Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats

Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 legt die Bedingungen fest, unter denen ein ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel erteilt werden kann.

Artikel 3

Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung:

a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Richtlinie 2001/82/EG erteilt wurde;

c) für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;

d) die unter Buchstabe b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.

Ein ergänzendes Schutzzertifikat kann gemäß Art. 3 AMVO nur erteilt werden, wenn das antragsgemäße Erzeugnis zum Zeitpunkt der Anmeldung durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist und für das Erzeugnis eine gültige Zulassung als Arzneimittel gemäß der Richtlinie 2001/83/EG oder der Richtlinie 2001/82/EG erteilt wurde, bei der es sich um die erste Zulassung des Erzeugnisses als Arzneimittel handeln muss. Zudem darf für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt worden sein.1)

Art. 3 lit. b VO (EG) Nr. 469/2009

Im Rahmen der Erteilungsvoraussetzung des Art. 3 (b) AMVO ist ausschließlich zu prüfen, für welches konkrete Erzeugnis (Wirkstoff oder Wirkstoffkombination) die eingereichte Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilt wurde.2)

Die Genehmigung i. S. v. Art. 3 (b) AMVO wird nicht für einen Wirkstoff an sich erteilt, sondern für ein Arzneimittel, das den fraglichen Wirkstoff enthält.

Die Genehmigung soll das fragliche Erzeugnis im Erteilungsverfahren identifizieren3)

Im Rahmen der Prüfung der Erteilungsvoraussetzung des Art. 3 (b) AMVO geht es ausschließlich um die Frage, für welches konkrete Erzeugnis eine Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilt wurde. Diese Frage ist anhand der vorgelegten Genehmigung zu beantworten, was sich unmissverständlich aus dem Wortlaut von Art. 3 (b) AMVO ergibt. Auch der Gerichtshof hat diese Bedeutung der Genehmigung sowie der dazugehörigen Zulassungsunterlagen in seiner Auslegung der AMVO bestätigt.4)

Art. 3 lit. c VO (EG) Nr. 469/2009

Nach Art. 3 lit. c VO wird ein Zertifikat für das antragsgemäße Erzeugnis erteilt, wenn in dem Mitgliedsstaat zum Zeitpunkt dieser Anmeldung für dieses Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde.5)

Bei dem in Art. 1 lit. b VO definierten Begriff des Erzeugnisses handelt es sich um einen eigenständigen Begriff, der weder mit der patentrechtlichen Erfindung noch mit dem Gegenstand der arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen gleichzusetzen ist, sondern dessen Inhalt und Grenzen durch Auslegung der Verordnung zu bestimmen sind.6)

Dieser Begriff des Erzeugnisses hat in jüngster Zeit durch zwei Entscheidungen des EuGH vom 12. Dezember 2013 in den Rechtssachen Actavis ./. Sanofi - C-443/12 - (im Folgenden „Actavis“) und Georgetown University ./. Octrooicentrum Nederland - C-484/12 - (im Folgenden „Georgetown“) eine bindende Auslegung erfahren.7)

In beiden Entscheidungen nimmt der EuGH an, dass auf Grundlage eines Patents, durch das mehrere, sich voneinander unterscheidende „Erzeugnisse“ geschützt werden, grundsätzlich mehrere ergänzende Schutzzertifikate in Bezug auf die einzelnen, unterschiedlichen Erzeugnisse erteilt werden können. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese jeweils im Sinne von Art. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 1 lit. b und c VO „als solche“ durch das Grundpatent geschützt sind (EuGH - Actavis Rn. 29; Georgetown Rn. 30).

Für den Schutz „als solchen“ lässt es der EuGH nicht ausreichen, dass das jewei-lige Erzeugnis in den Ansprüchen des Grundpatents genannt ist (so EuGH, Urteil vom 24. November 2011 – C 322/10 – Medeva ./. Comptroller General of Patents, Designs an Trade Marks, im Folgenden „Medeva“, Rn. 26 ff.). Vielmehr bestimmt der EuGH den Schutz „als solchen“ materiell in der Weise, dass der schutzwür-dige Wirkstoff die „zentrale erfinderische Tätigkeit“ (in der Verfahrenssprache Eng-lisch: „the core inventive advance“) im Sinne des Grundpatents darstellt (EuGH - Actavis Rn. 30).8)

Im Ergebnis ist der EuGH der Erteilung eines weiteren Schutzzertifikats aufgrund einer späteren arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen ent-gegen getreten, sofern für einen neuartigen Wirkstoff auf Grundlage des ihn schützenden Patents und einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ihn enthaltenden Monopräparats bereits ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt wor-den war und die spätere arzneimittelrechtliche Genehmigung diesen Wirkstoff zu-sammen mit einem anderen, als solchen durch das Patent nicht geschützten Wirkstoff enthält (EuGH - Actavis Rn. 43). Im umgekehrten Fall verbietet es Art. 3 lit. c VO nicht, dem Inhaber eines Grundpatents und der Genehmigung für das Inverkehrbringen ein weiteres Schutzzertifikat für einen darin enthaltenen Wirkstoff zu erteilen, sofern dieser durch das Patent auch einzeln als solcher geschützt ist (EuGH - Georgetown Rn. 41).9)

Die Rechtsprechung des EuGH stellt eine Abkehr von der verbreiteten bisheri-gen Rechtspraxis in Deutschland dar. Danach sind der (Mono-) Wirkstoff des Grundpatents und eine Wirkstoffzusammensetzung aus diesem (Mono-) Wirkstoff und einem weiteren Wirkstoff als unterschiedliche Erzeugnisse angesehen worden, auch wenn dieser weitere Wirkstoff für sich allein betrachtet nicht Gegenstand der Erfindung des Grundpatents ist.10)

