Gutachten zur Verkehrsdurchsetzung

Wenn die Beurteilung der Verkehrsdurchsetzung besondere Schwierigkeiten bereitet, verbietet es das Unionsrecht nicht, die Frage der Unterscheidungskraft der Marke durch eine Verbraucherbefragung klären zu lassen1), die häufig das zuverlässigste Beweismittel zur Feststellung der Verkehrsdurchsetzung sein wird2).3)

Bei Marken, die ihrer Natur nach insbesondere in Verbindung mit weiteren Kennzeichen benutzt werden (wie z. B. bloße Warenformen, Farben, Muster usw.) sind Verkehrsbefragungen zur Feststellung einer Verkehrsdurchsetzung ohnehin angezeigt.4) bzw. sogar unverzichtbar.5))

Die Verkehrsdurchsetzung kann im Einzelfall ohne Verkehrsbefragung festgestellt werden.6)

Bei der statistischen Auswertung einer Verbraucherumfrage muss die Fehlertoleranz (nach der Gaußschen Verteilungskurve) berücksichtigt werden.7)

Liegt zwischen Anmeldetag und Zeitpunkt der Fertigung eines demoskopischen Gutachtens ein großer Zeitraum (hier: 13 Jahre), schließt dies grundsätzlich die Annahme aus, dass das Ergebnis des Gutachtens auf den Anmeldetag bezogen werden kann. Etwas anderes kann nur in besonderen, an strenge Voraussetzungen geknüpften Fallgestaltungen gelten. Von einem solchen Ausnahmefall ist auszugehen, wenn in speziellen Warenbereichen die in Frage stehenden Produkte sich nicht rasch ändern, die Marktentwicklung über lange Zeit-räume zuverlässig beurteilt werden kann und die für die Verkehrsdurchsetzung sprechenden Umstände eindeutig sind.8)

Die Beibringung eines demoskopischen Gutachtens ist nicht zwingend, wenn die sonstigen Belege ausreichend sind.9)

Von der Einholung eines demoskopischen Gutachtens kann abgesehen werden, wenn die Ermittlungen des Gerichts und die von der Partei vorgelegten Unterlagen den an eine Verkehrsdurchsetzung gestellten Anforderungen genügen. Diese können nicht nur aufgrund von demoskopischen Untersuchungen getroffen werden.10)

Liegt der Prüfung der Verkehrsdurchsetzung nach § 8 Abs. 3 MarkenG im Eintragungs oder Löschungsverfahren ein Meinungsforschungsgutachten zugrunde, ist bei einer statistisch ausreichend großen Stichprobe vom ermittelten Durchschnitts-wert ohne Berücksichtigung der Fehlertoleranz auszugehen.11)

Die Frage, ob bei dem Ergebnis eines Meinungsforschungsgutachtens zum Beleg einer Verkehrsdurchsetzung nach § 8 Abs. 3 MarkenG die Fehlertoleranz zu berücksichtigen ist, ist in der Literatur umstritten.12)

Der BGH hat die Frage im Anschluss an die vorstehend wiedergegebene jüngere Rechtsprechung des Bundespatentgerichts zunächst ausdrücklich offengelassen.13).

Dem Markeninhaber obliegt im Löschungsverfahren die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die von ihm behauptete Verkehrsdurchsetzung zum Anmeldezeitpunkt auch dann, wenn die angegriffene Marke aufgrund von Verkehrsdurchsetzung eingetragen worden ist (im Anschluss an EuGH, GRUR 2013, 844 Rn. 62 ff. - Sparkassen-Rot; abw. BGH, GRUR 2010, 138 Rn. 48 - ROCHER-Kugel; GRUR 2009, 669 Rn. 31 – Post II). Dies ergibt sich aus Normstruktur der maßgeblichen Vorschriften § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 und § 8 Abs. 3 MarkenG und dem allgemein anerkannten Beweislastgrundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für das Vorhandensein aller Voraussetzungen der ihm günstigen Norm trägt.14))

Nach der vom DPMA aufgestellten „Richtlinie für die Prüfung von Markenanmeldungen“ (BlPMZ 2005, 245 ff., 255, 256) wird in Verkehrsdurchsetzungsverfahren sinngemäß empfohlen, in der zeichenbezogenen Eingangsfrage, beim Probanden zunächst abzufragen, ob er das zu beurteilende Zeichen (Bezeichnung/Bild/Farbe/Form) im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen schon einmal wahrgenommen (gehört, gesehen, gelesen) hat. Erst im Anschluss hieran kann bei dem Personenkreis, der das Zeichen im Zusammenhang mit Waren bzw. Dienstleistungen kennt, nachgefragt werden, ob er es als Hinweis auf ein ganz bestimmtes Unternehmen sieht oder nicht.15))

Gegen die bislang übliche und in der Richtlinie des Deutschen Patent- und Markenamts für die Prüfung von Markenanmeldungen (vgl. BlPMZ 2005, 245 ff., 255, 256) empfohlene Fragestellung bei Verbraucherbefragungen zur Ermittlung des Kennzeichnungsgrades, die auf Entscheidungen des Bundespatentgerichts zurückgeht16), legt dem Befragten suggestiv nahe, entsprechende Zeichen als Unternehmenshinweis zu qualifizieren. Die mit einer solchen Fragestellung erzielten Kennzeichnungsgrade dürften tendenziell über den bei angemessen neutraler Fragestellung zu erzielenden Werten liegen.17))

