====== Einfluß der Ausführungsbeispiele auf die Auslegung ====== -> [[Ausführungsbeispiel der Erfindung]] Allein aus [[Ausführungsbeispiele|Ausführungsbeispielen]] darf nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt.((BGH, Urteil vom 12. Februar 2008 – X ZR 153/05 - Mehrgangnabe)) Dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele des Patents ausschließlich auf bestimmte Ausführungsformen beziehen, schränkt einen weiter zu verstehenden Sinngehalt der Patentansprüche nicht auf diese Ausführungsformen ein. Eine Auslegung unterhalb des Wortlauts (im Sinn einer Auslegung unterhalb des Sinngehalts) der Patentansprüche ist generell nicht zulässig; dies gilt insbesondere, wenn der Beschreibung eine Schutzbegrenzung auf bestimmte Ausführungsformen nicht zu entnehmen ist.((BGH, Urt. v. 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02 - Schussfädentransport)) Allein aus der Nichterwähnung einer bestimmten Ausführungsvariante in der [[Patentschrift]] kann nicht gefolgert werden, sie liege außerhalb des [[Patent|Patentes]].((OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 2009, Az. 2 U 108/03, [[http://www.duesseldorfer-archiv.de/?q=node/2233|Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1066]]; m.V.a. Schulte/Kühnen, PatG, 8. Auflage, § 14 Rdn. 32)) Wenn und soweit eine allgemeine Beschreibung in der Patentschrift fehlt oder unergiebig ist, muss überprüft werden, ob die Ausführungsbeispiele über die sie betreffenden Besonderheiten hinaus auch Aussagen enthalten, die allgemein für die unter Schutz gestellte Erfindung wesentlich sind. Dabei darf man nicht dabei stehen bleiben, was der Patentanspruch bei philologischer Betrachtung mit seinen Merkmalen begrifflich aussagt, sondern es ist anhand der anderen Ansprüche, der Beschreibung und der Zeichnungen zu ermitteln, was die Erfindung mit der betreffenden Vorgabe erreichen will und welche Gestaltungsmöglichkeiten den Fachmann bei der Umsetzung der betreffenden Vorgabe offen stehen. Diese gebotene funktionale Betrachtung darf den Inhalt räumlich-körperlich definierter Merkmale jedoch nicht auf die reine Funktion reduzieren und das Merkmal in einem Sinn interpretieren, der mit der dem Merkmal eigenen räumlich-körperlichen Ausgestaltung nicht mehr übereinstimmt, anderenfalls würde die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst.((OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. März 2009, Az. 2 U 108/03 - Spritzguss-Zahnbürsten; m.V.a. Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907; Schulte/Kühnen, a.a.O, Rdn. 29)) Werden in der Beschreibung eines Patents mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Beispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können. Nur wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen diejenigen Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen werden.((BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13 - Kreuzgestänge)) Bei der Auslegung eines Merkmals, das im Patent eigenständig definiert wird, ist nicht allein auf generelle Zielsetzungen in der Beschreibung abzustellen. Vielmehr sind auch die konkreten Funktionen zu berücksichtigen, die diesem Merkmal bei den Ausführungsbeispielen zukommen.((BGH, Urteil vom 2. Februar 2021 - X ZR 170/18 - Anhängerkupplung II)) Zwar kann sich aus dem Gesamtinhalt der Patentschrift im Einzelfall ergeben, dass einzelne oder sogar alle in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele nicht alle im Patentanspruch vorgesehenen Merkmale verwirklichen. Sofern sich vermeintliche Widersprüche, die sich aus dem Wortlaut oder dem allgemeinen technischen Verständnis ergeben könnten, durch eine an einem sinnvollen Zusammenhang orientierte Auslegung vermeiden lassen, gebührt diesem Verständnis aber grundsätzlich der Vorrang.((BGH, Urteil vom 2. Februar 2021 - X ZR 170/18 - Anhängerkupplung II; m.V.a. BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 Rn. 22 - Kreuzgestänge; Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung; Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 = GRUR 2009, 653 Rn. 16 - Straßenbaumaschine)) ===== siehe auch ===== -> [[Auslegung der Patentansprüche]]