====== Anspruch auf rechtliches Gehör ====== **§ 93 (2) PatG** Die [[Entscheidung durch das Patentgericht|Entscheidung]] darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. § 93 (1) S. 1 PatG -> [[Freie Beweiswürdigung]] \\ § 93 (1) S. 2 PatG -> [[Begründungspflicht]] \\ § 93 (3) PatG -> [[Richterwechsel]] \\ § 100 (3) Nr. 3 PatG -> [[Verletzung des rechtlichen Gehörs als Rechtsbeschwerdegrund]] -> [[Beachtung von Entscheidungen der Instanzen des Europäischen Patentamts oder der Gerichte anderer Vertragsstaaten ]] \\ Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG [-> [[Verletzung des Rechtlichen Gehörs als Rechtsbeschwerdegrund]]] trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf [[Verfahrensrecht:rechtliches Gehör]] (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlichrechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten.((BGH, Beschl. v. 27. Juni 2007 - X ZB 6/05; m.V.a. BGH, Beschl. v. 11.6.2002 - X ZB 27/01, GRUR 2002, 957 - Zahnstruktur, m.w.N.)) Unter dem zuletzt genannten Aspekt kommt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG insbesondere dann in Betracht, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung Tatsachen zu Grunde gelegt hat, zu denen ein Beteiligter nicht mehr Stellung nehmen konnte.((BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10 - Modularer Fernseher)) Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet allerdings nicht, dass das Patentgericht darauf hinweist, welchen Offenbarungsgehalt es einer in der mündlichen Verhandlung erörterten Veröffentlichung entnimmt.((BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10 - Modularer Fernseher)) Ein Gehörsverstoß im Sinne von § 23 Abs. 5 Satz 2 DesignG in Verbindung mit § 93 Abs. 2 PatG setzt voraus, dass die angefochtene Entscheidung auf der Versagung rechtlichen Gehörs beruht oder beruhen kann. Liegt der Gehörsverstoß in der Verletzung einer Hinweispflicht, muss mit der Rüge ausgeführt werden, wie die betreffende Partei auf einen Hinweis reagiert hätte, weil nur so das Rechtsbeschwerdegericht beurteilen kann, ob die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörverstoß beruht.((BGH, Beschl. v. 23. September 2021 - I ZB 10/21; zur zulassungsfreien Rechtsbeschwerde gemäß § 83 Abs. 3 Nr. 3 MarkenG vgl. BGH, GRUR 2010, 1034 Rn. 17 - LIMES LOGISTIK, mwN; GRUR 2013, 1276 Rn. 25 - MetroLinien)) Art. 103 Abs. 1 GG ist jedoch verletzt, wenn das Patentgericht die Patentfähigkeit unter Berufung auf eine zum Stand der Technik gehörende Veröffentlichung verneint, die der Einsprechende nur beiläufig in Zusammenhang mit einem (neben der fehlenden Patentfähigkeit) zusätzlich geltend gemachten Widerrufsgrund erwähnt hat, ohne zuvor den Patentinhaber darauf hinzuweisen, dass diese Veröffentlichung der Patentfähigkeit entgegenstehen könnte.((BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10 - Modularer Fernseher; m.V.a. BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 Rn. 16 - Polyolefinfolie)) Hält das Patentgericht den Gegenstand eines mit dem Einspruch angegriffenen Patents im Hinblick auf eine Entgegenhaltung für nahegelegt, die bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist und in der Einspruchsbegründung zwar angeführt, aber eher beiläufig behandelt wird, reicht es zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör grundsätzlich aus, wenn dem Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung ein entsprechender Hinweis erteilt wird.((BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10)) Mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs kann nicht nur geltend gemacht werden, dass das entscheidende Gericht Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat, sondern auch, dass es Erkenntnisse verwertet hat, zu denen ein Verfahrensbeteiligter nicht Stellung nehmen konnte.((BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08 - Polyolefinfolie)) Der letztgenannte Fall kommt in Betracht, wenn der Verfahrensbeteiligte gar nicht zu Wort gekommen ist oder das Gericht bei seiner Entscheidung Tatsachen zugrunde gelegt hat, zu denen der Beteiligte nicht mehr Stellung nehmen konnte.((BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08 - Polyolefinfolie)) Gleiches gilt, wenn der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen konnte, auf welches Vorbringen es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann und wird.((BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08 - Polyolefinfolie; m.V.a. auf BGH Beschl. v. 25.1.2000 - X ZB 7/99, GRUR 2000, 792 - Spiralbohrer; Beschl. v. 16.9.2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91, 92 - Antennenhalter)) Da die Parteien kein Recht darauf haben, vor der gerichtlichen Entscheidung zu erfahren, wie das Gericht den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt (voraussichtlich) würdigen wird, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör allerdings nicht schon dann verletzt, wenn das Patentgericht nicht darauf hinweist, welchen Offenbarungsgehalt es einer in der mündlichen Verhandlung erörterten Veröffentlichung entnimmt.((BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08 - Polyolefinfolie)) Es verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör jedoch, wenn das Pa-tentgericht die Patentfähigkeit eines Patents unter Berufung auf eine zum Stand der Technik gehörende Veröffentlichung verneint, die der Einsprechende nur beiläufig in Zusammenhang mit einem (neben der fehlenden Patentfähigkeit) zusätzlich geltend gemachten Widerrufsgrund erwähnt hat, ohne zuvor den Patentinhaber darauf hinzuweisen, dass diese Veröffentlichung der Patentfähig-keit des Patentes entgegenstehen könnte.((BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08 - Polyolefinfolie)) Dabei ist unerheblich, ob die getroffene Entscheidung nach mündlicher Verhandlung oder im schriftlichen Verfahren ergangen ist.((BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08 - Polyolefinfolie)) Ein in der mündlichen Verhandlung erteilter Hinweis ist zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör allerdings nicht ausreichend, wenn der Beteiligte keine angemessene Möglichkeit hat, im Rahmen der Verhandlung zu dem Hinweis Stellung zu nehmen. Hat das Gericht in solchen Konstellationen den Hinweis nicht bereits in angemessenem zeitlichem Abstand vor der mündlichen Verhandlung erteilt, ist es von Verfassungs wegen gehalten, die Verhandlung zu vertagen oder dem Beteiligten ein Schriftsatzrecht einzuräumen.((BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - X ZB 1/10 - Modularer Fernseher; m.V.a. BVerfG, Beschluss vom 18. August 2010 - 1 BvR 3268/07, LKV 2010, 468 Rn. 28 ff.)) Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht grundsätzlich nicht so weit, dass das Gericht den Beteiligten mitteilen müsste, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich rechtlich würdigen wird, sondern er geht dahin, dass die Sach- und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden.((BGH, Beschluss vom 26. August 2014 - X ZB 19/12 - Kommunikationsrouter; m.V.a. BGH, Beschluss vom 28. November 2012 - X ZB 6/11, GRUR 2013, 318 Rn. 10 mwN - Sorbitol)) Ein Hinweis kann lediglich geboten sein, wenn für die Beteiligten auch bei sorgfältiger Prozessführung nicht vorhersehbar ist, auf welche Erwägungen das Gericht seine Entscheidung stützen wird.((BGH, Beschluss vom 26. August 2014 - X ZB 19/12 - Kommunikationsrouter; m.V.a. BGH, Beschlüsse vom 15. April 2010 Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 Rn. 22 - Walzenformgebungsmaschine; vom 16. September 2008 - X ZB 29/07, GRUR 2009, 91 Rn. 9 - Antennenhalter; vom 25. Januar 2000 - X ZB 7/99, GRUR 2000, 792, 793 - Spiralbohrer)) Diese Voraussetzung kann etwa gegeben sein, wenn das Gericht in der Endentscheidung von einer zuvor in einem gerichtlichen Hinweis geäußerten Rechtsauffassung abweichen will.((BGH, Beschluss vom 26. August 2014 - X ZB 19/12 - Kommunikationsrouter; m.V.a. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10, GRUR 2011, 851 Rn. 14 ff. - Werkstück)) ===== siehe auch ===== §§ 86 bis 99 PatG -> [[Gemeinsame Verfahrensvorschriften]] \\ §§ 73 bis 99 PatG -> [[Verfahren vor dem Patentgericht]] \\ PatG -> [[Patentrecht:Patentgesetz]] \\ § 100 (3) Nr. 3 PatG -> [[Verletzung des rechtlichen Gehörs als Rechtsbeschwerdegrund]] \\ Art. 103 Abs. 1 GG -> [[Verfahrensrecht:rechtliches Gehör]] \\