Im Rahmen einer Befragung zur Erstellung eines demoskopischen Gutachtens zur Verkehrsdurchsetzung ist mit der Eingangsfrage zu ermitteln, ob der Befragte das in Rede stehende Zeichen im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen schon einmal wahrgenommen hat. Erst im Anschluss daran kann bei dem Personenkreis, der das Zeichen kennt, nachgefragt werden, ob er es als Hinweis auf ein ganz bestimmtes Unternehmen sieht. Dabei darf die Eingangsfrage den herkunftshinweisenden Charakter des Zeichens nicht bereits suggerieren.18)

Steht fest, dass mehrere Dienstleistungen unterschiedlicher Art typischerweise von einem einzigen Unternehmen erbracht werden (hier: Bankdienstleistungen für Privatkunden) und der angesprochene Verkehr erwartet, wenn er die wichtigste dieser Dienstleistungen in Anspruch nimmt (hier: Führung eines Girokontos), dass das Unternehmen auf Anfrage weitere Dienstleistungen (hier: Ausgabe von Debit- und Kreditkarten, Kredite, Geldanlagen usw.) anbietet, kann dieses Dienstleistungsbündel Gegenstand einer einzigen Befragung zur Verkehrsdurchsetzung eines Zeichens sein, das hierfür Geltung beansprucht.19)

Ein demoskopisches Gutachten kann den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung erbringen, wenn es keine grundlegenden methodischen Mängel aufweist und nach Abschlägen einen Kennzeichnungsgrad von über 50% ergibt.20)

Ein demoskopisches Gutachten ist nicht geeignet, die Verkehrsdurchsetzung eines Zeichens zu widerlegen, wenn auf sein Ergebnis wegen methodischer Mängel Aufschläge gemacht werden müssen, die dazu führen, dass für das in Frage stehende Zeichen ein Kennzeichnungsgrad von über 50% erreicht wird.21)

Ebenso wie größere Zeiträume zwischen Anmeldetag und Zeitpunkt der Erstattung eines demoskopischen Gutachtens regelmäßig die Annahme ausschließen, das Gutachtenergebnis könne auf den Anmeldetag zurückbezogen werden, stehen größere Zeiträume zwischen der Erstattung eines demoskopischen Gutachtens und der Entscheidung über den Löschungsantrag im Regelfall dessen Verwertung im Rahmen der Prüfung einer Verkehrsdurchsetzung im Entscheidungszeitpunkt entgegen.22)

Die Beibringung eines demoskopischen Gutachtens ist dabei nicht zwingend, wenn die sonstigen Belege ausreichend sind.23)

Von der Einholung eines demoskopischen Gutachtens kann abgesehen werden, wenn die Ermittlungen des Gerichts und die von der Partei vorgelegten Unterlagen den an eine Verkehrsdurchsetzung gestellten Anforderungen genügen. Diese können nicht nur aufgrund von demoskopischen Untersuchungen getroffen werden.24)

siehe auch

§ 8 (3) MarkenG → Verkehrsdurchsetzung

1)
EuGH, GRUR 1999, 723 Rn. 53 - Windsurfing Chiemsee; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 I ZB 88/07, GRUR 2010, 138 Rn. 38 = WRP 2010, 260 ROCHER-Kugel
2)
vgl. BGH, GRUR 2014, 483 Rn. 32 test
3) , 8)
BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2014 - I ZB 61/13 - Langenscheidt-Gelb
4)
so st.Rspr. z. B. BGH, GRUR 2010, 138 Rn. 39 – ROCHER-Kugel
5) , 14) , 15) , 17)
BPatG, Beschl. v. 8. Juli 2015 - 25 W (pat) 13/14 - Farbmarke Rot – HKS 13 (Sparkassen-Rot
6)
BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2014 - I ZB 61/13 - Langenscheidt-Gelb; m.V.a. EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 42 Deutscher Sparkassen- und Giroverband/Banco Santander [Sparkassen-Rot]; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 8 Rn. 337
7)
BPatG, Entsch. v. 24. Januar 2007 - 32 W (pat) 134/04; m.w.N.
9) , 23)
BPatG, Entscheidung vom 13.08.2008 - 29 W (pat) 61/07 - Farbmarke Sonnengelb
10) , 24)
vgl. BPatG, Entscheidung vom 13.08.2008 - 29 W (pat) 61/07 - Farbmarke Sonnengelb; m.V.a. EuGH a. a. O., Windsurfing Chiem-see; GRUR Int. 1999, 734 ff. - Rn. 23 f. - Lloyd; BGH GRUR 2008, 710 ff. - Rn. 28 - VISAGE; GRUR 2004, 331, 332 - Westie-Kopf; BPatG 33 W (pat) 123/04 - Warburg Bank; Ströbele/ Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., § 8 Rn. 347
11)
BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - I ZB 65/12
12)
BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - I ZB 34/12 - S-Bahn; für das Eintragungsverfahren bejahend v. Gamm in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., § 8 MarkenG Rn. 57; ebenfalls vorsichtig bejahend Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 8 Rn. 567; ablehnend Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 8 Rn. 351; Pflüger, GRUR Prax 2011, 51, 54
13)
BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - I ZB 34/12 - S-Bahn; m.V.a. BGH, Beschluss vom 2. April 2009 I ZB 94/06, GRUR 2009, 954 Rn. 37 = WRP 2009, 1250 Kinder III; Beschluss vom 9. Juli 2009 I ZB 88/07, GRUR 2010, 138 Rn. 56 = WRP 2010, 260 ROCHER-Kugel
16)
vgl. dazu u. a. Beschluss vom 14. Mai 2003, 29 W (pat) 108/01 = GRUR 2004, 61 - BVerwGE; unter dem Gliederungspunkt II., 3., 3.3
18) , 19) , 20) , 21) , 22)
BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 - I ZB 52/15 - Sparkassen-Rot