Brief, Post- und Fernmeldegeheimnis

Art. 10 GG

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen als Informationen.1)

Post und Telekommunikation bieten die Voraussetzungen für die private Kommunikation zwischen Personen, die nicht am selben Ort sind, und eröffnen so eine neue Dimension der Privatsphäre2). Damit verbunden ist ein Verlust an Privatheit; denn die Kommunizierenden müssen sich auf die technischen Besonderheiten eines Kommunikationsmediums einlassen und sich dem eingeschalteten Kommunikationsmittler anvertrauen. Inhalt und Umstände der Nachrichtenübermittlung sind dadurch dem erleichterten Zugriff Dritter ausgesetzt. Die Beteiligten, die ihre Kommunikation mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln über Distanz unter Nutzung fremder Kommunikationsverbindungswege ausüben, haben nicht die Möglichkeit, die Vertraulichkeit der Kommunikation sicherzustellen.3)

Das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG gewährleistet den Schutz vor jeder Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung der Kommunikationsinhalte oder -daten durch den Staat und begründet zugleich - auch soweit es sich (wie vorliegend) um von Privaten betriebene Telekommunikationsanlagen handelt - eine Schutzpflicht des Staates gegen unbefugte Kenntniserlangung Dritter.4)

Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen als Informationen.5)

Anknüpfungspunkt des Schutzes von Art. 10 Abs. 1 GG ist stets der nichtöffentliche Austausch konkreter Kommunikationsteilnehmer; dagegen unterfällt an die Allgemeinheit gerichtete Kommunikation nicht dieser Vorschrift.6)

Bezogen auf Internetkommunikation hat das Bundesverfassungsgericht etwa Maildienste, Chatdienste und nichtöffentliche Diskussionsforen als vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG erfasst angesehen.7)

Die bloße Verhinderung von Kommunikation fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG.8)

Schutzzweck des Art. 7 EU-Grundrechtecharta ist gleichfalls die Vertraulichkeit der Kommunikation, die an bestimmte Adressaten und nicht an die Öffentlichkeit gerichtet ist.9)

Das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Vertraulichkeit konkreter Telekommunikationsvorgänge und nicht die Vertraulichkeit der mit der Bereitstellung von Telekommunikationsdienstleistungen einhergehenden Umstände. Allgemeine Informationen, die das Telekommunikationsverhalten oder Beziehungen zwischen Diensteanbietern und ihren Kunden betreffen, wie die Zuordnung von Benutzerkennungen zu einzelnen Anschlüssen, fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG. 10)

Art. 10 GG schützt die private Fernkommunikation. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die Vertraulichkeit der individuellen Kommunikation, wenn diese wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf eine Übermittlung durch andere angewiesen ist und deshalb in besonderer Weise einen Zugriff Dritter - einschließlich staatlicher Stellen - ermöglicht. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sind wesentlicher Bestandteil des Schutzes der Privatsphäre; sie schützen vor ungewollter Informationserhebung und gewährleisten eine Privatheit auf Distanz.11)

Art. 10 Abs. 1 GG soll einen Ausgleich für die technisch bedingte Einbuße an Privatheit schaffen und will den Gefahren begegnen, die sich aus dem Übermittlungsvorgang einschließlich der Einschaltung eines Dritten ergeben.12)

Das Fernmeldegeheimnis knüpft an das Kommunikationsmedium an.13)

Das Fernmeldegeheimnis schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs14). Die Beteiligten sollen weitestgehend so gestellt werden wie sie bei einer Kommunikation unter Anwesenden stünden. Das Grundrecht ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken15).16)

Die Reichweite des Grundrechts beschränkt sich daher nicht auf die früher von der Deutschen Bundespost angebotenen Fernmeldedienste, sondern erstreckt sich auf jede Übermittlung von Informationen mit Hilfe der verfügbaren Telekommunikationstechniken. Auf die konkrete Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an17).18)

Fernmeldegeheimnis und Recht auf informationelle Selbstbestimmung [→ Datenschutz] stehen, soweit es um den Schutz der technischen Kommunikationsdaten geht, in einem Ergänzungsverhältnis.19)

Greift Art. 10 GG nicht ein, werden die technischen Kommunikationsdaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutzwürdigkeit der Daten im Zusammenhang mit Telekommunikation Rechnung getragen.20)

In seinem Anwendungsbereich enthält Art. 10 GG bezogen auf den Fernmeldeverkehr eine spezielle Garantie, die die allgemeine Gewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verdrängt21). Soweit der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis die Erlangung personenbezogener Daten betrifft, sind dabei die Maßgaben, die das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt hat22), grundsätzlich auch auf die speziellere Garantie in Art. 10 Abs. 1 GG zu übertragen23).24)

Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses

Der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses umfasst sowohl den Inhalt der Telekommunikation als auch die näheren Umstände des Fernmeldevorgangs, allerdings nur, soweit diese überhaupt auf Kommunikationsinhalte beziehbar sind25).26). Als Folge der Digitalisierung hinterlässt vor allem jede Nutzung der Telekommunikation personenbezogene Spuren, die gespeichert und ausgewertet werden können. Auch der Zugriff auf diese Daten fällt in den Schutzbereich des Art. 10 GG; das Grundrecht schützt auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs27). Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist28). Auch insoweit kann der Staat grundsätzlich keine Kenntnis beanspruchen. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich sein29). Häufigkeit, Dauer und Zeitpunkt von Kommunikationsverbindungen geben Hinweise auf Art und Intensität von Beziehungen und ermöglichen auf den Inhalt bezogene Schlussfolgerungen30).

Die im Herrschaftsbereich eines Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Inhalte und Umstände einer Kommunikation werden außerhalb des laufenden Kommunikationsvorgangs nicht durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützt.31)

Ausnahmen

Die Datenerhebung nach § 100 i StPO greift nicht in den Schutzbereich der Telekommunikationsfreiheit ein. Sie steht nicht im Zusammenhang mit einem Kommunikationsvorgang und betrifft auch keinen Kommunikationsinhalt im Sinne des Art. 10 Abs. 1 GG.32)

siehe auch

Internetrecht → Datenschutz

GG→ Grundrecht

1)
BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03; m.V.a. BVerfGE 67, 157 <171>; 106, 28 <35 f.>; 110, 33 <53> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW 2006, S. 976 <977>; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt <Stand: Dezember 1973>, Art. 10 Rn. 1
2)
vgl. Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Art. 10 Rn. 18 f.
3)
((BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03
4)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers; m.V.a. Pagenkopf in Sachs aaO Art. 10 Rn. 14; Durner in Maunz/Dürig, GG, 73. Lief., Art. 10 Rn. 112 mwN
5)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers: m.V.a. vgl. BVerfGE 67, 157, 171; 106, 28, 35 f.; 110, 33, 53; BVerfG, NJW 2007, 351, 352
6)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers; m.V.a. Durner in Maunz/Dürig aaO Art. 10 Rn. 92; ders, ZUM 2010, 833, 838
7)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers; m.V.a. BVerfGE 120, 274, 340; vgl. auch BVerfGE 113, 348, 383
8)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers; m.V.a. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Art. 10 Rn. 12; Durner, ZUM 2010, 833, 841
9)
BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14 - Störerhaftung des Access-Providers; m.V.a. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Art. 7 Rn. 47; Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl., Art. 7 Rn. 24
10)
BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 - I ZR 193/16 - Benutzerkennung; m.V.a. BVerfGE 130, 151 Rn. 113 ff.
11)
BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03; m.V.a. Gusy, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Art. 10 Rn. 19
12)
BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03; m.V.a. BVerfGE 85, 386 <396>; 106, 28 <36>; 107, 299 <313>
13)
BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03; m.V.a. BVerfGE 100, 313 <363> ; Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Art. 10 Rn. 32 und 40; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 10 Rn. 25
14)
vgl.BVerfGE 67, 157 <172>; 106, 28 <35 f.> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW 2006, S. 976 <978>
15)
vgl. BVerfGE 46, 120 <144> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, a.a.O.
16) , 18) , 19) , 20) , 24) , 32)
BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03
17)
vgl.BVerfGE 106, 28 <36> ; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, a.a.O.
21)
vgl. BVerfGE 67, 157 <171>; 100, 313 <358>; 107, 299 <312>; 110, 33 <53>; 113, 348 <364>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW 2006, S. 976 <979>
22)
vgl. BVerfGE 65, 1 <44 ff.>
23)
vgl. BVerfGE 100, 313 <359>; 110, 33 <53>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, NJW 2006, S. 976 <979 f.>
25)
vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, a.a.O.
26)
BVerfGE, 2 BvR 1345/03; m.V.a. Das Fernmeldegeheimnis schützt in erster Linie die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und damit den Kommunikationsinhalt gegen unbefugte Kenntniserlangung durch Dritte((vgl.BVerfGE 100, 313 <358>; 107, 299 <312>
27)
vgl.BVerfGE 67, 157 <172>; 85, 386 <396>; 100, 313 <358>; 107, 299 <312>; 110, 33 <53>; 113, 348 <364 f.>
28)
BVerfGE 100, 313 <358>; 107, 299 <312 f.>
29)
BVerfGE 100, 313 <358>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni 2006 – 2 BvR 1085/05, 2 BvR 1189/05
30)
BVerfGE, Beschl. v. 22.8.2006, 2 BvR 1345/03; m.V.a. dazuBVerfGE 107, 299 <314, 320>; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, a.a.O.
31)
vgl. BVerfG NJW 2006, 976, 978