====== Wortsinn des Patentanspruchs ====== Der [[Schutzbereich des Patents]] und der [[Patentanmeldung]] wird nach § 14 S. 1 PatG durch den Inhalt der [[Patentansprüche]] bestimmt. Die [[Beschreibung]] und die [[Zeichnungen]] sind nach § 14 S. 2 PatG jedoch zur Auslegung der [[Patentansprüche]] heranzuziehen [-> [[Funktion der Patentbeschreibung und der Zeichnungen bei der Auslegung der Patentansprüche]] ].((vgl. auch BGH, Urt. v. 17. April 2007 - X ZR 72/05 - Ziehmaschinenzugeinheit; m.V.a. BGH, Urt. v. 13.2.2007 - X ZR 74/05, Tz. 18 - Kettenradanordnung)) Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat.((BGH GRUR 1992, 594 (596) – Mechanische Betätigungsvorrichtung; BGH GRUR 1989, 903 (904) – Batteriekastenschnur; BGHZ 106, 84 (94) – Schwermetalloxidationskatalysator)) Für die Auslegung eines Patents ist nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, zu bestimmen ist((vgl. nur BGH, Urteil vom 12. November 1974 - X ZR 76/68, GRUR 1975, 422, 424 - Streckwalze; Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube)). Maßgeblich sind dabei der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen((vgl. nur BGH, Urteil vom 17. April 2007 - X ZR 72/05, BGHZ 172, 88 = GRUR 2007, 778 Rn. 14 - Ziehmaschinenzugeinheit I)). Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen((vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 113/11, GRUR 2012, 1122 Rn. 22 - Palettenbehälter III)).((BGH, Urteil vom 13. Oktober 2015 - X ZR 74/14 - Luftkappensystem)) Der Inhalt eines Patentanspruchs bestimmt sich nicht am buchstabengetreuen [[Wortlaut der Patentansprüche|Wortlaut]], sondern am Sinngehalt, den der Fachmann dem Anspruchswortlaut beilegt .((st. Rspr.; z.B. BGH GRUR 2002, 515, 516 – Schneidmesser I, BGH GRUR 2008, 779 Rn. 30 – MehrgangnabeBPatG Beschl. v. 28. August 2006 – 9 W (pat) 16/04; OLG Karlsruhe Urteil vom 14.1.2009, 6 U 54/06)) Zur Bestimmung dieses von dem [[Patentanspruch]] umfassten Sachgehalts (bzw. Sinngehalts) ist maßgebend der zugehörige [[Offenbarungsgehalt]] der [[Patentschrift]]. Dabei ist der Patentanspruch nicht wörtlich, sondern __zweckorientiert__ auszulegen. Auch hier spielt demnach eine Rolle, was der [[Fachmann]] den Ansprüchen im Zusammenhang mit zugehörigen weiteren Angaben aus der [[Beschreibung]] und den [[Zeichnungen]] als Ganzes entnimmt.((BPatG Beschl. v. 28. August 2006 – 9 W (pat) 16/04)) Zwar bildet der Wortlaut insoweit eine Grenze, als es nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt, dem Patentanspruch einen engeren Sinn beizulegen, als es dessen Wortlaut nahelegt.((BGH GRUR 2008, 779, Rn. 37 – Mehrgangnabe)) Umgekehrt darf die Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen auch nicht zu einer inhaltlichen Erweiterung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen.((BGH GRUR 2004, 1023, 1024 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung)) Auch in diesem Zusammenhang hat die Analyse des Wortlauts jedoch nicht allein mit philologischen Mitteln zu erfolgen. Vielmehr ist zu prüfen, was bei sinnvollem Verständnis des Wortlauts so deutlich einbezogen ist, dass es vom Fachmann als zur Erfindung gehörend erkannt wird.((BGH GRUR 2004, 1023, 1025 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung)) Macht die [[Verletzungsform|angegriffene Ausführungsform]] von dem so ermittelten Sinngehalt eines Patentanspruchs Gebrauch, dann wird die unter Schutz stehende Erfindung [[Benutzung der Erfindung|benutzt]].((BGH in ständiger Rechtsprechung, zuletzt etwa GRUR 2002, 519, 521 Schneidmesser II; siehe auch LG München I - 21 O 3473/07 - Lenkdrachenkite)) Für die Prüfung der [[Patentfähigkeit]] im [[Einspruchsverfahren|Einspruchs-]] oder [[Einspruchsbeschwerdeverfahren]] gilt dies ebenso wie für das [[Nichtigkeitsverfahren]]((BGH, Urt. v. 07.11.2000 - X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 - Brieflocher)) und den [[Verletzungsprozess]] ((BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung)).