Amtsblatt Dezember 2020, A135 → Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 17. Dezember 2020 über die Beweisaufnahme per Videokonferenz durch Prüfungs- und Einspruchsabteilungen
Mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 werden die Regeln 117 und 118 der Ausführungsordnung zum EPÜ mit Wirkung vom 1. Januar 2021 geändert.[ 1 ] Die geänderten Bestimmungen betreffen die Formerfordernisse für die Beweisaufnahme, d. h. die Entscheidung über eine Beweisaufnahme (Regel 117 EPÜ) und die Ladung der zu vernehmenden Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen (Regel 118 EPÜ). Die Änderungen sollen klarstellen, wie Beweisaufnahmen per Videokonferenz in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) durchgeführt werden können.1)
Wird eine mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchgeführt, so muss auch die Beweisaufnahme per Videokonferenz erfolgen. Auf Antrag eines zur Vernehmung vor dem EPA geladenen Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen oder wenn es anderweitig als zweckdienlich erachtet wird, kann die zuständige Prüfungs- oder Einspruchsabteilung (nachstehend: „die Abteilung“) auch dann beschließen, den Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen per Videokonferenz zu vernehmen, wenn die mündliche Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA stattfindet.2)
Die Abteilung gibt in der Entscheidung über die Beweisaufnahme (Regel 117 EPÜ) an, ob die Vernehmung der Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen per Videokonferenz erfolgt.3)
Beteiligte, Zeugen oder Sachverständige, die zur Vernehmung per Videokonferenz geladen sind, werden aufgefordert, eine E-Mail-Adresse anzugeben, über die das EPA vor der Beweisaufnahme Verbindungsdaten und andere technische Informationen mitteilen kann. Ferner werden sie um Angabe einer Telefonnummer gebeten, unter der sie kontaktiert werden können, falls es technische Probleme gibt oder die Verbindung zur Videokonferenz nicht zustande kommt. Diese Informationen sind von der Akteneinsicht ausgeschlossen und werden den Beteiligten nicht zur Verfügung gestellt.4)
Von den zur Vernehmung geladenen Beteiligten, Zeugen und Sachverständigen wird erwartet, dass sie über eigene oder von Dritten bereitgestellte Geräte mit ausreichend stabiler Internetverbindung an der Videokonferenz teilnehmen und dass sie sich an einem Ort befinden, an dem sie ungestört und ohne Unterbrechungen aussagen können. Detaillierte Informationen über die vom EPA genutzten Technologien und Tools sowie über die technischen Mindestanforderungen sind auf der EPA-Website abrufbar und werden den Beteiligten, Zeugen und Sachverständigen vor der Beweisaufnahme mitgeteilt. Diese Informationen können von Zeit zu Zeit aktualisiert werden.5)
Zu der in der Ladung angegebenen Zeit und zu jeder anderen vom Vorsitzenden während der mündlichen Verhandlung angegebenen Zeit muss der Beteiligte, Zeuge oder Sachverständige wie in der Ladung angegeben eine Verbindung zur Videokonferenz herstellen und verbunden bleiben, auch wenn die Abteilung ihn nicht sofort zur Videokonferenzsitzung zulässt. Hat der Beteiligte, Zeuge oder Sachverständige keine Verbindung zur Videokonferenz, wenn die Abteilung ihn zulassen möchte, kontaktiert das EPA ihn per Telefon und/oder E-Mail und fordert ihn auf, eine Verbindung herzustellen.6)
Darüber hinaus dürfen sich Zeugen und Sachverständige, die zu einer Vernehmung per Videokonferenz geladen sind, solange nicht als Mitglied der Öffentlichkeit mit der Videokonferenz verbinden oder anderweitig daran teilnehmen bzw. bei der mündlichen Verhandlung zuhören oder Informationen darüber erhalten, bis sie entweder entlassen oder davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie nicht vernommen werden.7)
