Sorgfaltspflichten des Verbreiters eines Interviews

Verbreiterhaftung

Auch der Abdruck eines Interviews kann ein besonderes Informationsinteresse der Mediennutzer erfüllen. Dabei ist die Presse zwar grundsätzlich in weiterem Umfang als Private gehalten, Nachrichten und Behauptungen vor ihrer Weitergabe auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.1)

Daraus folgt indes nicht, dass der Presse solche Sorgfaltspflichten uneingeschränkt abverlangt werden dürfen. Vielmehr sind die Fachgerichte gehalten, auch bei der Bemessung der Sorgfaltspflichten, die der Presse bei Verbreitung einer fremden Äußerung abzuverlangen sind, die Wahrheitspflicht nicht zu überspannen, um den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten freien Kommunikationsprozess nicht einzuschnüren.2)

Erlegte man der Presse in den Fällen der Verbreitung fremder Tatsachenbehauptungen eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung auf, führte dies dazu, dass die lediglich wiedergegebenen Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin wie ein eigener Beitrag zu überprüfen wären. Eine solche Recherchepflicht könnte den Kommunikationsprozess in unzulässiger Weise einschränken.3)

Ein Zu-Eigen-Machen liegt regelmäßig vor, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint4) oder auch im Rahmen eines Interviews eigene Tatsachenbehauptungen des Fragenden in den Raum gestellt werden, neben denen die Antworten des Interviewten nur noch als Beleg für die Richtigkeit wirken5).6)

Auch undistanziert wiedergegebene Äußerungen Dritter können zwar dem Verbreiter zugerechnet werden, wenn er sie sich zu Eigen gemacht hat.7)

Ob dies der Fall ist, ist jedoch mit der im Interesse der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Presse gebotenen Zurückhaltung zu prüfen.8)

Schon aus der äußeren Form der Veröffentlichung kann sich ergeben, dass lediglich eine fremde Äußerung ohne eigene Wertung oder Stellungnahme mitgeteilt wird 9). Dies ist beispielsweise beim Abdruck einer Presseschau der Fall 10).11)

Entsprechendes gilt für die Veröffentlichung eines klassisch in Frage und Antwort gegliederten Interviews.12)

Jedenfalls macht sich ein Presseorgan die ehrenrührige Äußerung eines Dritten in einem Interview nicht schon mit deren Verbreitung dadurch zu Eigen, dass es sich nicht ausdrücklich davon distanziert.13)

Nach den für die Sinndeutung einer Äußerung geltenden Grundsätzen ist vorderhand zu klären, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist.14)

Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden.15)

Wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, wird grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Im Falle einer derartigen engen Verknüpfung der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung darf der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird.16)

So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem - zu würdigenden - Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird.17)

siehe auch

Verbreiterhaftung

1)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.V.a. Senat, BGHZ 132, 13, 18 f.; BVerfGE 12, 113, 130; 85, 1, 22; BVerfG, NJW 2004, 589, 590; WM 2009, 1706, 1709
2)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.V.a. BVerfG, NJW 2004, 589
3)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; vgl. zu rechtsverletzenden Veröffentlichungen im Anzeigenteil einer Zeitung: BGHZ 59, 76, 80 f.; zum Abdruck von Leserbriefen: Senatsurteil vom 27. Mai 1986 - VI ZR 169/85 - VersR 1986, 1075
4)
vgl. Senat, BGHZ 66, 182, 189 f.; Urteil vom 30. Juni 2009 - VI ZR 210/08 - WRP 2009, 1262, 1264
5)
vgl. OLG Hamburg, AfP 1983, 412; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 4 Rn. 103
6) , 11)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08
7)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.V.a. Senat, BGHZ 132, 13, 18 ff.
8)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.V.a. Senat, BGHZ 66, 182, 189 f.; Urteil vom 30. Juni 2009 - VI ZR 210/08 - aaO
9)
BVerfG, NJW 2004, 590, 591
10)
BVerfG, WM 2009, 1706, 1709
12)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.V.a. BGHZ 132, 13, 20; LG Düsseldorf, AfP 1999, 518
13)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.V.a. BGHZ 66, 182, 189; BVerfGK 10, 485, 492; BVerfG, WM 2009, 1706, 1709; EGMR, Urteile vom 29. März 2001, Beschwerde Nr. 38432/97, Thoma/Luxemburg, Rn. 64; vom 30. März 2004, Beschwerde Nr. 53984/00, Radio France u.a./Frankreich, Rn. 37 ff.; vom 14. Dezember 2006, Beschwerde Nr. 76918/01, Verlagsgruppe News GmbH/Österreich, Rn. 33; aA aber OLG München, ZUM 1985, 632, 634; OLG Hamburg, AfP 2006, 564, 565; ZUM-RD 2007, 476, 477; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 35; unklar Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl., Kap. 39 Rn. 15
14) , 15) , 16) , 17)
BGH, Urteil v. 17.11.2009 - VI ZR 226/08; m.w.N.