Das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent wird auf Antrag für nichtig erklärt, wenn sich ergibt, daß […] der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung oder, wenn das Patent auf einer europäischen Teilanmeldung oder einer nach Artikel 61 des Europäischen Patentübereinkommens eingereichten neuen europäischen Patentanmeldung beruht, über den Inhalt der früheren Anmeldung in ihrer bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, […].
Art. 76 EPÜ → Europäische Teilanmeldung
Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand [→ Gegenstand der Anmeldung] über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung [→ Offenbarungsgehalt der Patentanmeldung] hinausgeht.
Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklärten, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln.
Entscheidend ist dabei, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik, bei dem es sich nach den zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts um einen berufserfahrenen Fachhochschul-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik oder Optik mit Erfahrungen im Bereich der Theaterund Veranstaltungstechnik handelt, den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann.1)
Danach ist für die Beurteilung dieses Nichtigkeitsgrundes allein auf eine unzulässige Änderung der Patentansprüche abzustellen, deren beanspruchte Lehre den „Gegenstand des europäischen Patents“ bilden2), während Änderungen der Beschreibung oder Figuren oder die ursprünglich in der Teilanmeldung enthaltenen Patentansprüche nur insoweit von Bedeutung sein können, wie derartige Änderungen Einfluss auf die Auslegung der Patentansprüche haben und deren Gegenstand deshalb verändern.3)
Insoweit ist deshalb – anders als im Rahmen des Art. 76 EPÜ für das Erteilungsverfahren – auch unbeachtlich, ob die ursprünglich eingereichten Patentansprüche der Teilanmeldung zulässig waren oder die Teilanmeldung aus anderen Gründen nach Art. 76 EPÜ zurückzuweisen gewesen wäre. Denn wie auch andere Mängel des Erteilungsverfahrens, sind diese auch bei der Teilanmeldung mit der Patenterteilung geheilt4) und können nicht zur Nichtigerklärung der erteilten Patentansprüche führen.5)
Die Teilanmeldung stellt eine eigenständige Anmeldung dar, für welche Art. 76 EPÜ besondere Anforderungen aufstellt. Hieraus folgt jedoch nicht zwingend, dass der Patentanspruch eines erteilten Patents zur Vermeidung einer Nichtigerklärung im Hinblick auf eine unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung zwei Tests bestehen muss: nämlich primär ggü. der Teilanmeldung und einer mit Art. 123 Abs. 2 EPÜ korrespondierenden Prüfung auf Erweiterung als eigenständige Anmeldung nach dem 1. Halbsatz der Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ und ferner gegenüber der „früheren Anmeldung“ nach dem jeweiligen Halbsatz 2, also der ausdrücklichen Regelung für die Teilanmeldung.
Eine derartige zweifache Prüfung und ein Verständnis kumulativer Anforderungen nach Halbsatz 1 und Halbsatz 2 entspricht zwar der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts zu Art. 76 EPÜ und gründet auf dem Verständnis der Teilanmeldung als eigenständige Anmeldung, welche auch das Gebot nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ zu beachten habe; auch in der Literatur wird diese Auffassung geteilt6). Soweit diese Forderung jedoch ebenso im Rahmen der Überprüfung erteilter Patente Einspruchsverfahren nach dem insoweit mit Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ wortgleichen Art. 100 lit. c EPÜ herangezogen wird7), erscheint diese Folgerung jedenfalls im Rahmen des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ nicht zwingend8).9)
Insoweit spricht nicht nur der Gesetzeswortlaut gegen ein derartiges Verständnis, sondern auch die nur formale Selbständigkeit der Teilanmeldung als eigenständige Anmeldung, welche inhaltlich nur die Abspaltung eines Teils der Stammanmeldung mit identischem Anmeldetag darstellt. Auch zum nationalen Recht und der durch Teilungserklärung hervorgegangenen Teilanmeldung, welche gleichfalls zu einer abgespaltenen, formal selbständigen Anmeldung führt, wird in der wortgleichen Fassung des § 21 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 PatG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Beleg dafür gesehen, dass auch insoweit für die Beurteilung einer unzulässigen Erweiterung des aus einer Teilanmeldung hervorgegangenen Patentgegenstandes allein der Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung maßgeblich ist.10)
Maßgeblich für die Frage, ob ein Anspruch gegenüber dem Inhalt der Stamm- noch der Teilanmeldung unzulässig erweitert wurde ist nicht ein bloßer Vergleich mit den ursprünglichen Patentansprüchen, sondern der Gesamtoffenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldeunterlagen, da insoweit den Patentansprüchen keine hervorgehobene Bedeutung zukommt.11)
Der Umstand, dass alle in einer Anmeldung geschilderten Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal aufweisen, steht der Beanspruchung von Schutz für Ausführungsformen ohne dieses Merkmal entgegen, wenn dem Inhalt der Anmeldung zu entnehmen ist, dass die im Anspruch vorgesehenen Mittel der Lösung eines Problems dienen, das das Vorhandensein des betreffenden Merkmals voraussetzt.12)
§ 6 (1) IntPatÜG → Nichtigkeit des europäischen Patents
§ 21 (1) Nr. 4 PatG → Widerruf wegen unzulässiger Erweiterung