====== Berichterstattung über Tagesereignisse ====== **§ 50 UrhG** Zur Berichterstattung über [[Tagesereignisse]] durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. § 19a UrhG -> [[Recht der öffentlichen Zugänglichmachung]] -> [[Tagesereignisse]] \\ -> [[Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung über Tagesereignisse]] \\ -> [[Interesse an einer Geheimhaltung des Inhalts eines Werks]] \\ Nach § 50 UrhG ist zur Berichterstattung über [[Tagesereignisse]] durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.((BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 - I ZR 127/09 - Kunstausstellung im Online-Archiv)) Für den Fall, dass ein Werk oder ein Teil eines Werkes nach § 50 UrhG vervielfältigt oder öffentlich wiedergegeben wird, besteht nach Maßgabe von § 63 Abs. 1 und 2 Satz 1 UrhG [-> [[Quellenangabe]]] die Verpflichtung zur Angabe der Quelle.((BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 - I ZR 139/15 - Afghanistan Papiere)) Die Schrankenregelung des § 50 UrhG dient der Meinungs- und Pressefreiheit [Art 5 (1) S. 1 GG -> [[Grundrecht:Meinungsäußerungsfreiheit]]; Art 5 (1) S. 2 GG -> [[Grundrecht:Presse- und Rundfunkfreiheit]]] sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit.((BGH, Urt. v. 20. Dezember 2007 - I ZR 42/05 - TV-Total; m.V.a. BGH GRUR 2002, 1050 f. - Zeitungsbericht als Tagesereignis)) Liegen die Voraussetzungen der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG vor, ist die [[Vervielfältigungsrecht|Vervielfältigung]] (§ 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG) und die [[Recht der öffentlichen Wiedergabe|öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung]] (§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2, § 19a UrhG) zulässig. Liegen die Voraussetzungen der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG vor, ist auch ein Eingriff in das Erstveröffentlichungsrecht (§ 12 UrhG) gerechtfertigt.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II; BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15 - Afghanistan Papiere II; m.w.N.)) Unter einem [[Tagesereignisse|Tagesereignis]] ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedes zur Zeit des Eingriffs in das Urheberrecht aktuelle Geschehen zu verstehen, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist, wobei ein Geschehen so lange aktuell ist, wie ein Bericht darüber von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II; m.V.a. BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 285/99, GRUR 2002, 1050, 1051 [juris Rn. 19] = WRP 2002, 1302 - Zeitungsbericht als Tagesereignis; Urteil vom 20. Dezember 2007 - I ZR 42/05, BGHZ 175, 135 Rn. 48 - TV-Total; Urteil vom 5. Oktober 2010 - I ZR 127/09, GRUR 2011, 415 Rn. 11 f. = WRP 2011, 609 - Kunstausstellung im Online-Archiv; Urteil vom 17. Dezember 2015 - I ZR 69/14, GRUR 2016, 368 Rn. 14 = WRP 2016, 485 - Exklusivinterview)) Die in § 50 und § 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 UrhG enthaltenen Regelungen dienen der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c [-> [[Ausnahmen und Beschränkungen]]] der Richtlinie 2001/29/EG [-> [[Urheberrechtsrichtlinie]]] und sind deshalb richtlinienkonform auszulegen [-> [[EU:Richtlinienkonforme Auslegung]]].((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15 - Afghanistan Papiere II)) Nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG [-> [[Ausnahmen und Beschränkungen]]] können die Mitgliedstaaten für die Nutzung von Werken in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse in Bezug auf das in Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene Vervielfältigungsrecht und das in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehene Recht der öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung Ausnahmen und Beschränkungen vorsehen, soweit es der Informationszweck rechtfertigt und sofern - außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist - die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15 - Afghanistan Papiere II)) Eine Berichterstattung über Tagesereignisse ist nur dann gemäß § 50 UrhG privilegiert, wenn sie verhältnismäßig ist [-> [[Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung über Tagesereignisse]]], das heißt mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entspricht.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II)) Unter einer Berichterstattung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG [-> [[Ausnahmen und Beschränkungen]]] ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine Handlung zu verstehen, mit der Informationen über ein Tagesereignis bereitgestellt werden. Die bloße Ankündigung eines Tagesereignisses stellt noch keine Berichterstattung über das Ereignis dar, eine eingehende Analyse des Ereignisses ist jedoch nicht erforderlich.