Freihaltebedürfnis an Hoheitszeichen und sonstigen Zeichen von öffentlichem Interesse

§ 3 (1) Nr. 4 DesignG

Vom Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen sind Designs, die eine missbräuchliche Benutzung eines der in Artikel 6ter der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums aufgeführten Zeichen oder von sonstigen Abzeichen, Emblemen und Wappen von öffentlichem Interesse darstellen.

Pariser Verbandsübereinkunft

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GeschmMG sind Muster vom Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen, die eine missbräuchliche Benutzung eines der in Artikel 6ter der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums aufgeführten Zeichen oder von sonstigen Abzeichen, Emblemen und Wappen von öffentlichem Interesse darstellen. Mit dieser Bestimmung wird Art. 11 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vom 13. Oktober 19981) umgesetzt. Sie soll es erleichtern, Zeichen von öffentlichem Interesse von einer Monopolisierung durch das Geschmacksmuster auszuschließen, nachdem die Abwehr der Benutzung solcher Zeichen nach bisherigem Recht (§ 7 Abs. 2 GeschmMG in der bis zum 31. Mai 2004 geltenden Fassung) auf die Generalklausel eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten beschränkt war.2)

Bei den in Art. 6ter PVÜ aufgeführten Zeichen, auf die § 3 Abs. 1 Nr. 4 GeschmMG verweist, handelt es sich im wesentlichen (Art. 6ter Abs. 1 Buchst. a) um Wappen, Flaggen und „andere staatliche Hoheitszeichen“.3)

Unter letzteren werden Symbole verstanden, die ein Staat als Hinweis auf seine Staatsgewalt öffentlich und autoritativ verwendet.4)

Dass damit auch gesetzliche Zahlungsmittel gemeint sind, ist bei der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 6 MarkenG, die ebenfalls Hoheitszeichen von Eintragung ausschließt, herrschende Ansicht.5)

Da der markenrechtliche Ausschluss von Hoheitszeichen auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. h der Markenrichtlinie (AblEU Nr. L 299 v. 8.11.2008, BlPMZ 2009, 4) zurückgeht, der wiederum auf Art. 6ter PVÜ Bezug nimmt6), ist kein Grund gegeben, dies beim geschmacksmuster-rechtlichen Ausschluss von Hoheitszeichen nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GeschmMG anders zu beurteilen.7)

Die für den Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 4 GeschmMG weiter erforderliche missbräuchliche Benutzung der Hoheitszeichen bzw. Zeichen von öffentlichem Interesse durch das Geschmacksmuster wird anzunehmen sein, wenn der irreführende Anschein eines Bezugs des Musters zu staatlichen Stellen oder eine Ausgabe durch solche Stellen erweckt wird.8)

Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, bei denen darauf abzustellen ist, wie das Hoheitszeichen im Rahmen der Mustergestaltung konkret verwendet ist.9)

Entscheidend ist hierbei das Muster, wie es durch § 37 Abs. 1 GeschmMG geschützt ist, demnach nur hinsichtlich der Erscheinungsmerkmale, die in der Anmeldung sichtbar wiedergegeben sind. Besteht insoweit Identität oder eine zumindest weitgehende Übereinstimmung zwischen Hoheitszeichen und Geschmacksmuster, liegt eine missbräuchliche Übernahme vor, weil durch ein im Privatinteresse gewährtes Monopol in den Schutzbereich eines im öffentlichen Interesse geschaffenen Hoheitszeichens eingegriffen würde. Die identische oder nahezu identische Übernahme hoheitlicher Zeichen ist auch ohne Hinzutreten weiterer zur Begründung von Missbräuchen geeigneter Umstände missbräuchlich, weil die hoheitliche Zweckbestimmung der Zeichen eine Verwendung zur Verfolgung einzelner privater Interessen ausschließt.10)

