GWB 2005 § 36 Abs. 1, § 19 Abs. 2
Bei der Abgrenzung des relevanten Marktes sind auch Produkte einzubeziehen, die zwar mit anderen auf dem ins Auge gefassten Markt angebotenen Produkten nicht funktionell austauschbar sind, die aber die Grundlage dafür bieten, dass ihr Hersteller bei Vorliegen günstiger Wettbewerbsbedingungen jederzeit sein Sortiment umstellen und ein Konkurrenzprodukt anbieten könnte. Eine solche Angebotsumstellungsflexibilität kann jedoch nur angenommen werden, wenn die Umstellung kurzfristig und mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erfolgen kann.1)
Dem sachlich relevanten Markt sind grundsätzlich sämtliche Absatz- oder Bezugsmöglichkeiten zuzurechnen, ohne Rücksicht auf die jeweilige Marktstufe oder deren Besonderheiten.2)
Ob sich aus Bezugsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Marktstufen im Einzelfall ausreichende und zumutbare Alternativen ergeben, richtet sich nach den Besonderheiten des als abhängig in Betracht kommenden Unternehmens und den konkreten Wettbewerbsbedingungen auf dem zu untersuchenden Markt.3)
Im Allgemeinen wird allerdings der Verweis auf den Bezug beim Großhandel nur dann als zumutbare Ausweichmöglichkeit angesehen werden können, wenn er im Wesentlichen zu den gleichen Voraussetzungen und Bedingungen erfolgen kann, wie sie den Wettbewerbern zur Verfügung stehen.4)
Abzustellen ist danach auf die funktionelle Austauschbarkeit der fraglichen Güter aus der Sicht der (potentiellen) Kunden, die diese Güter zur Deckung eines spezifischen Bedarfs nachfragen.5)
Die Marktabgrenzung dient dem Ziel, die Wettbewerbskräfte zu ermitteln, denen die beteiligten Unternehmen ausgesetzt sind.6)
Denn für die Frage, ob ein Unternehmen über eine marktbeherrschende Stellung verfügt, kommt es entscheidend darauf an, ob die Verhaltensspielräume dieses Unternehmens hinreichend durch den Wettbewerb kontrolliert werden. Würde ausschließlich auf das vorgefasste, am konkreten Bedarf orientierte Kaufinteresse der Marktgegenseite abgestellt, müssten häufig extrem kleinteilige Märkte gebildet werden, weil der konkrete Bedarf – etwa der Bedarf nach einem Straßenschuh der Größe 48 – durch einen gleichartigen, aber doch in einem für den Nachfrager entscheidenden Punkt unterschiedlichen Gegenstand – etwa durch einen Straßenschuh der Größe 46 – nicht befriedigt werden kann7).
Dem trägt die Praxis durch das Konzept der Angebotsumstellungsflexibilität Rechnung.8) Es beruht auf der Erkenntnis, dass ein die Verhaltensspielräume kontrollierender Wettbewerb auch von Anbietern ähnlicher Produkte ausgeht, die ihr Angebot kurzfristig umstellen können, um eine bestehende Nachfrage zu befriedigen. Mit diesem Konzept lässt es sich begründen, dass auch in der Verlagsbranche teilweise Marktabgrenzungen vorgenommen werden, die sich allein mit dem Bedarfsmarktkonzept nicht mehr erklären lassen. So hätte beispielsweise ein Schuhhersteller, der anders als seine Wettbewerber nicht nur Schuhe bis zur Größe 46, sondern auch darüber hinaus herstellt, möglicherweise keine marktbeherrschende Stellung, weil sein Verhaltensspielraum durch Wettbewerber eingeschränkt wäre, die ihr Sortiment jederzeit und ohne größeren Aufwand auf Schuhe der Größe 48 erweitern könnten.9)
Im Rahmen der Marktabgrenzung kann eine mögliche Angebotsumstellungsflexibilität allerdings nur dann Berücksichtigung finden, wenn die Anbieter ähnlicher Produkte bereit und in der Lage sind, ihre Produktion kurzfristig und mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand umzustellen.10)
Die Abgrenzung des maßgebenden Marktes obliegt in erster Linie dem Tatrichter, da sie wesentlich von den – tatrichterlich festzustellenden – tatsächlichen Gege-benheiten des Marktes abhängt. Sie kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur be-grenzt überprüft werden11)