====== Anwaltszwang vor dem Bundesgerichtshof ====== **§ 78 (1) S. 4 ZPO** Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Parteien durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. -> [[Verfassungsmäßigkeit des Anwaltszwangs]] \\ -> [[Bei dem Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwälte]] \\ Im Rechtsbeschwerdeverfahren besteht Anwaltszwang((§ 78 Abs. 1 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 21.3.2002 - IX ZB 18/02, NJW 2002, 2181)). Dies gilt auch für eine in diesem Verfahren erhobene Anhörungsrüge.((BGH, Beschl. v. 18.5.2005 - VIII ZB 3/05, NJW 2005, 2017, m.w.N.)) Der Zweck des qualifizierten Anwaltszwangs nach § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO besteht darin, eine geordnete Rechtspflege durch spezialisierte Anwälte mit besonderer Erfahrung und Kompetenz sicherzustellen.((BGH, Urteil vom 6. Mai 2014 - X ZR 11/14; m.V.a. BGH, Beschluss vom 4. März 2002 AnwZ 1/01, BGHZ 150, 70, 81)) Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO müssen sich die Parteien vor dem Bundesgerichtshof durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Nur ein solcher ist bei dem Bundesgerichtshof postulationsfähig. Die Postulationsfähigkeit ist Prozesshandlungsvoraussetzung und muss im Zeitpunkt der Vornahme der Prozesshandlung gegeben sein.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BGH, Beschluss vom 26. April 2012 - VII ZB 83/10, NJW-RR 2012, 1139 Rn. 11 mwN)) Fehlt es an der [[Postulationsfähigkeit]], ist die Prozesshandlung unwirksam.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BGH, Beschluss vom 4. Februar 1992 - X ZB 18/91, NJW 1992, 1700, 1701 [juris Rn. 6]; Beschluss vom 18. November 2014 - II ZR 1/14, NJW 2015, 557 Rn. 5; Zöller/Althammer, ZPO, 33. Aufl., § 78 Rn. 11 f.)) Die von einem nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt vorgenommene Prozesshandlung kann zwar durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigten heilend genehmigt werden, doch muss die Genehmigung bei fristgebundenen Prozesshandlungen vor Fristablauf erfolgen.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2006 - VI ZB 20/06, NJW-RR 2007, 278 Rn. 4 mwN)) Der Bundesgerichtshof hat es für zulässig angesehen, dass der Kläger und Revisionsbeklagte die Klage durch seinen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zurücknimmt. Im Falle einer Klagerücknahme müsse sich der Revisionsanwalt mit der Sache selbst überhaupt nicht befassen und auch keine für die Fortführung des Revisionsverfahrens bedeutsame Prozesshandlung vornehmen. Es sei deshalb kein zwingender Grund dafür ersichtlich, die Befugnis des beim Berufungsgericht zugelassenen Anwalts zur Klagerücknahme, die er kraft der ihm gemäß § 81 ZPO zu-stehenden Vollmacht bis zur Einlegung der Revision erklären könne, mit dem Augenblick enden zu lassen, in dem die beklagte Gegenpartei Revision eingelegt habe.((BGH, Urteil vom 6. Mai 2014 - X ZR 11/14; m.V.a. BGH, Beschluss vom 10. Juli 1954 III ZR 229/53, BGHZ 14, 210, 211)) Ebenso hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Aufnahme eines beim Bundesgerichtshof durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder durch Tod einer Partei unterbrochenen Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde durch den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Revisionsbeklagten wirksam erklärt werden könne, da hierdurch lediglich der vor der Unterbrechung bestehende Verfahrensstand hergestellt werde und daher der Revisionsbeklagte, ohne Rechtsnachteile zu erleiden, mit der Bestellung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalts bis zur Entscheidung über die Zulassung der Revision zuwarten könne.((BGH, Urteil vom 6. Mai 2014 - X ZR 11/14; m.V.a. BGH, Beschluss vom 2. November 2011 X ZR 94/11, NJW-RR 2012, 8; entsprechend zum früheren Verfahren über die Annahme der Revision: Beschluss vom 8. Februar 2001 VII ZR 477/00, BGHZ 146, 372, 373 = NJW 2001, 1581)) Zwar unterscheidet sich das Anerkenntnis nach § 307 Satz 1 ZPO von diesen Prozesshandlungen dadurch, dass es den prozessualen Anspruch betrifft und auf den Erlass eines Sachurteils gerichtet ist. Es beendet das Verfahren nicht unmittelbar mit der Folge, dass dem Gericht wie bei einer Klagerücknahme, die Möglichkeit zu entscheiden, genommen ist. Das Gericht ist lediglich davon enthoben, den ihm ursprünglich vorgelegten Streitstoff zu überprüfen((BGH, Urteil vom 8. Oktober 1953 III ZR 206/51, BGHZ 10, 333, 335)). Das Anerkenntnis ist damit von seiner Rechtsnatur her vielmehr mit dem sein prozessuales Gegenstück bildenden Verzicht gemäß § 306 ZPO vergleichbar.((vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., Vor §§ 306, 307 Rn. 1)). Insoweit hat der Bundesgerichtshof zwar entschieden, dass die von den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Bundesgerichtshof abgegebene Verzichtserklärung als prozessual unwirksam anzusehen ist (BGH, Urteil vom 16. Juni 1987 X ZR 102/85, NJW 1988, 210). Diese Entscheidung steht indessen der Annahme eines wirksam erklärten Anerkenntnisses im Streitfall nicht entgegen.((BGH, Urteil vom 6. Mai 2014 - X ZR 11/14)) Jedenfalls dann, wenn das Anerkenntnis zu einem Zeitpunkt erklärt wird, in dem der Kläger seine Revision noch nicht begründet und gemäß § 555 Abs. 3 ZPO Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils gestellt hat, sprechen prozessökonomische Erwägungen dafür, die Erklärung durch die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei als ausreichend und wirksam anzusehen.((BGH, Urteil vom 6. Mai 2014 - X ZR 11/14)) Die Verfassungsmäßigkeit [-> [[Verfassungsmäßigkeit des Anwaltszwangs]]] der Singularzulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof (vgl. §§ 164 ff. BRAO), deren prozessuale Kehrseite die Regelung in § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO darstellt, ist vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1982((BVerfG, Beschluss vom 24. März 1982 - 1 BvR 278/75, juris)), im Jahr 2002 ((BVerfGE 106, 216)), im Jahr 2008((BVerfGK 13, 354)) und im Jahr 2017((BVerfG, NJW 2017, 2670 Rn. 12)) mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG bestätigt worden.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20)) Der Gesetzgeber hat mit § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO und der korrespondierenden Vorschrift des § 172 BRAO eine abstrakt generelle Regelung getroffen. Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Im Zusammenhang mit Berufsausübungsregelungen lässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber ein erhebliches Maß an Freiheit und räumt ihm bei der Festlegung der zu verfolgenden Ziele sowie der Bestimmung der zur Verfolgung seiner Ziele geeigneten und erforderlichen Maßnahmen einen Einschätzungsspielraum und eine weite Gestaltungsfreiheit ein. Der Gesetzgeber darf dabei Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund stellen.((BGH, Beschl. v. 23. Juli 2020 - I ZR 73/20; m.V.a. BVerfGE 81, 156, 189 und 192 f. [juris Rn. 129 und 137] mwN; BVerfG, NJW 2001, 1561 [juris Rn. 6])) ===== siehe auch ===== § 78 (1) ZPO -> [[Anwaltsprozess]]