Das EPGÜ bildet aus der Sicht der Bundesregierung den Schlussstein einer seit den 1960er Jahren angestrebten Reform des europäischen Patentsystems.1)
Schon nach Verabschiedung des EPÜ gab es Versuche, durch Übereinkommen auf Ebene der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einen einheitlichen Patentschutztitel zu schaffen, unter anderem mit einer ab dem Jahr 2000 verfolgten Initiative der Europäischen Kommission zur sekundärrechtlichen Einführung eines Gemeinschaftspatents 2) Der Vorschlag sah die Errichtung einer gerichtlichen Kammer3) für Patentstreitigkeiten vor, führte jedoch nicht zum Erfolg4).5)
Parallel hierzu gab es Anläufe zur Schaffung einer einheitlichen Patentgerichtsbarkeit sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch durch eine Arbeitsgruppe der Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation, die ein Übereinkommen der Vertragsstaaten des EPÜ (European Patent Litigation Agreement – EPLA) anstrebte.6)
Im Herbst 2007 gab es sodann neue Entwürfe für ein Übereinkommen für eine europäische Patentgerichtsbarkeit7). Am 20. März 2009 empfahl die Europäische Kommission dem Rat auf der Grundlage der bis dahin geführten Diskussionen, sie zu Verhandlungen über den Abschluss eines Übereinkommens zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems zu ermächtigen8). Angestrebt wurde insoweit der Abschluss eines mit dem EPÜ verknüpften gemischten Übereinkommens von Mitgliedstaaten, Europäischer Union und Drittstaaten über eine Patentgerichtsbarkeit9).10)
Gleichzeitig wurde auch das Vorhaben eines Gemeinschaftspatents – nunmehr Patent der Europäischen Union – weiterverfolgt.11) Auf politischer Ebene wurden beide Projekte zu einem einheitlichen „Gesetzgebungspaket“ verknüpft, das zusammenfassend als „Europäische Patentreform“12) bezeichnet wird.13)
c) Der Entwurf eines internationalen Übereinkommens zur Schaffung eines Gerichts für europäische Patente und Gemeinschaftspatente (GEPEUP) wurde dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Begutachtung vorgelegt (ABl EU Nr. C 220 vom 12. September 2009, S. 15). In seinem Gutachten vom 8. März 2011 stellte der Gerichtshof fest, dass das geplante Abkommen mit den europäischen Verträgen nicht vereinbar sei (vgl. EuGH, Gutachten vom 8. März 2011, Gutachten 1/09, EU:C:2011:123, Rn. 89). Zwar stünden Art. 262 und Art. 344 AEUV der Übertragung von Zuständigkeiten auf das zu errichtende Gericht nicht entgegen, so dass die Schaffung einer einheitlichen Patentgerichtsbarkeit auch außerhalb von Art. 262 AEUV möglich sei (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 61 ff.). Die Bildung einer neuen gerichtlichen Struktur scheitere jedoch an den grundlegenden Elementen der Rechtsordnung und des Gerichtssystems der Europäischen Union. Auch wenn das betreffende Gericht außerhalb des Gerichtssystems der Europäischen Union angesiedelt werden solle (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 71), sehe das in Aussicht genommene Übereinkommen vor, dass es Unionsrecht auszulegen habe und an die Stelle der nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten trete, wodurch diesen die Möglichkeit der Vorlage genommen werde (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 72 ff.). Es handele sich auch nicht um ein dem Benelux-Gerichtshof vergleichbares gemeinsames Gericht mehrerer Mitgliedstaaten, das zur Auslegung des Übereinkommens geschaffen sei, durch das es errichtet werde, und das in das Gerichtssystem der Mitgliedstaaten eingebunden sei (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 82). Zudem gebe es keine Möglichkeit, eine Verletzung des Unionsrechts durch das Gericht zur Grundlage einer vermögensrechtlichen Haftung der Mitgliedstaaten oder zum Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens zu machen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 82 ff.). Zusammenfassend stellte der Gerichtshof fest, dass das geplante Übereinkommen einem außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehenden internationalen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent und zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich übertragen würde. Dadurch würden den Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts sowie dem Gerichtshof seine Zuständigkeit, auf die von diesen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu antworten, genommen und damit die Zuständigkeiten verfälscht, die die Verträge den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zuwiesen und die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich seien (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 89).14)