Unabhängig davon, von wo aus ein vor dem EPA zu vernehmender Beteiligter, Zeuge oder Sachverständiger an der Videokonferenz teilnimmt, darf er keinerlei Weisung, Hilfe oder Unterstützung in Bezug auf den Inhalt seiner Aussage annehmen oder sich in irgendeiner Weise von einer anderen Person beeinflussen lassen. Wenn die Abteilung es für zweckmäßig hält, kann sie das zuständige Gericht im Wohnsitzstaat des jeweiligen Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen um Wiederholung der Vernehmung unter Eid oder in gleichermaßen verbindlicher Form ersuchen (Regel 120 (2) EPÜ).8)
Will die Abteilung dem Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen ausgewählte Dokumente aus der Akte zeigen, so wird der betreffenden Person ein Link zu dem Dokument im Europäischen Patentregister zur Verfügung gestellt. Alternativ kann das Dokument per E-Mail an die von der Person angegebene E-Mail-Adresse geschickt werden; in diesem Fall werden die Dokumente parallel per E-Mail an die an der mündlichen Verhandlung teilneh-menden Beteiligten geschickt.9)
Ein Beteiligter, Zeuge oder Sachverständiger kann zur Veranschaulichung während seiner Aussage entweder Zeichnungen auf Papier anfertigen und sie in die Kamera halten oder die Whiteboard-Funktion der Videokonferenztechnik nutzen, sofern verfügbar.10)
Ein zur Vernehmung vor das EPA geladener Zeuge hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für Verdienstausfall; Sachverständige haben Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit, nachdem sie ihre Pflicht oder ihren Auftrag erfüllt haben (Regel 122 (3) EPÜ). Zeugen und Sachverständige haben außerdem Anspruch auf Erstattung von Reise- und Aufenthaltskosten nach Regel 122 (2) EPÜ; dies gilt auch in Bezug auf Reisen an den Ort, von dem aus der Zeuge oder Sachverständige an der als Videokonferenz durchgeführten mündlichen Verhandlung teilnimmt, vorausgesetzt, eine solche Reise ist notwendig.11)
Dass das EPA Beweisaufnahmen per Videokonferenz durchführen und ein Beteiligter, Zeuge oder Sachverständiger eine Vernehmung per Videokonferenz beantragen kann, lässt das Recht eines Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen unberührt, nach Regel 120 (1) EPÜ die Vernehmung durch ein zuständiges Gericht in seinem Wohnsitzstaat zu beantragen.12)
Ein zur Vernehmung während einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA geladener Beteiligter, Zeuge oder Sachverständiger kann innerhalb des in der Ladung angegebenen Zeitraums beantragen, dass er per Videokonferenz vernommen wird. Ob einem solchen Antrag stattgegeben wird, liegt im Ermessen der Abteilung.13)
Eine Beweisaufnahme durch Einnahme des Augenscheins (Artikel 117 (1) f) EPÜ) kann in Bezug auf jeden Gegenstand angeordnet und durchgeführt werden, der in den Räumlichkeiten des EPA zugänglich gemacht werden kann. Beschließt die Abteilung eine Beweisaufnahme durch Einnahme des Augenscheins in Form einer Videokonferenz, so fordert sie den Beteiligten, der die Augenscheinseinnahme beantragt hat, dazu auf, den Gegenstand in den Räumlichkeiten des EPA zugänglich zu machen, sofern der Gegenstand nicht bereits zugänglich ist.14)
Die Abteilung weist eines ihrer Mitglieder an, die Augenscheinseinnahme durchzuführen, erforderlichenfalls mit der notwendigen Unterstützung durch die Dienste des EPA.15)
Die Augenscheinseinnahme wird genauso durchgeführt, als ob die Beweisaufnahme in Anwesenheit der Beteiligten erfolgen würde. Die maßgeblichen Teile, Elemente, Bewegungen oder sonstigen Merkmale des in Augenschein zu nehmenden Gegenstands sind so vor einer Kamera zu zeigen, dass die Beteiligten und die übrigen Teilnehmer der mündlichen Verhandlung sie auf dem Bildschirm sehen können. Das Mitglied der Abteilung, das die Augenscheinseinnahme durchführt, kann von den anderen Mitgliedern, Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen veranlasst werden, den Gegenstand so zu präsentieren, dass die Teilnehmer einen visuellen Eindruck von den relevanten technischen Merkmalen bekommen.16)
Eine Einnahme des Augenscheins wird nicht per Videokonferenz durchgeführt, wenn die Beweisaufnahme die Haptik, Textur, Handhabung oder ein anderes Merkmal betrifft, das nicht angemessen per Videokonferenz übermittelt werden kann.17)