====== Vernichtung des Werks ====== Die Vernichtung eines urheberrechtlich geschützten Werks stellt eine "andere Beeinträchtigung" im Sinne des § 14 UrhG dar. Bei der Prüfung, ob die Vernichtung geeignet ist, die berechtigten persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers am Werk zu gefährden, ist eine umfassende Abwägung der Interessen des Urhebers und des Eigentümers des Werks vorzunehmen.((BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17)) Nach seinem Wortlaut und seiner Systematik erfasst § 14 UrhG [-> [[Entstellung des Werkes]]] die Vernichtung des Werks. Zwar mag die in § 14 UrhG zunächst genannte Entstellung den Fortbestand des Werks voraussetzen. Bei der Entstellung handelt es sich aber nur um einen besonderen Fall der in § 14 UrhG weiter genannten Beeinträchtigung des Werks. Das allgemeine Sprachverständnis steht der Annahme nicht entgegen, dass es sich bei der Vernichtung um einen weiteren Fall der Beeinträchtigung des Werks handelt. Soweit gegen die Anwendung des § 14 UrhG auf die Werkvernichtung eingewandt wird, schon dem Wortsinn nach stelle eine Vernichtung keine Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift dar, weil die Beeinträchtigung ein Weniger gegenüber der Vernichtung sei((Schmelz, GRUR 2007, 565, 568)), liegt dem ein zu enges Wortverständnis zugrunde. Ist die in § 14 UrhG genannte andere Beeinträchtigung der tatbestandliche Oberbegriff und die gleichfalls genannte Entstellung lediglich ein Anwendungsfall dieses Oberbegriffs, steht das Sprachverständnis der Einbeziehung der Vernichtung in den Begriff der sonstigen Beeinträchtigung nicht entgegen.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18)) Die Gesetzgebungsmaterialien stehen der Annahme nicht entgegen, dass nach § 14 UrhG die Vernichtung eines Werks verboten sein kann. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Urheberrechtsgesetzes heißt es zwar, es erscheine nicht angebracht, in das Gesetz ein Vernichtungsverbot für Werke der bildenden Künste aufzunehmen, soweit an ihrer Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht; die Erhaltung kulturell wertvoller Kunstwerke sei nicht Aufgabe des privatrechtlichen Urheberrechts, sondern des zum Gebiet des öffentlichen Rechts gehörenden Denkmalschutzes (BT-Drucks. IV/270, S. 45). Dieser Begründung ist jedoch allein zu entnehmen, dass ein öffentliches Interesse an der Erhaltung eines Werks der bildenden Künste nach § 14 UrhG kein Vernichtungsverbot begründen soll. Damit ist nicht gesagt, dass auch die durch § 14 UrhG geschützten geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk kein Vernichtungsverbot rechtfertigen können.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18)) Der Zweck des § 14 UrhG, die berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk zu schützen, spricht dafür, dass der Urheber nach dieser Bestimmung grundsätzlich auch eine Vernichtung seines Werks verbieten kann. Das Urheberpersönlichkeitsrecht kann durch die Vernichtung eines Werks in besonderer Weise betroffen sein, weil die Vernichtung das Fortwirken des Werks (als Ausdruck der Persönlichkeit seines Schöpfers) vereiteln oder erschweren kann. Durch die Vernichtung wird das geistige Band zwischen dem Urheber und seinem Werk durchschnitten.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18; m.V.a. Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 674)) Weiter ist zu beachten, dass der potentielle Interessenkonflikt zwischen dem Eigentümer eines Werks und seinem Urheber grundrechtlichen Wertungen unterliegt. Ersterer kann sich auf sein Grundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG berufen, wenn er mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren (§ 903 Satz 1 BGB), es etwa vernichten möchte. Für den Urheber streitet die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbürgte Kunstfreiheit, die nicht nur den Schaffensprozess ("Werkbereich"), sondern auch die für die Begegnung mit der Kunst erforderliche Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks ("Wirkbereich") schützt((vgl. BVerfGE 30, 173, 189 [juris Rn. 49] - Mephisto; BVerfGE 119, 1, 21 f. [juris Rn. 63] - Esra, mwN)). Diesen grundrechtlichen Wertungen kann im Falle der Vernichtung eines Werks Rechnung getragen werden, wenn die Vernichtung als Beeinträchtigung des Werks von § 14 UrhG erfasst und damit die im Tatbestandsmerkmal der "berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen" des Urhebers angelegte Interessenabwägung eröffnet ist.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18)) Im Falle der Vernichtung eines Werks ist bei der Interessenabwägung auf Seiten des Urhebers insbesondere zu berücksichtigen, ob es sich bei dem vernichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werks handelte, oder ob von dem Werk weitere Vervielfältigungsstücke existieren. Ferner ist zu berücksichtigen, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es ein Gegenstand der zweckfreien Kunst ist oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18; vgl. Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 674; Schack, Kunst und Recht aaO Rn. 185)) Im Rahmen der Interessenabwägung kann sich weiter auswirken, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder - wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist - Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18; m.V.a. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., S. 220; Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 674 f.)) Auf Seiten des Eigentümers können, etwa wenn ein Bauwerk oder Kunst in oder an einem solchen betroffen ist, bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung von Bedeutung sein((vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2008 - I ZR 166/05, GRUR 2008, 984 Rn. 38 f. = WRP 2008, 1440 - St. Gottfried; Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim aaO § 14 UrhG Rn. 39 f.; Schulze in Dreier/Schulze aaO § 14 Rn. 28; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht aaO Rn. 399)). Bei Werken der Baukunst oder mit Bauwerken unlösbar verbundenen Kunstwerken werden die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Gebäudes den Interessen des Urhebers am Erhalt des Werks in der Regel vorgehen, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nicht s anderes ergibt.((BGH, Urt. v. 21. Februar 2019 - I ZR 15/18; m.V.a. Schack, Kunst und Recht aaO Rn. 189). ===== siehe auch ===== § 14 UrhG -> [[Entstellung des Werks]]