====== Unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung ====== **§ 38 S. 2 PatG** Aus [[Änderungen der Anmeldung|Änderungen]], die den [[Gegenstand der Anmeldung]] erweitern, können [[Recht aus dem Patent|Rechte]] nicht hergeleitet werden. § 38 S. 1 PatG -> [[Änderungen der Anmeldung]] \\ § 21 (1) Nr. 4 PatG -> [[Widerruf wegen unzulässiger Erweiterung]] \\ § 21 (1) 2. Alt PatG -> [[Unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs]] -> [[Gegenstand der Anmeldung]] \\ -> [[Offenbarungsgehalt der Patentanmeldung]] \\ -> [[Aufnahme einzelner Merkmale aus den Ausführungsbeispielen in die Patentansprüche]] \\ -> [[Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung]] \\ -> [[Disclaimer]] \\ -> [[Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele]] \\ -> [[Zwischenverallgemeinerung]] \\ Der Gegenstand eines erteilten Patentanspruchs darf nicht über das hinausgehen, was den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als zur angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist. Dieser prüfende Vergleich bezieht sich nicht nur auf die in der Anmeldung formulierten Patentansprüche; entscheidend ist vielmehr, was der Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehö- rend entnehmen kann.((st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 45 mwN - Polymerschaum I)) Für die Beurteilung, ob der erteilte Patentanspruch über die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinausgeht, gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts die Grundsätze der Neuheitsprüfung. Danach ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann.((BGH, Urt. vom 19. Juli 2016 - X ZR 36/14 ; m.V.a. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 - fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 9. Juni 2015 - X ZR 51/13, GRUR 2015, 976 Rn. 45 - Einspritzventil; EPA (GrBK) Amtsbl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE)) Änderungen der [[Patentansprüche]] dürfen weder zu einer Erweiterung des [[Gegenstand der Anmeldung|Gegenstands der Anmeldung]] noch dazu führen, dass an die Stelle der angemeldeten Erfindung eine andere gesetzt wird [-> [[aliud]]].((BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02 - Sammelhefter II; BGHZ 66, 17, 29 - Alkylendiamine I; BGHZ 110, 123, 125 - Spleißkammer)) Der Gegenstand der Anmeldung kann im Erteilungsverfahren bei der Formulierung des Anspruchs anders gefasst werden [§ 38 PatG-> [[Änderungen der Anmeldung]]]. Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Gegenstandes der Anmeldung führen.((BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 27/06 - Hubgliedertor I; m.V.a. BGHZ 110, 123, 125 f. - Spleißkammer)) Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der [[Gegenstand des Patents|Gegenstand des erteilten Patents]] mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen [-> [[Ursprüngliche Offenbarung]]] zu vergleichen.((BGH, Urt. v. 13. Dezember 2011 - X ZR 135/08)) Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des [[Fachmann|Fachmanns]] nicht zur Erfindung gehörend erkennen ließ.((BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 27/06 - Hubgliedertor I; m.V.a. BGH Urt. v. 5.7.2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II)) Der Prüfung einer unzulässigen Erweiterung muss eine Auslegung des hierauf zu überprüfenden Patentanspruchs [-> [[Auslegung der Patentansprüche]]] vorausgehen, bei der dessen Sinngehalt und insbesondere der Beitrag, den ein streitiges Merkmal zum Leistungsergebnis der Erfindung liefert, zu bestimmen sind.((BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 - X ZR 101/13 - Polymerschaum II)) Von der Bestimmung des Erfindungsgegenstands kann nicht mit der Begründung abgesehen werden, ein Merkmal sei unbestimmt und (deshalb) zur Abgrenzung vom Stand der Technik ungeeignet.((BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 - X ZR 101/13 - Polymerschaum II; im Anschluss an BGH, Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 - Straßenbaumaschine)) Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts sind Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind.((BGH, Urt. v. 8. Februar 2022 - X ZR 22/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 22 - Kommunikationskanal; Beschluss vom 8. November 2016 - X ZB 1/16, BGHZ 212, 351 Rn. 45 - Ventileinrichtung; Urteil vom 23. April 2020 - X ZR 38/18, GRUR 2020, 974 Rn. 39 - Niederflurschienenfahrzeug)) Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht.((BGH, Urt. v. 8. Februar 2022 - X ZR 22/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - X ZR 41/14, GRUR 2016, 1038 Rn. 48 - Fahrzeugscheibe II; Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 - Drehmomentübertragungseinrichtung; Urteil vom 17. Februar 2015 - X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 Rn. 31 - Wundbehandlungsvorrichtung)) Der Beanspruchung von Schutz ohne ein bestimmtes Merkmal kann insbesondere entgegenstehen, dass in der Anmeldung sämtliche Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal oder eine bestimmte Kombination von mehreren Merkmalen aufweisen und dem Inhalt der Anmeldung zu entnehmen ist, dass die im Anspruch vorgesehenen Mittel der Lösung eines Problems dienen, das das Vorhandensein des betreffenden Merkmals oder der betreffenden Merkmalskombination voraussetzt.((BGH, Urt. v. 8. Februar 2022 - X ZR 22/20; m.V.a. BGH, Urteil vom 7. November 2017 - X ZR 63/15, GRUR 2018, 175 Rn. 35 - Digitales Buch)) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts allerdings auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind.((BGH, Urteil v. 15. Februar 2018 - X ZR 35/16; m.V.a. BGH, Urteil vom 7. November 2017 - X ZR 63/15 Rn. 30, GRUR 2018, 175 - Digitales Buch)) -> [[Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele]] \\ Selbst der Umstand, dass alle in einer Anmeldung geschilderten Ausführungsbeispiele ein bestimmtes Merkmal aufweisen, steht der Beanspruchung von Schutz für Ausführungsformen ohne dieses Merkmal nicht entgegen, wenn sich dem Inhalt der Anmeldung kein konkreter Bezug zwischen dem betreffenden Merkmal und den im Anspruch vorgesehenen Mitteln zur Lösung eines geschilderten technischen Problems entnehmen lässt.((BGH, Urteil v. 15. Februar 2018 - X ZR 35/16; m.V.a. BGH, Urteil vom 7. November 2017 - X ZR 63/15 Rn. 30, GRUR 2018, 175 - Digitales Buch, Rn. 35)) ===== siehe auch ===== §§ 34 bis 43 PatG -> [[Anmeldeverfahren]] \\ §§ 34 bis 64 PatG -> [[Verfahren vor dem Patentamt]] \\ PatG -> [[Patentrecht:Patentgesetz]] \\ -> [[Offenbarungsgehalt]] § 21 (1) Nr. 4 PatG -> [[Widerruf wegen unzulässiger Erweiterung]] \\