Als Reaktion auf das Gutachten des Gerichtshofs wurde das Patentpaket dahingehend geändert, dass Vertragsstaaten des EPGÜ nur noch Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden sollten, nicht hingegen die Europäische Union selbst oder sonstige Vertragsstaaten des EPÜ. Zur Sicherung der Autonomie des Unionsrechts und zur Ermöglichung eines Zusammenwirkens des Einheitlichen Patentgerichts mit dem Gerichtshof wurden weitere Regelungen in die Entwürfe aufgenommen, insbesondere eine Regelung, nach der es sich ausdrücklich um ein gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten handele, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchstabe b EPGÜ.15)
Im parallel dazu durchgeführten Rechtsetzungsverfahren für das einheitliche Patent konnte aufgrund von Einwänden gegen die Sprachen- beziehungsweise Übersetzungsregelung seitens Italiens und Spaniens keine Einigung erzielt werden. Daher wurde das Verfahren im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit fortgeführt (vgl. Beschluss 2011/167/EU über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl EU Nr. L 76 vom 22. März 2011, S. 53). Nachdem man sich Ende 2012 politisch geeinigt hatte, wurden die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 und die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 im Dezember 2012 vom Europäischen Parlament und Rat beschlossen. Das Europäische Parlament rief die Vertragsstaaten am 11. Dezember 2012 zum Abschluss des internationalen Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht auf (vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Dezember 2012, 2011/2176<INI>).16)
Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht einschließlich der dazugehörigen Satzung wurde am 19. Februar 2013 von 25 Mitgliedstaaten – nicht allerdings von Spanien, Polen und Kroatien – unterzeichnet (vgl. Ratsdokument 6572/13).17)
Gemäß seinem Art. 89 Abs. 1 tritt das Übereinkommen in Kraft, wenn es mindestens 13 der 25 Vertragsstaaten ratifiziert und die Ratifikationsurkunde hinterlegt haben. Zwingend erforderlich ist eine Ratifikation der Mitgliedstaaten (im Sinne des Art. 2 Buchstabe b EPGÜ), in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung die meisten europäischen Patente gab. Dies sind Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich (vgl. BTDrucks 18/11137, S. 94).18)
Aktuell ist das EPGÜ durch insgesamt 16 Staaten ratifiziert (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und das Vereinigte Königreich.19)
Das Ungarische Verfassungsgericht erklärte das Ungarische Zustimmungsgesetz mit Entscheidung vom 26. Juni 2018 für verfassungswidrig, weil es in den Verträgen über die Europäische Union keine Grundlage habe (vgl. Ungarisches Verfassungsgericht, Entscheidung 9/2018 <VII. 9.> vom 26. Juni 2018, offizielle englische Übersetzung: https://hunconcourt.hu/uploads/sites/3/2018/07/dec-on-unified-patent-court.pdf). Die Integrationsermächtigung in Art. E Abs. 2 und Abs. 4 Ungarische Verfassung finde auf Rechtsakte der Verstärkten Zusammenarbeit nur Anwendung, wenn sie ihre Grundlage in den Gründungsverträgen hätten; ob dies der Fall sei, sei von der Entscheidungskompetenz des Verfassungsgerichts nicht umfasst, sondern von der Regierung im Rahmen der Ratifikation zu klären (vgl. Ungarisches Verfassungsgericht, Entscheidung 9/2018, Rn. 32). Ein Zustimmungsgesetz nach den allgemeinen Regeln der Verfassung über völkerrechtliche Verpflichtungen Ungarns verstoße gegen die Vorschriften der ungarischen Verfassung über die Gerichtsverfassung, die einer exklusiven Übertragung der Anwendung ungarischen Rechts ab der Eingangsinstanz für bestimmte privatrechtliche Streitigkeiten auf internationale Gerichte unter Ausschluss nationaler Gerichte sowie der vorgesehenen verfassungsgerichtlichen Überprüfung entgegenstünden (vgl. Ungarisches Verfassungsgericht, Entscheidung 9/2018, Rn. 49 ff.).20)