((BGH, Beschl. v. 17. April 2007 - X ZB 9/06 - Informationsübermittlungsverfahren)) Denn erst wenn diese Auslegung erfolgt ist, steht der [[Gegenstand des Patents|Gegenstand]] der nachfolgenden Überprüfung auf Patentfähigkeit fest.((BGH, Urt. v. 07.11.2000 - X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 - Brieflocher)) Das verleiht dem in dem betreffenden Patentanspruch gewählten __Wortlaut__ entscheidende Bedeutung. Was bei sinnvollem Verständnis mit ihm nicht so deutlich einbezogen ist, dass es vom Fachmann als zur Erfindung gehörend erkannt wird, kann den Gegenstand dieses Patentanspruchs nicht kennzeichnen.((OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2007 - 2 U 22/06 - Betonpumpe)) „Inhalt“ der Patentansprüche im Sinne des § 14 PatG bedeutet allerdings nicht Wortlaut, sondern __Sinngehalt__. Eine rein philologische Betrachtung greift zu kurz; der Patentanspruch ist vielmehr seinem technischen Sinn nach aufzufassen. Eine sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Begriffsbestimmung ist deshalb nicht ausschlaggebend, sondern die Auffassung des praktischen Fachmanns, so wie ein unbefangener, technisch geschulter Leser die in der Patentschrift verwendeten Begriffe versteht. Entscheidend ist der Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend – im Sinne einer Auslegungshilfe – der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat.((OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2007 - 2 U 22/06 - Betonpumpe)) Die [[Auslegung der Patentansprüche|Auslegung]] dient damit nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen, sondern auch zur Klarstellung der in den Patentansprüchen verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und Tragweite der Erfindung.((OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2007 - 2 U 22/06 - Betonpumpe)) Es gilt der Grundsatz, dass die Merkmale eines Patentanspruchs nicht für sich stehen, sondern im Zusammenhang des gesamten Anspruchs zu verstehen sind und die Beschreibung zur Ermittlung dieses Sinnzusammenhangs heranzuziehen ist.((BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 - X ZR 74/05 - Kettenradanordnung; m.V.a. BGHZ 150, 149, 155 f. - Schneidmesser I; BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung; Sen.Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube)) Die Prüfung, ob der Gegenstand des Patentanspruchs patentfähig ist (z.B.: ob er dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war), muss sich auf die im Patentanspruch geschützte technische Lehre in ihrer Gesamtheit beziehen und darf sich nicht auf einen Teil, wie etwa die kennzeichnenden Merkmale eines zweiteiligen Patentanspruchs, beschränken.((BGH, Beschl. v. 17. April 2007 - X ZB 9/06 - Informationsübermittlungsverfahren; m.V.a. BGHZ 147, 137, 141 - Trigonellin; Sen.Urt. v. 08.12.1983 - X ZR 15/82, GRUR 1984, 272, 274 - Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung)) Wenn und soweit eine allgemeine Beschreibung in der Patentschrift fehlt oder unergiebig ist, muss überprüft werden, ob die Ausführungsbeispiele über die sie betreffenden Besonderheiten hinaus auch Aussagen enthalten, die allgemein für die unter Schutz gestellte Erfindung wesentlich sind. Dabei darf man nicht dabei stehen bleiben, was der Patentanspruch bei philologischer Betrachtung mit seinen Merkmalen begrifflich aussagt, sondern es ist anhand der anderen Ansprüche, der Beschreibung und der Zeichnungen zu ermitteln, was die Erfindung mit der betreffenden Vorgabe erreichen will und welche Gestaltungsmöglichkeiten den Fachmann bei der Umsetzung der betreffenden Vorgabe offen stehen. Diese gebotene funktionale Betrachtung darf den Inhalt räumlich-körperlich definierter Merkmale jedoch nicht auf die reine Funktion reduzieren und das Merkmal in einem Sinn interpretieren, der mit der dem Merkmal eigenen räumlich-körperlichen Ausgestaltung nicht mehr übereinstimmt, anderenfalls würde die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst.((OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 2009, Az. 2 U 108/03, [[http://www.duesseldorfer-archiv.de/?q=node/2233|Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1066]]; m.V.a. Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907; Schulte/Kühnen, a.a.O, Rdn. 29)) Der Wortsinn eines Patentanspruchs ist unter Zugrundelegung des Verständnisses eines Fachmanns auf dem betreffenden Gebiet zu ermitteln. Begriffe in den Patentansprüchen sind so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der ihm offenbarten Lösung versteht.((ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BGHZ 150, 149, 153 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2000, 232, 233 – Brieflocher; BGH, GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube)) Es ist daher nicht bei dem Wortlaut der in den Ansprüchen verwendeten Begriffe stehen zu bleiben, sondern die Bedeutung zu ermitteln, die sich dem Fachmann aufgrund des technischen Gesamtzusammenhangs, den der Inhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung vermittelt, erschließt.((LG Düsseldorf, 4a O 397/06 - Stützvorrichtung für ein Solarpaneel)) Bei der Ermittlung des Sinngehalts eines Patentanspruchs ist auch ein für sich genommen eindeutiger Wortlaut nicht ausschlaggebend, wenn die Auslegung des Anspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der weiteren Patentansprüche ergibt, dass zwei im Patentanspruch verwendete Begriffe gegeneinander auszutauschen sind. Gleiche Begriffe haben im Zusammenhang eines Patentanspruchs im Zweifel auch gleiche Bedeutung. Ein unterschiedliches Verständnis eines Begriffs im Oberbegriff und im Kennzeichen eines Patentanspruchs oder sonst in unterschiedlichen Zusammenhängen kommt nur dann in Betracht, wenn die Auslegung des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen ein solches Verständnis ergibt.((BGH, Urteil vom 5. Oktober 2016 - X ZR 21/15 - Zungenbett)) Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass gleichen Begriffen im Rahmen der Auslegung eines Patentanspruchs in unterschiedlichen Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen zukommen können. Das ist aber nur dann anzunehmen, wenn die Auslegung des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung auch der Beschreibung und der Kennzeichnungen ein solches Verständnis ergibt. Dabei ist es für die Auslegung ohne Bedeutung, ob die gleichen Begriffe im Oberbegriff oder im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs verwendet werden, da der äußere Aufbau des Patentanspruchs als solcher für die Ermittlung des Gegenstands des Patents außer Betracht zu bleiben hat ((vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1994 - X ZR 102/91, 1994, GRUR 1994, 357, 358 - Muffelofen; Benkard/ Scharen, PatG, 11. Aufl. (2015), § 14 PatG Rn. 13)). Entscheidend sind vielmehr der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern((BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 - Polymerschaum)), wobei im Zweifel gleichen Begriffen im Rahmen eines Patentanspruchs auch die gleiche Bedeutung zuzumessen ist.((BGH, Urteil vom 5. Oktober 2016 - X ZR 21/15 - Zungenbett)) ===== siehe auch ===== -> [[Auslegung der Patentansprüche]] \\ -> [[Wortlaut des Patentanspruchs]] \\ -> [[Funktion der Patentbeschreibung und der Zeichnungen bei der Auslegung der Patentansprüche]] \\ -> [[Wortsinngemäße Patentverletzung]] \\