Um festzustellen, ob der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform oder Sharehosting-Plattform in voller Kenntnis seines Verhaltens bei der unerlaubten Wiedergabe geschützter Inhalte durch Nutzer seiner Plattform tätig wird, um anderen Internetnutzern Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen, sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die die betreffende Situation kennzeichnen und es ermöglichen, direkt oder indirekt Schlussfolgerungen hinsichtlich der Frage zu ziehen, ob der Betreiber bei der unerlaubten Wiedergabe dieser Inhalte vorsätzlich tätig wird oder nicht.5)

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zählen zu den insoweit maßgeblichen Gesichtspunkten die Tatsache, dass ein solcher Betreiber, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, sowie die Tatsache, dass dieser Betreiber an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.6)

Der bloße Umstand, dass der Betreiber allgemein Kenntnis von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform hat, genügt hingegen nicht, um anzunehmen, dass er mit dem Ziel handelt, den Internetnutzern Zugang zu diesen Inhalten zu verschaffen. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern.7)

Ob das fragliche Tätigwerden Erwerbszwecken dient, ist zwar nicht gänzlich unerheblich, doch allein die Tatsache, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform oder einer Sharehosting-Plattform Erwerbszwecke verfolgt, erlaubt weder die Feststellung, dass er hinsichtlich der rechtswidrigen Wiedergabe geschützter Inhalte durch einige seiner Nutzer vorsätzlich handelt, noch eine dahingehende Vermutung.8)

Es ist Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, anhand dieser Kriterien zu bestimmen, ob diese Betreiber hinsichtlich der geschützten Inhalte, die von den Nutzern ihrer Plattform auf diese hochgeladen werden, selbst Handlungen der öffentlichen Wiedergabe im Sinn von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vornehmen.9)

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auch für die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr, der seit dem 17. Februar 2024 durch den im Wesentlichen gleich formulierten Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2022/2065 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste ersetzt worden ist, zu einer Haftungsbefreiung des Plattformbetreibers führt, nicht zwischen Online-Marktplätzen einerseits und Video-Sharing und Sharehosting-Plattformen andererseits differenziert.10)

Nach diesen Vorschriften ist der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, unter bestimmten Voraussetzungen nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich. Der Gerichtshof hat insoweit angenommen, dass sich Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG (Art. 6 der Verordnung [EU] 2022/2065) zwar nicht tatbestandlich, aber doch faktisch ausschließen.11)

Die Haftungsbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG (Art. 6 der Verordnung [EU] 2022/2065) setzt voraus, dass der Plattformbetreiber keine aktive Rolle spielt, die ihm in konkreter Weise Kenntnis der auf die Plattform hochgeladenen Inhalte oder eine Kontrolle über sie verschafft; nur dann ist er als „Vermittler“ im Sinn des Kapitels II Abschnitt 4 der Richtlinie 2000/31/EG („Vermittlungsdienst“ im Sinn von Art. 2 Buchst. g der Verordnung [EU] 2022/2065) anzusehen.12)

Für einen Online-Marktplatz hat der Gerichtshof der Europäischen Union dies dahingehend konkretisiert, dass der Plattformbetreiber keine neutrale Stellung einnimmt, sondern eine aktive Rolle spielt, wenn er Hilfestellung leistet, die unter anderem darin besteht, die Präsentation der betreffenden Verkaufsangebote zu optimieren oder diese Angebote zu bewerben.13)

Nach der Rechtsprechung des Senats muss ein Hinweis so konkret gefasst sein, dass der Adressat den Rechtsverstoß unschwer und ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung feststellen kann. Der Umfang der vom Plattformbetreiber zu verlangenden Prüfung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere vom Gewicht der angezeigten Rechtsverletzungen auf der einen und den Erkenntnismöglichkeiten des Betreibers auf der anderen Seite.14)

Mit Blick auf Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen hat der Senat entschieden, dass die durch klare Hinweise auf Rechtsverletzungen ausgelösten Prüfungspflichten sich auch auf die Sperrung oder Löschung von gleichartigen Verletzungsformen beziehen. Der Plattformbetreiber muss nicht nur den Zugang zu dem als rechtsverletzend beanstandeten Inhalt sperren und die im konkreten Einzelfall beanstandete Datei löschen sowie den künftigen Upload identischer Dateien unterbinden, sondern auch das fortgesetzte öffentliche Zugänglichmachen rechtsverletzender Inhalte durch gleichartige Verletzungshandlungen im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren unterbinden. Bei urheberrechtlich geschützten Rechtspositionen sind solche Verletzungshandlungen gleichartig, die dieses Recht bezogen auf das im konkreten Fall geschützte Werk oder die geschützte Leistung erneut verletzen, ohne dass es darauf ankäme, welcher Nutzer eine Datei mit vergleichbarem rechtsverletzenden Inhalt hochgeladen hat.15)

