====== Verfassungsmäßigkeit des Anwaltszwangs ====== Es ist mit der Verfassung vereinbar [-> [[Grundrecht:Verfassungsmäßigkeit]]], dass die Anrufung der Gerichte von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig gemacht wird, zu denen, insbesondere in der Revisionsinstanz, auch die ordnungsgemäße Vertretung durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten gehören kann.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BVerfG, Beschluss vom 10. September 1991 - 1 BvR 1076/91, juris Rn. 5; EGMR, NJW 2008, 2317 Rn. 128; BGH, Beschluss vom 27. Januar 2011 - V ZB 297/10, AnwBl 2011, 397 Rn. 3; Beschluss vom 14. Januar 2016 - IX ZB 76/15, juris Rn. 1)) Eine in jedem Einzelfall - insbesondere auch mit Blick auf die Qualifikation des Bevollmächtigten - durchzuführende Prüfung der Postulationsfähigkeit führte zudem zu erheblicher Rechtsunsicherheit und einer unverhältnismäßigen Belastung des Gerichts, die außer Verhältnis zu dem vom Kläger verfolgten Zweck stünde, sich in besonderen Einzelfällen vor dem Bundesgerichtshof selbst vertreten zu dürfen.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20)) Auch bei der Regelung der Postulationsfähigkeit darf der Gesetzgeber von einer typisierenden Betrachtung ausgehen.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BVerfG, NJW 2001, 1561 [juris Rn. 6]; BAGE 152, 34 Rn. 35; Jacoby in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 78 Rn. 14)) Insoweit gilt für die Beschränkung der Postulationsfähigkeit gemäß § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO nichts anderes als für die Beschränkung der Postulationsfähigkeit in Anwaltsprozessen gemäß § 78 Abs. 1 ZPO im Allgemeinen.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2000 - X ZB 11/00, NJW 2000, 3356, 3357 [juris Rn. 9]; Zöller/Althammer aaO § 78 Rn. 5)) Die [[Grundrecht:Verfassungsmäßigkeit]] der Singularzulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof (vgl. §§ 164 ff. BRAO), deren prozessuale Kehrseite die Regelung in § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO darstellt, ist vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1982((BVerfG, Beschluss vom 24. März 1982 - 1 BvR 278/75, juris)), im Jahr 2002 ((BVerfGE 106, 216)), im Jahr 2008((BVerfGK 13, 354)) und im Jahr 2017((BVerfG, NJW 2017, 2670 Rn. 12)) mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG bestätigt worden.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20)) Der Gesetzgeber hat mit § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO und der korrespondierenden Vorschrift des § 172 BRAO eine abstrakt generelle Regelung getroffen. Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Im Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen lässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber ein erhebliches Maß an Freiheit und räumt ihm bei der Festlegung der zu verfolgenden Ziele sowie der Bestimmung der zur Verfolgung seiner Ziele geeigneten und erforderlichen Maßnahmen einen Einschätzungsspielraum und eine weite Gestaltungsfreiheit ein. Der Gesetzgeber darf dabei Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BVerfGE 81, 156, 189 und 192 f. [juris Rn. 129 und 137] mwN; BVerfG, NJW 2001, 1561 [juris Rn. 6])) Dem Kläger ist es möglich und zumutbar, sich eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zu bedienen. Der Eingriff in die Freiheitsrechte des Klägers ist ebenfalls nicht schwerwiegend, weil dem Kläger ausreichend Möglichkeiten bleiben, sich im Rahmen seiner beruflichen Qualifikation zu betätigen, zumal er seine Zulassung bei dem Bundesgerichtshof nicht generell anstrebt, sondern nur in dem speziellen Fall der Selbstvertretung in einem vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionsverfahren.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20)) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann aus dem Umstand, dass es bei den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes keine (im Wesentlichen) nur dort vertretungsberechtigte Rechtsanwaltschaft gibt, nicht gefolgert werden, dass auf eine besondere Rechtsanwaltschaft ohne Nachteile für wesentliche Belange des Gemeinwohls auch beim Bundesgerichtshof verzichtet werden könnte. Der Gesetzgeber hat vielmehr davon abgesehen, bei den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes eine singular zugelassene Anwaltschaft vorzusehen, weil eine derartige Spezialisierung dort - auch für solche Rechtsanwälte, die im jeweiligen Bereich als Fachanwälte tätig sind - wirtschaftlich nicht tragbar erschien. Die unterschiedlichen Regelungen der Postulationsfähigkeit bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes sind daher durch einen Sachgrund gerechtfertigt. Dass sich diese Sachlage zwischenzeitlich maßgeblich geändert hat, trägt der Kläger nicht vor und ist auch nicht ersichtlich. Die fehlende Singularzulassung bei den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes stellt die mit der Regelung in § 78 Abs. 1 Satz 3 GG verfolgten Gemeinwohlbelange nicht in Frage.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BVerfGE 106, 216, 220 [juris Rn. 16]; BVerfGK 13, 354, 367 [juris Rn. 49])) ===== siehe auch ===== 100 (1) GG -> [[Grundrecht:Normenkontrolle]] -> [[Anwaltszwang]]