Unverhältnismässiger Vernichtungs- oder Rückrufanspruch

§ 18 (3) MarkenG

Die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 [→ Vernichtungsanspruch, → Rückrufanspruch] sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen.

§ 18 (1) MarkenG → Vernichtungsanspruch
§ 18 (2) MarkenG → Rückrufanspruch

Die Anordnung der Vernichtung widerrechtlich gekennzeichneter Waren gemäß § 18 Abs. 1 MarkenG [→ Vernichtungsanspruch] sowie die Anordnung des Rückrufs und des endgültigen Entfernens solcher Waren aus den Vertriebswegen hat über die Folgenbeseitigung hinaus eine Art Sanktionscharakter und ist wegen des damit verbundenen Eingriffs in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum in besonderem Maße dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen [§ 18 (3) MarkenG → Unverhältnismässiger Vernichtungs- oder Rückrufanspruch].1)

Die Frage der Unverhältnismäßigkeit im Sinne von § 18 Abs. 3 MarkenG ist deshalb unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten.2)

So sind unter Berücksichtigung des generalpräventiven Zwecks der Vorschrift das Vernichtungsinteresse des Inhabers der Marke und das Erhaltungsinteresse des Verletzers abzuwägen.3)

In die Abwägung einzubeziehen ist ferner die Schuldlosigkeit oder der Grad des Verschuldens des Verletzers.4)

Insbesondere bei schuldlosem Handeln des Verletzers werden bei der Abwägung, ob und durch welche Maßnahmen dem Gebot der Beseitigung des rechtsverletzenden Zustands auf andere Weise genügt ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen entsprechend geringere Anforderungen zu stellen sein.5)

Im Rahmen der Abwägung ist außerdem die Schwere des Eingriffs in das Markenrecht (unmittelbare Übernahme oder Verletzung im Randbereich), der Umfang des bei der Vernichtung für den Verletzer entstehenden Schadens im Vergleich zu dem durch die Verletzung eingetretenen wirtschaftlichen Schaden des Rechtsinhabers6) und Besonderheiten der Beschaffenheit der Ware7) einzubeziehen.8)

Neben diesen Gesichtspunkten kann auch die Frage von Bedeutung sein, ob im Einzelfall ein milderes Mittel zur Beseitigung der Störung, etwa die sichere und dauerhafte Entfernung der widerrechtlichen Kennzeichnung, zur Verfügung steht.9)

Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 MarkenG sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit schließlich auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen. Da die Bestimmung des § 18 Abs. 3 MarkenG auf die Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall abstellt, können die genannten Umstände ein mehr oder weniger starkes Gewicht haben, eine schematische Prüfung verbietet sich.10)

Liegt eine Verletzungshandlung nach § 14 Abs. 2 MarkenG nicht vor, scheiden auch Ansprüche auf Herausgabe zur Vernichtung und auf Auskunftserteilung nach §§ 18, 19 MarkenG, § 242 BGB aus.11)

Der mit einem Rückruf markenverletzender Ware unter Umständen verbundene Effekt, dass der Rückrufende damit gegenüber seinen Abnehmern eine von ihm zu verantwortende Markenverletzung einräumt, ist mithin ein vom Gesetzeszweck umfasster Umstand. Er kann nicht für sich genommen die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit im Sinne von § 18 Abs. 3 MarkenG stützen.12)

Der Umfang des bei der Vernichtung für den Verletzer entstehenden Schadens mit dem durch die Verletzung eingetretenen wirtschaftlichen Schaden des Rechtsinhabers in Beziehung zu setzen13). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Interessen des Verletzers umso geringer betroffen sind, je weniger Waren vom Anspruch auf Vernichtung oder Rückruf umfasst sind.14)

siehe auch

§ 18 (1) MarkenG → Vernichtungsanspruch
§ 18 (2) MarkenG → Rückrufanspruch

1)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor; m.V.a. BGH, Urteil vom 23. Februar 2006 - I ZR 27/03, BGHZ 166, 233 Rn. 52 - Parfümtestkäufe
2)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor; m.V.a. BGH, Urteil vom 10. April 1997 - I ZR 242/94, GRUR 1997, 899, 901 [juris Rn. 35] = WRP 1997, 1189 - Vernichtungsanspruch; Urteil vom 15. August 2013 - I ZR 188/11, BGHZ 198, 159 Rn. 46 - Hard Rock Cafe
3)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor; m.V.a. BGH, GRUR 1997, 899, 901 - Vernichtungsanspruch
4) , 10)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor; m.V.a. BGH, GRUR 1997, 899, 901 [juris Rn. 35] - Vernichtungsanspruch
5)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor; m.V.a. BGHZ 166, 233 Rn. 52 - Parfümtestkäufe
6) , 13)
vgl. BGH, GRUR 1997, 899, 901 [juris Rn. 35] - Vernichtungsanspruch; BGHZ 166, 233 Rn. 52 - Parfümtestkäufe
7)
vgl. Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 18 Rn. 35
8)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor
9)
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 - I ZR 259/15 - Curapor; m.V.a. BGH, GRUR 1997, 899, 901 [juris Rn. 36] - Vernichtungsanspruch
11)
BGH, Urteil vom 31. Oktober 2013 - I ZR 49/12 - OTTO CAP
12) , 14)
BGH, Urteil vom 11. OktobeIr 2018 - I ZR 259/15 - Curapor