Ein angemeldetes Muster, das nahezu ausschließlich aus der Abbildung einer 100 Euro-Banknote besteht, ist wegen missbräuchlicher Benutzung eines Hoheitszeichens bzw. sonstigen Zeichens von öffentlichem Interesse nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GeschmMG vom Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen. Der mögliche Gebrauchszweck des Musters (hier: Aufdruck auf Folienbeutel, der zur Aufnahme von Flüssigkeiten bestimmt ist) ist, auch wenn hierdurch ein hinreichender Abstand zum hoheitlichen Zeichen gewahrt wäre, bei der Frage der Missbräuchlichkeit nicht zu berücksichtigen, soweit dieser nicht im Muster selbst abgebildet ist.11)

Eine missbräuchliche Benutzung eines Hoheitszeichens oder dessen Nachahmung kann ausgeschlossen sein, wenn das Design selbst das Hoheitszeichen oder dessen Nachahmung zusammen mit weiteren Merkmalen zeigt, die jeden amtlichen Anschein zerstreuen.12)

Erschöpft sich dagegen ein Design in der Wiedergabe eines Hoheitszeichens oder einer Nachahmung hiervon, ist auch von einer missbräuchlichen Benutzung auszugehen; unbedenkliche Gebrauchszwecke des Designs können nur berücksichtigt werden, wenn sie im Design selbst Niederschlag gefunden haben.13)

Der in Art. 6ter Abs. 1 PVÜ verwendete Begriff der „Nachahmung im heraldischen Sinn“ ist im Hinblick auf die relative Unbestimmtheit der dort genannten Zeichen nicht zu eng auszulegen.14)

siehe auch

§ 3 (1) DesignG → Ausschluss vom Geschmacksmusterschutz

1)
ABlEG Nr. L 289 v. 28.10.1998, 28 ff., BlPMZ 1999, 24 und 2004, 260
2)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke; m.V.a. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Geschmacksmuster-rechts BlPMZ 2004, 222, 229 re. Sp.
3) , 10) , 11)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke
4)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke; m.V.a. Eichmann/von Falckenstein, GeschmMG, 4. Aufl., § 3 Rdn. 23; ebenso zu § 8 Abs. 2 Nr. 6 MarkenG Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 8 Rdn. 645, jeweils m. w. N.; vgl. auch BPatG Mitt. 2001, 229 - Polizei-Effekt-Lackierung
5)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke; m.V.a. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 8 Rdn. 645; BGH GRUR 2003, 707 Tz. 15 - DM-Tassen; GRUR 2003, 705 Tz. 18 - Euro-Billy
6)
vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 8 Rdn. 629
7)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke; m.V.a. Eichmann/von Falckenstein, a. a. O., Rdn. 23; noch offen gelassen in den Senatsbeschlüssen BPatG GRUR 2002, 337 - Schlüsselanhänger; BPatGE 44, 148 - Tassen mit Gelddarstellungen
8)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke; m.V.a. die in Art. 6ter Abs. 1 Buchst. c PVÜ enthaltene Bestimmung, wonach die Verbandsländer nicht gehalten sind, die Bestimmungen anzuwenden, falls die Benutzung oder Eintragung offenbar nicht geeignet ist, das Publikum über das Bestehen einer Verbindung zwischen dem Benutzer und der Organisation irrezuführen
9)
BPatG, Urteil v. 21. August 2012 - 10 W (pat) 701/09 - Folienbeutelaufdrucke; m.V.a. BPatG GRUR 2002, 337 - Schlüsselanhänger; Eichmann/von Falckenstein, a. a. O., § 3 Rdn. 26 ff.
12)
BPatG, Beschl. v. 22. Januar 2015 - 30 W (pat) 703/13 - DE-Flagge; im Anschluss an BGH GRUR 2003, 705 – Euro-Billy; GRUR 2003, 707 – DM-Tassen; GRUR 2003, 708 – Schlüsselanhänger
13) , 14)
BPatG, Beschl. v. 22. Januar 2015 - 30 W (pat) 703/13 - DE-Flagge