Schutzschranke für geografische Kollektivmarken

Die Schutzschranke des § 100 Abs. 1 MarkenG für geografische Kollektivmarken setzt Art. 29 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Markenrichtlinie um (zuvor Art. 15 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/95/EG und Art. 15 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 89/104/EWG; zur Unionskollektivmarke vgl. Art. 74 Abs. 2 Satz 2 UMV).1)

Nach Art. 29 Abs. 3 Satz 2 der Markenrichtlinie berechtigt eine Kollektivmarke den Inhaber nicht dazu, einem Dritten die Benutzung solcher Zeichen oder Angaben im geschäftlichen Verkehr zu untersagen, sofern die Benutzung durch den Dritten den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht.2)

Nach Art. 29 Abs. 3 Satz 3 der Markenrichtlinie kann eine solche Marke insbesondere einem Dritten, der zur Benutzung einer geografischen Bezeichnung berechtigt ist, nicht entgegengehalten werden.3)

Das Merkmal der „guten Sitten“ in § 100 Abs. 1 Satz 1 MarkenG entspricht inhaltlich dem in der Markenrichtlinie verwendeten Begriff der „anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel“.4)

Damit die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel genügt, darf der Dritte den berechtigten Interessen des Markeninhabers nicht in unlauterer Weise zuwiderhandeln.5)

Um dies beurteilen zu können, ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls erforderlich.6)

Der Dritte handelt unter anderem dann den berechtigten Interessen des Markeninhabers in unlauterer Weise zuwider, wenn er die Wertschätzung der Marke in unlauterer Weise ausnutzt.7)

Zu berücksichtigen ist zum einen, inwieweit die Verwendung der Bezeichnung durch den Dritten von den beteiligten Verkehrskreisen oder zumindest einem erheblichen Teil dieser Kreise als Hinweis auf eine Verbindung zwischen den Waren oder Dienstleistungen des Dritten und dem Markeninhaber oder einer zur Benutzung der Marke befugten Person aufgefasst wird, und zum anderen, inwieweit der Dritte sich dessen hätte bewusst sein müssen.8)

Ferner sind die Anstrengungen zu würdigen, die der Dritte unternimmt, um sicherzustellen, dass die Verbraucher seine Waren von denen des Markeninhabers unterscheiden.9)

siehe auch

Kollektivmarken

1) , 2) , 3)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19
4)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19; zu § 23 Nr. 2 MarkenG aF vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 - I ZR 33/10, GRUR 2011, 1135 Rn. 23 = WRP 2011, 1602 - GROSSE INSPEKTION FÜR ALLE, mwN
5)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19; m.V.a. EuGH, Urteil vom 16. November 2004 - C-245/02, Slg. 2004, I-10989 = GRUR 2005, 153 Rn. 82 - AnheuserBusch [Budweiser Budvar]; Urteil vom 11. September 2007 - C-17/06, Slg. 2007, I-7041 = GRUR 2007, 971 Rn. 33 - Céline; BGH, Urteil vom 30. April 2009 - I ZR 42/07, BGHZ 181, 77 Rn. 29 - DAX
6)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19; m.V.a. EuGH, GRUR 2005, 153 Rn. 84 - Anheuser-Busch [Budweiser Budvar]; EuGH, Urteil vom 20. Juli 2017 - C-93/16, GRUR 2017, 1132 Rn. 45 = WRP 2017, 1452 - Ornua [Kerrygold/Kerrymaid]; BGHZ 181, 77 Rn. 29 - DAX; BGH, GRUR 2011, 1135 Rn. 23 - GROSSE INSPEKTION FÜR ALLE
7)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19; zur bekannten Marke vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2005 - C-228/03, Slg. 2005, I-2337 = GRUR 2005, 509 Rn. 41 bis 43 - Gillette Company und Gillette Group Finland [Gillette]; Urteil vom 18. Juni 2009 - C-487/07, Slg. 2009, I-5185 = GRUR 2009, 756 Rn. 49 - L'Oréal u.a.; BGH, GRUR 2011, 1135 Rn. 24 - GROSSE INSPEKTION FÜR ALLE
8)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19; m.V.a. EuGH, GRUR 2005, 153 Rn. 83 - Anheuser-Busch [Budweiser Budvar]; GRUR 2007, 971 Rn. 34 - Céline
9)
BGH, Urt. v. 29. Juli 2021 - I ZR 164/19; m.V.a. EuGH, GRUR 2017, 1132 Rn. 45 - Ornua [Kerrygold/Kerrymaid]