Diese Auslegung des Art. 3 lit. c VO ist vom EuGH im Wesentlichen damit begründet worden, die Forschung im pharmazeutischen Bereich dadurch zu fördern, dass (nur) ein ergänzendes Schutzzertifikat pro Erzeugnis, das im engeren Sinn als Wirkstoff verstanden wird, erteilt wird (EuGH Georgetown Rn. 31).11)

Ein ergänzendes Schutzzertifikat soll lediglich den Schutz des Grundpatents verlängern, aber die gleichen Rechte und denselben Schutz gewähren wie das Grundpatent, wobei sich der Schutzumfang nach den einschlägigen nationalen Vorschriften bestimmt.12)

Rechtsprechung zu Art. 3 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92

Art. 3 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96, ist dahin auszulegen, dass er der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats (SPC) zugunsten des Inhabers eines Grundpatents für ein Erzeugnis nicht entgegensteht, auch wenn für dasselbe Erzeugnis zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats bereits einem oder mehreren Inhabern eines oder mehrerer anderer Grundpatente ein oder mehrere Zertifikate erteilt worden sind.13)

Die Gleichzeitigkeit der Anmeldungen ist keine wesentliche Voraussetzung für die Erteilung von Zertifikaten an mehrere Inhaber verschiedener Grundpatente für dasselbe Erzeugnis. Die Erteilung ist auch möglich, wenn die Anmeldungen nicht gleichzeitig anhängig sind.14)

Die Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 zielt darauf ab, einen ausreichenden Schutz zur Förderung der Forschung im pharmazeutischen Bereich zu gewährleisten. Dies soll sicherstellen, dass die Inhaber von Grundpatenten ihre Investitionen besser amortisieren können, unabhängig davon, ob für dasselbe Erzeugnis bereits Zertifikate erteilt wurden.15)

Die Fristenregelung in Art. 7 der Verordnung Nr. 1768/92 berücksichtigt sowohl die Interessen des Patentinhabers als auch die Interessen Dritter, die wissen müssen, ob ein Produkt durch ein Zertifikat geschützt wird.16)

Die Erteilung eines Zertifikats kann nicht davon abhängen, dass andere Zertifikatsanmeldungen für dasselbe Erzeugnis gleichzeitig anhängig sind. Eine solche Voraussetzung würde dazu führen, dass die Möglichkeit der Erteilung eines Zertifikats durch zufällige Faktoren, wie die Bearbeitungsdauer von Anträgen durch nationale Behörden, beeinträchtigt würde.17)

Die Verordnung Nr. 1768/92 und die damit verfolgten Ziele erfordern eine einheitliche Lösung auf Gemeinschaftsebene, um einen unterschiedlichen Schutz desselben Arzneimittels in der EU zu vermeiden. Ein solcher Unterschied könnte den Binnenmarkt behindern.18)

Die maximale Schutzdauer von 15 Jahren Ausschließlichkeit, wie in Art. 13 der Verordnung Nr. 1768/92 vorgesehen, darf durch die Erteilung mehrerer Zertifikate an verschiedene Patentinhaber nicht überschritten werden. Die Berechnung der Laufzeit des Zertifikats erfolgt unabhängig davon, ob bereits andere Zertifikate für dasselbe Erzeugnis erteilt wurden.19)

Die Erteilung eines Zertifikats zugunsten eines Grundpatentinhabers für ein Erzeugnis darf nicht verweigert werden, nur weil anderen Inhabern für dasselbe Erzeugnis bereits Zertifikate erteilt worden sind.20)

siehe auch

Verordnung (EG) Nr. 469/2009 → Ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel
Regelt das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel, das den Schutz eines Patents verlängert, um die Zeit auszugleichen, die für die behördliche Genehmigung eines Arzneimittels benötigt wird.

1) , 2)
BPatG, Beschl. v. 26. Juni 2020 - 14 W (pat) 5/18 - Abraxis II
3)
EuGH, GRUR Int 1997, 363, Rdn. 44 - Biogen) und damit belegen, dass es vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel ein verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren gemäß der Richtlinie 2001/83/EG oder der Richtlinie 2001/82/EG durchlaufen hat (Art. 2 AMVO).((BPatG, Beschl. v. 26. Juni 2020 - 14 W (pat) 5/18 - Abraxis II
4)
BPatG, Beschl. v. 26. Juni 2020 - 14 W (pat) 5/18 - Abraxis II; m.V.a. EuGH, a. a. O., Rdn. 44 - Biogen, sowie EuGH, a. a. O., Rdn. 34 ff. - Forsgren
5)
BPatG, Urteil v. 4. Februar 2014 - 3 Ni 5/13
6) , 7) , 8) , 9) , 10) , 11)
BPatG, Urteil v. 4. Februar 2014 - 3 Ni 5/13; m.V.a Schell GRUR Int. 2013, 509
12)
BPatG, Urteil v. 4. Februar 2014 - 3 Ni 5/13; m.V.a Schell GRUR Int. 2013, 509; m.V.a. etwa EuGH a. a. O - Daiichi Sankyo Rn. 26, 28; EuGH - Medeva Rn. 23, 25, 39; EuGH a. a. O. - Queensland Rn. 27, 28, 30, 34; EuGH a. a. O. - Yeda Rn. 34, 35, 37
13) , 14) , 15) , 16) , 17) , 18) , 19) , 20)
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 3. September 2009, AHP Manufacturing BV / Bureau voor de Industriële Eigendom, C-482/07