Auch der Betreiber eines Online-Marktplatzes ist grundsätzlich verpflichtet, nach einem klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung die dort eingestellte Angebote im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren auf gleichartige Verletzungen zu überprüfen und rechtsverletzende Inhalte zu sperren oder zu löschen. Bei Übertragung der für Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen geltenden Rechtsprechung muss den Besonderheiten von Online-Marktplätzen jedoch Rechnung getragen werden, die zwar eine zentrale Rolle für die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte spielen können (vgl. Rn. 37), aber nicht hauptsächlich darauf ausgerichtet sind. Zudem sind die Gegebenheiten der geltend gemachten Rechtsverletzung zu berücksichtigen.16)

Soweit nicht der angebotene Gegenstand selbst urheberrechtsverletzend ist (wie etwa im Fall der ohne Erlaubnis des Urhebers hergestellten Vervielfältigung eines Lichtbildwerks, die digital oder als Ausdruck zum Verkauf angeboten wird), sondern das Angebot lediglich in einer urheberrechtsverletzenden Weise präsentiert wird (wie im Streitfall), erstreckt sich die Prüfungspflicht des Plattformbetreibers im Regelfall allein auf gleichartig präsentierte Angebote, nicht aber auf jegliche Darstellungen des urheberrechtlich geschützten Werks.17)

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Haftung von Plattformen für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke (vgl. zuvor Rn. 35 bis 38) nicht auf eine Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf den Servern einer Plattform übertragbar. Es verbleibt mit Blick auf die in Rede stehende Verletzung des Vervielfältigungsrechts bei einer Haftung nach den strafrechtlichen Grundsätzen der Täterschaft und Teilnahme. Fehlen die objektiven oder subjektiven Voraussetzungen einer Haftung als Täter oder Teilnehmer, kommt lediglich eine allein zur Unterlassung und Beseitigung verpflichtende Verantwortlichkeit als Störer in Betracht (vgl. BGH, GRUR 2020, 738 [juris Rn. 42] - Internet-Radiorecorder I). Soweit kein Eingriff in das Recht der öffentlichen Wiedergabe in Rede steht, sind diese Haftungsgrundsätze nach wie vor mit dem Unionsrecht vereinbar.18)

siehe auch

Online-Marktplatz
Eine digitale Plattform, auf der verschiedene Anbieter (Verkäufer) ihre Produkte oder Dienstleistungen direkt an Kunden (Käufer) verkaufen können.

1)
vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2021 - C-682/18 und C-683/18, GRUR 2021, 1054 = WRP 2021, 1019 - YouTube und Cyando; BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - I ZR 53/17, BGHZ 233, 373 [juris Rn. 17 f.] - uploaded II; BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - I ZR 140/15, BGHZ 234, 56 [juris Rn. 70 f.] - Youtube II
2) , 3) , 4) , 17)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge
5)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 77 bis 81 und 83] - YouTube und Cyando; vgl. auch BGHZ 233, 373 [juris Rn. 24] - uploaded II; BGHZ 234, 56 [juris Rn. 76] - YouTube II
6)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 84] - YouTube und Cyando; vgl. BGHZ 233, 373 [juris Rn. 25] - uploaded II; BGHZ 234, 56 [juris Rn. 77] - YouTube II
7)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 85] - YouTube und Cyando; vgl. auch BGHZ 233, 373 [juris Rn. 26] - uploaded II; BGHZ 234, 56 [juris Rn. 78] - YouTube II
8)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 86] - YouTube und Cyando; vgl. auch BGHZ 233, 373 [juris Rn. 27] - uploaded II; BGHZ 234, 56 [juris Rn. 79] - YouTube II
9)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 90] - YouTube und Cyando; vgl. auch BGHZ 233, 373 [juris Rn. 28] - uploaded II; BGHZ 234, 56 [juris Rn. 80] - YouTube II
10)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. einerseits EuGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - C-324/09, GRUR 2011, 1025 [juris Rn. 111, 113 und 115 f.] = WRP 2011, 1129 - L'Oréal u.a.; andererseits EuGH, GRUR 2021, 1054 [Rn. 117 f.] - YouTube und Cyando; ebenso wohl J. B. Nordemann, ZUM 2022, 806, 812
11)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [Rn. 107 bis 109] - YouTube und Cyando
12)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2011, 1025 [juris Rn. 112 f. und 122 bis 124] - L'Oréal u.a.; GRUR 2021, 1054 [Rn. 105 f., 110 bis 118] - YouTube und Cyando
13)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2011, 1025 [juris Rn. 116] - L'Oréal u.a.
14)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. BGHZ 234, 56 [juris Rn. 115] - YouTube II unter Verweis auf EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 116] - YouTube und Cyando; zur Klarheit des Hinweises vgl. auch J. B. Nordemann, ZUM 2022, 806, 810
15)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. BGHZ 234, 56 [juris Rn. 118 bis 120] - YouTube II
16)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; zum Wettbewerbsrecht vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 - I ZR 18/04, BGHZ 173, 188 [juris Rn. 38 bis 46] - Jugendgefährdende Medien bei eBay
18)
BGH, Entscheidung vom 23.10.2024 - I ZR 112/23- Manhattan Bridge; m.V.a. EuGH, GRUR 2021, 1054 [juris Rn. 119 bis 143] - YouTube und Cyando