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 139/15 - Afghanistan Papiere II; m.V.a. EuGH, GRUR 2019, 940 Rn. 66 - Spiegel Online)) Das Eingreifen der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG setzt nicht voraus, dass es dem Berichterstatter unmöglich oder unzumutbar war, vor der Berichterstattung die Zustimmung des Rechtsinhabers einzuholen.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II; m.V.a. Aufgabe von BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - I ZR 69/14, GRUR 2016, 368 Rn. 16 - Exklusivinterview)) Der Bundesgerichtshof ist allerdings bislang davon ausgegangen, dass sich der Berichterstatter nicht mit Erfolg auf die Schutzschranke gemäß § 50 UrhG berufen kann, wenn er nicht vor der Berichterstattung die Zustimmung des Rechtsinhabers eingeholt hat, obwohl ihm dies möglich und zumutbar war.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II; m.V.a. BGHZ 175, 135 Rn. 49 - TV-Total; BGH, Urteil vom 27. März 2012 - KZR 108/10, GRUR 2012, 1062 Rn. 24 = ZUM 2012, 807 - Elektronischer Programmführer; BGH, GRUR 2016, 368 Rn. 16 - Exklusivinterview)) An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest. Sie hält einer unionsrechtskonformen Auslegung mit Blick auf den Regelungszusammenhang und die Zielsetzung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG nicht stand.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II; m.V.a. EuGH, GRUR 2019, 940 Rn. 70 bis 74 - Spiegel Online)) Im Rahmen der bei Prüfung der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG vorzunehmenden Grundrechtsabwägung [-> [[Grundrecht:Grundrechtsabwägung]]] ist im Falle der Veröffentlichung eines bislang unveröffentlichten Werks auch das vom [[Urheberpersönlichkeitsrecht]] geschützte Interesse an einer Geheimhaltung des Werks zu berücksichtigen [-> [[Interesse an einer Geheimhaltung des Inhalts eines Werks]]]. Die Privilegierung einer Berichterstattung über Tagesereignisse setzt voraus, dass sie den Anforderungen des Drei-Stufen-Tests des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2002/29/EG genügt.((BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Reformistischer Aufbruch II)) Auch die Schrankenbestimmung des § 50 UrhG ist gemäß § 94 Abs. 4 UrhG für die nach §§ 95, 94 UrhG geschützten Filmträger entsprechend anwendbar, gleichgültig, ob diese Filmwerke oder Laufbilder enthalten.((BGH, Urt. v. 20. Dezember 2007 - I ZR 42/05 - TV-Total)) Die Sendung von Teilen eines zuvor durch ein anderes Sendeunternehmen ausgestrahlten Interviews stellt eine Verletzung der Rechte des erstausstrahlenden Sendeunternehmens dar, seine Sendungen aufzuzeichnen und später zu verbreiten (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, § 96 Abs. 1 UrhG). Eine solche Verwendung von Interviewteilen ist keine Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG, weil die Bestimmung zwischen dem Tagesereignis und der im Verlauf dieses Ereignisses wahrnehmbar werdenden urheberrechtlich geschützten Leistung unterscheidet. Das übernommene Bildmaterial ist keine urheberrechtlich geschützte Leistung, die im Verlaufe eines Tagesereignisses, über das berichtet worden ist, wahrnehmbar geworden ist.((BGH, Urt. v. 20. Dezember 2007 - I ZR 42/05 - TV-Total)) Die Bestimmung des § 50 UrhG unterscheidet nach ihrem Wortlaut zwischen dem Tagesereignis und dem im Verlauf dieses Ereignisses wahrnehmbar werdenden urheberrechtlich geschützten Werk. Ist § 50 UrhG gemäß § 87 Abs. 4 UrhG entsprechend anzuwenden, ist dementsprechend zwischen dem Tagesereignis und der geschützten Sendung zu unterscheiden. Nicht privilegiert ist eine Berichterstattung, die das Werk oder die urheberrechtlich geschützte Leistung selbst zum Gegenstand hat((vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 285/99, GRUR 2002, 1050, 1051 = WRP 2002, 1302 - Zeitungsbericht als Tagesereignis, mwN)). Das Werk muss vielmehr bei einem anderen Ereignis in Erscheinung treten.((BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - I ZR 69/14 - Exklusivinterview; m.V.a. BGH, Urteil vom 1. Juli 1982 - I ZR 118/80, BGHZ 85, 1, 6 - Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I; Urteil vom 1. Juli 1982 - I ZR 119/80, GRUR 1983, 28, 30 - Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 50 UrhG Rn. 21)) ===== siehe auch ===== UrhG, Abschnitt 6, Unterabschnitt 1 -> [[Urheberrechtsgesetz#Unterabschnitt 1: Gesetzlich erlaubte Nutzungen|Gesetzlich erlaubte Nutzungen]] \\ Behandelt die gesetzlich erlaubten Nutzungen von Werken, wie vorübergehende Vervielfältigungshandlungen und die Nutzung für den Unterricht.